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Wie ein Pfeifen im Walde

Auf der Irak-Konferenz in Stockholm werden die Fortschritte hervorgehoben - Doch die irakischen Existenzfragen werden woanders entschieden


Lob für Bagdad – Schulden bleiben

Irak-Konferenz ohne konkrete Zusagen
Die Teilnehmer der Irak-Konferenz in Stockholm lobten Fortschritte bei der Entwicklung des Zweistromlandes.


Trotz aller Herausforderungen gebe es »erkennbare Fortschritte« in den Schlüsselbereichen Sicherheit, Politik und Wirtschaft, sagte UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon bei der eintägigen Veranstaltung am Donnerstag.

Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki forderte auf dem Treffen einen kompletten Schuldenerlass für sein Land sowie ein Ende der Sanktionen aus der Zeit Saddam Husseins. US-Außenministerin Condoleezza Rice rief die arabischen Länder auf, ihre diplomatischen Beziehungen zu Bagdad wieder aufzunehmen.

»Irak entfernt sich von dem Abgrund, den wir so gefürchtet haben«, sagte Ban vor den rund 100 Delegationen. Allerdings bleibe die Lage instabil. Das irakische Volk leide weiter unter Terror, Gewalt und Kriminalität, viele Menschen müssten Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen ertragen. Das Treffen in der schwedischen Hauptstadt war die erste Folgekonferenz nach der großen internationalen Irak-Konferenz vor rund einem Jahr im ägyptischen Scharm el Scheich. Ranghohe Vertreter aus rund 60 Staaten und Organisationen erließen Irak damals etwa 30 Milliarden Dollar Schulden und beschlossen einen auf fünf Jahre angelegten »Pakt mit Irak« mit dem Ziel, die Sicherheit zu verstärken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Bagdad zahlt derweil noch immer milliardenschwere Reparationen an Kuwait für den von Saddam Hussein befohlenen Einmarsch im Jahr 1990. Insgesamt beträgt der irakische Schuldenberg nach Regierungsangaben rund 140 Milliarden Dollar – Zinsen nicht eingerechnet.

Die USA kündigten für Juni den Abzug von rund 4000 weiteren Soldaten aus Irak an. Die Soldaten seien in der Unruheprovinz Dijala nordöstlich von Bagdad stationiert, teilte die Armee mit. US-Präsident George W. Bush hatte im September verkündet, er werde die im Februar 2007 zusätzlich nach Irak entsandten 30 000 Soldaten bis Juli 2008 wieder abziehen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2008

Aus einem Kommentar im österreichischen "Standard"

(...) Den jetzt in Stockholm neu angestoßenen ICI (International Compact with Iraq) kann man sich als eine Art von Vertrag vorstellen, in dem die internationale Gemeinschaft dem Irak politische und wirtschaftliche Unterstützung zusagt unter der Bedingung, dass er bestimmte Entwicklungsvorgaben erfüllt. Wie die Zukunft des Irak aussieht, was aus dem Land letztlich werden wird, hängt jedoch nicht so sehr davon ab, was Maliki aus Schweden mitbringt. Es sind entscheidendere Prozesse im Gange.

So sind Washington und Bagdad soeben dabei, ihr zukünftiges Verhältnis zu klären: Während die irakische Delegation in Stockholm ihren reichlich optimistisch ausgefallenen 75-Seiten-Bericht "A New Beginning" präsentiert, wird bilateral zwischen USA und dem Irak das SOFA verhandelt, das Status of Forces Agreement, das die Anwesenheit amerikanischer Truppen im Irak nach dem Ablauf des noch gültigen UN-Mandats regelt.

Direkt damit verbunden ist die Frage, ob Maliki jenen Teil des schiitischen Sektors endgültig "verliert", der die US-Präsenz im Irak nicht hinnehmen will: Und da sitzt der Iran unsichtbar mit am irakisch-amerikanischen Verhandlungstisch. Zu erwarten, dass Teheran stillschweigend seinen Einfluss im Irak aufgibt, wäre naiv.

Eine weitere Existenzfrage ist die Lösung des kurdisch-arabischen Grenzstreits, um die sich derzeit die UNO bemüht. In Kürze soll es Vorschläge geben. Da geht es nicht nur um die Zugehörigkeit der Ölstadt Kirkuk, sondern um sämtliche "umstrittenen Gebiete" im Süden der kurdischen Region, für die - theoretisch - ein Referendum ansteht.

Die Eintracht zwischen Kurden und Bagdad in der Frage, wie man mit radikalen Schiiten umgehen soll, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich an diesem Territorialstreit, der fast so alt ist wie der Irak selbst, jederzeit wieder ein heißer Konflikt entzünden kann.

Vom politischen Frieden zwischen Erbil und Bagdad hängt auch ab, ob endlich das längst überfällige nationale Ölgesetz verabschiedet werden kann. Dies ist auch eine Bewährungsprobe für die UNO, die noch beweisen muss, dass sie der Erweiterung ihres politischen Mandates im Irak durch den Sicherheitsrat im Vorjahr gerecht wird. Und das ist schwieriger, als eine Geberkonferenz zu organisieren.

Auszug aus: Irakische Existenzfragen, von Gudrun Harrer. Der Standard, 30. Mai 2008



Al-Maliki abgeblitzt

Stockholm: »Internationaler Pakt für den Irak« lehnt Schuldenstreichung ab. Für Spekulanten bleibt das Land ein Eldorado, die Bevölkerung hat dafür die Zeche zu zahlen

Von Karin Leukefeld *


Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen ist in Stockholm ein weiteres Treffen des »Internationalen Pakts für den Irak« zu Ende gegangen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon äußerte seine »Hoffnung«, daß »die friedliche Entwicklung des Iraks« weiter voranschreite. Die von der irakischen Regierung erhoffte Schuldenstreichung blieb allerdings aus. Der Pariser Club hatte sich im November 2004 auf die stufenweise Streichung von 80 Prozent der irakischen Auslandsschulden in Höhe von 120 Milliarden US-Dollar geeinigt. Etwa ein Drittel davon schuldet Irak den arabischen Staaten Saudi-Arabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Katar, die der Konferenz in Stockholm demonstrativ ferngeblieben waren. Der irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki warb vergeblich für den Erfolg seiner Regierung in Sachen »Demokratisierung, Versöhnung und Wiederaufbau«. – »So spricht halt ein Verkäufer, der Interessenten anlocken will und muß«, meinte ein schwedischer Beobachter.

Als Handelsreisender in Sachen Irak hatte sich wenige Tage zuvor auch der Vizepräsident und Koordinator des Wiederaufbaukomitees, Barham Saleh, betätigt. »Irak ist der größte Markt, den man sich nur denken kann«, pries Saleh laut AFP beim Weltwirtschaftsforum im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich sein verwüstetes Land an. »Nichts gibt es in Irak, in das man nicht investieren müßte«, doch der Staat sei nicht in der Lage, der Herausforderung zu begegnen, das müsse der Privatsektor übernehmen. 70 Milliarden US-Dollar an Öleinnahmen erwarte der Irak im laufenden Jahr 2008, der Internationale Währungsfonds habe für den gleichen Zeitraum ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent veranschlagt. Noch sei von dem Aufschwung nichts zu spüren, fügte Saleh allerdings hinzu, doch wenn es erst mal so weit sei, »wird der Aufschwung rasant sein«.

Was für den irakischen Vizepräsidenten und seine Kollegen aus der Regierung ein großes Geschäft ist, ist für die irakische Bevölkerung eine Katastrophe. »Seit fünf Tagen sind wir ohne Strom«, berichtet Khamis Al-Dhari, Mitglied des Stadtrats von Abu Ghraib telefonisch aus Bagdad. »Unsere kleinen Generatoren gehen kaputt«, die chinesischen Produkte, die nach dem Krieg 2003 den Markt überschwemmt hätten, seien nicht für die dauerhaften Stromausfälle konstruiert. Mit technischen Problemen der Elektrizitätswerke habe das nichts zu tun, meint Al-Dhari: »Ein Elektrizitätswerk kann in höchstens drei Jahren gebaut werden. Jetzt sind fünf Jahre vergangen, aber es gibt nicht mal eine Baustelle.« Das Immobiliengeschäft stehe hoch im Kurs, erzählt Al-Dhari weiter, die großen Grundstücke und Villen entlang des Tigris seien bevorzugte Spekulationsobjekte. »Die Villen von Saddam und seinen Söhnen haben sich jetzt Leute von der Regierung einverleibt«, deren Parteien seien gut im Geschäft. Vom Hohen Islamischen Rat im Irak (SICI), einer der irakischen Regierungsparteien, würden derzeit systematisch Villen am Tigris aufgekauft, die von ihren früheren Besitzern aus Angst verlassen worden seien. Wer nicht an SICI verkaufen wolle, finde auch keinen anderen Käufer, fügt Al-Dhari hinzu. Für Ihsan Hamawandi, der in Kirkuk versucht, als Augenarzt wieder Fuß zu fassen, ist der Irak »ein Eldorado für Großkapitalisten«. Internationale Konzerne pumpten das Land voll mit ihren Produkten, bauten Hotels oder Einkaufszentren und brächten ihre Gewinne wieder ins Ausland. Hamawandi: »Ja, glauben Sie denn, einer, der in Düsseldorf Aktien des Sheraton Hotels in Erbil gekauft hat, wird hier ein Haus bauen? Er nimmt die Erträge mit, das ist Weltkapital, das ist Globalisierung.«

** Aus: junge Welt, 31. Mai 2008


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