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Irak-Hilfe auf dem Prüfstand

Wiederaufbaukonferenz in Stockholm / US-Präsenz kein Thema

Von Bernd Parusel, Stockholm *

Vertreter von rund 100 Staaten und Organisationen wollen an diesem Donnerstag (29. Mai) in Stockholm eine Zwischenbilanz der Entwicklung in Irak ziehen. Es ist die erste Folgekonferenz nach der großen internationalen Irak-Konferenz vor rund einem Jahr in Scharm el-Scheich (Ägypten).

Der Stockholmer Vorort Upplands-Väsby bekommt am heutigen Donnerstag Besuch von einer Schar weltbekannter Politiker. Im Scandic-Hotel werden sich unter anderen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der irakische Premier Nuri al-Maliki, US-Außenministerin Condoleezza Rice und ihre Kollegen aus Großbritannien und Iran, David Miliband und Manuchehr Mottaki, einfinden. Spannend wird, ob Mottaki und Rice miteinander sprechen. Schwedens Regierung, vertreten von Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, Außenminister Carl Bildt und Entwicklungshilfeministerin Gunilla Carlsson, ist Gastgeberin der zweiten Konferenz über den »International Compact for Iraq« (ICI), ein Programm zum politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Iraks. Fünf Kriegsjahre hinterließen dort Zerstörung, Terror, Flüchtlingsströme und mindestens 50 Prozent Arbeitslosigkeit.

Die erste ICI-Konferenz war Anfang Mai 2007 in Scharm el-Scheich (Ägypten). Damals war ein Fünfjahresplan aufgestellt worden, demzufolge Irak ein »geeintes, föderales und demokratisches Land« werden soll, das mit seinen Nachbarn in Frieden zusammenlebt und »nachhaltige ökonomische Selbstversorgung und Wohlstand« erreicht. Die reichen Industrieländer, die Vereinten Nationen, Weltbank und Internationaler Währungsfonds sollten der Regierung in Bagdad dabei helfen.

Im Konferenzhotel in Upplands-Väsby, etwa auf halbem Weg zwischen dem internationalen Flughafen Arlanda und der schwedischen Hauptstadt, wird es nun darum gehen zu überprüfen, wie weit die Aufbaupläne seither vorangekommen sind und was weiter zu tun ist. Beobachter rechnen damit, dass sich die Teilnehmer für eine verstärkte Präsenz der UNO in Irak aussprechen und beschließen, Stabilität, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu verbessern. Konkrete Zusagen über weitere finanzielle Unterstützung werden dagegen kaum erwartet und das umstrittene Thema der fortdauernden Militärpräsenz der USA in Irak wird voraussichtlich ganz ausgeklammert. Der irakische Botschafter in Stockholm, Ahmad Barmani, sieht sein Land in einer »Übergangsphase«, die es zu bewältigen gilt. »Zweck der Irak-Konferenz ist es, die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, den politischen Prozess in Irak zu stärken und uns Hilfe verschiedener Art zu geben, ökonomische, rechtliche und soziale Hilfe«, sagte er der Zeitung »Dagens Nyheter«.

Für die schwedische Entwicklungsministerin Carlsson geht es darum, »Unterstützung zu geben und ein Beispiel zu setzen«. Die Idee, die zweite ICI-Konferenz in Stockholm abzuhalten, stammt jedoch nicht von der schwedischen Regierung. Vielmehr hatten sich Bagdad und die UNO an Stockholm gewandt, um einen neutralen Ort für heikle Verhandlungen zu finden. Ministerpräsident Reinfeldt bietet die Konferenz aber auch Gelegenheit, sein angeschlagenes Renommee im eigenen Land mit dem Glanz internationaler Konferenzdiplomatie aufzupolieren.

Das Thema Irak ist aber auch ein Minenfeld. Der Widerstand der Bevölkerung gegen die US-Invasion Iraks 2003 war in Schweden besonders groß, und in der Stockholmer Innenstadt wird auch jetzt wieder mit Demonstrationen gerechnet. Zudem kritisierten die angesehenen ehemaligen Spitzendiplomaten Sverker Åström und Pierre Schori kürzlich, die Konferenz sehe an der Tatsache vorbei, dass die USA mit ihrem Einmarsch 2003 gegen das Völkerrecht verstießen. Das Treffen in Upplands-Väsby bedeute, dass die schwedische Regierung die USA-Politik nachträglich legalisiere. Um solche Einwände zu entkräften, beteuerte Reinfeldt im Fernsehen, die USA hätten auch weiterhin die Hauptverantwortung für den Wiederaufbau.

Ein weiterer innenpolitischer Zankapfel ist die Aufnahme von Irak-Flüchtlingen. Reinfeldt betont gerne, dass sein Land humanitäre Verpflichtungen ernst nehme und weit mehr Irakern Zuflucht geboten habe als andere Staaten. Dem Flüchtlingswerk UNHCR zufolge kamen tatsächlich über 40 Prozent aller Iraker, die 2007 ihr Heimatland verließen und Asyl im ferneren Ausland suchten, nach Schweden -- rund 18 600 Menschen. In Deutschland stellten im selben Zeitraum 4200 Iraker Asylantrag und in den USA weniger als 750. Iraker sind in Schweden heute die drittgrößte Einwanderergruppe.

Manchen Kommunalpolitikern stößt es indes sauer auf, wenn Reinfeldt auf internationalem Parkett das schwedische »Verantwortungsbewusstsein« lobt. Der Premier verbreite ein falsches Bild, erklärte der Bürgermeister der Industriestadt Södertälje, Anders Lago, letzte Woche. In Wahrheit sei die Flüchtlingspolitik kollabiert. Lago meint vor allem, dass die Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb Schwedens höchst ungleich verteilt ist. Während sich manche Städte und Gemeinden freiwillig bereit erklärt haben, Irak-Flüchtlinge aufzunehmen und Wohnraum, Sprachkurse und Arbeitsvermittlung anzubieten, weigern sich andere, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Nach Södertälje, einer Stadt mit 83 000 Einwohnern südlich von Stockholm, kamen letztes Jahr 1268 Iraker. Ausgerechnet der Heimatort des Ministerpräsidenten, der wohlhabende Stockholmer Vorort Täby (61 000 Einwohner), begrenzte den Zuzug jedoch auf 50 Personen.

In seiner Eröffnungsrede in Upplands-Väsby am heutigen Vormittag (29. Mai) wird es Reinfeldt voraussichtlich vermeiden, dieses Problem anzusprechen. Und die Schar der Diplomaten und Politiker wird kaum Zeit haben, die »Großzügigkeit« ihrer Gastgeber im Detail unter die Lupe zu nehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2008

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Vorsichtiger Optimismus nach Irak-Konferenz

Die zweite Irak-Konferenz der UN in Stockholm ist mit einer allgemeinen Unterstützungserklärung, aber ohne den von der Bagdader Regierung erbetenen Schuldenerlass zu Ende gegangen.

Zunehmender Optimismus, aber auch Kritik an der Regierung in Bagdad haben die zweite Internationale Irak-Konferenz in Stockholm geprägt. Vor 600 Delegierten des "Paktes für den Irak" aus fast 100 Staaten lobte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Donnerstag (29.05.2008) "sichtbare Fortschritte" bei den Bemühungen um Frieden, Stabilität und Demokratie. Er sagte: "Der Irak bewegt sich jetzt weg von dem Abgrund, den wir gefürchtet haben wie nichts sonst." Es gebe wegen des Rückgangs der Gewalt und der Fortschritte auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet "einen neuen Geist der Hoffnung".

Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki und US-Außenministerin Condoleezza Rice setzten sich in der schwedischen Hauptstadt für weitere Schuldenerlasse gegenüber dem Irak ein. Al-Maliki stufte die Entwicklung in seinem Land als "jenseits der akuten Gefahr" ein. Die Möglichkeit eines Bürgerkrieges nannte er "endgültig gebannt". Ein wesentliches Hindernis für weitere Fortschritte sei aber die hohe Schuldenlast aus der Zeit des 2003 gestürzten Regimes von Saddam Hussein sowie durch Kriegsfolgen und Reparationslasten. Dasselbe gelte auch für nach wie vor geltende Sanktionen gegen das Land aus der Ära Saddams. Al-Maliki sagte: "Wir erwarten die aktive Beteiligung der internationalen Gemeinschaft, um diese Last zu erleichtern." Der Irak sei kein armes Land und wolle keine Hilfe, sondern "echte Partnerschaft". Neue Zusagen über Schuldenerlasse bei der Stockholmer Konferenz konnte er nach dem Abschluss nicht bestätigen.

Al-Maliki kündigte die Einberufung der dritten Internationalen Irak-Konferenz 2009 in Bagdad an. Ban Ki Moon sagte, er sei optimistisch, dass die Konferenz im kommenden Jahr in Bagdad durchgeführt werden könne. Der UN-Generalsekretär wie auch die EU und Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt verlangten einen stärkeren Einsatz der irakischen Regierung für die knapp vier Millionen internen und externen Flüchtlinge. Sie kritisierten auch, in unterschiedlicher Schärfe, anhaltende Menschenrechtsverletzungen im Irak sowie weiter akute Mängel bei der Versorgung der Bevölkerung.

Mit dem von Bagdad und den UN gemeinsamen getragenen "Pakt für den Irak" soll innerhalb von fünf Jahren ein stabiler Rahmen für den friedlichen Wiederaufbau des Iraks geschaffen werden.

Der slowenische Außenminister Dimitrij Rupel meinte als amtierender Ratsvorsitzender, die Union erkenne die Fortschritte beim Wiederaufbau und beim Streben nach Demokratie an. Für den weiteren Prozess im Irak stelle sich die EU "mit Nachdruck hinter die zentrale Rolle der Vereinten Nationen". Der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki äußerte sich positiv über eine "verbesserte Kooperation" zwischen seinem Land und dem Irak.

Rice hob hervor, Washington sei "besonders erfreut" über die markante Verbesserung der Sicherheitslage in den letzten zwölf Monaten. Darüber hinaus habe die irakische Regierung "ganz erhebliche Verbesserungen" der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Situation erreicht. So sei die Inflation eingedämmt und die Arbeitslosigkeit fast halbiert worden.

Quelle: Deutsche Welle; www.dw-world.de




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