Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Irak: Von der Hölle ins Paradies

Ein Reisebericht von Dr. Eva-Maria Hobiger*

In Bagdad ringt man um eine Verfassung für den Irak und die Gewalt eskaliert einmal mehr in dem schwergeprüften Land, die tägliche Liste von Gewalttaten wird immer länger. In nur 4 Tagen sterben 27 amerikanische Soldaten durch Anschläge – und ein Vielfaches an irakischen Staatsbürgern, deren Tod nicht so viel Beachtung findet in den Medien. Wer kann die Menschen noch zählen, die innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre im Irak gewaltsam ums Leben kamen?

Am 3. August, als Bashar und ich von Wien über Frankfurt nach Kuwait reisen, geht die Meldung um die Welt, dass ein amerikanischer Journalist in Basra erschossen worden wäre. Uns erreicht diese Nachricht in unserem Hotel in Kuwait und drückt unsere Stimmung etwas. Erst vor wenigen Tagen wurden zwei britische Soldaten getötet. Bis jetzt war es in Basra deutlich sicherer als im Rest des Landes. Was wird uns nun auf dieser Reise erwarten? Gespannt sehen wir den nächsten Tagen entgegen.

Kurz vor Jahresende 2004 erhielt ich die Nachricht, dass die Deutsche Diakonie-Katastrophenhilfe und das Deutsche Auswärtige Amt Gelder für den Ankauf von Medikamenten für das Kinderspital in Basra zur Verfügung stellen werden. Es handelte sich um große Summen: insgesamt Euro 170.000,- Das war kurz vor meiner Irakreise im Dezember 2004, wo ich eine größere Medikamentenlieferung nach Basra brachte, von der ich wusste, sie würde den Bedarf für etwa ein halbes Jahr decken. Ich war in der glücklichen Lage, bereits zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dass die Hilfe ohne Unterbrechung fortgesetzt werden konnte. Nun, Anfang August 2005, war es so weit: mit DHL sollte die Fracht von Deutschland nach Kuwait geschickt werden, von da an sollten wir den Weitertransport in den Irak begleiten.

Und auch ein anderes Projekt im Kinderspital von Basra, nämlich die Renovierung der Früh- und Neugeborenenabteilung – finanziert durch die Caritas Österreich – erforderte unsere Anwesenheit in Basra. Die Umbauarbeiten waren abgeschlossen und man wartete auf uns, ob wir wohl mit der Qualität der Arbeit zufrieden wären. Weitere Schritte mussten eingeleitet werden, die Geräte sollten in Kuwait bestellt werden.

Einige Tage verbrachten wir in Kuwait, die mit der Organisation des Weitertransportes der Medikamente ausgefüllt waren. Wir fahren zum Flughafen, um uns davon zu überzeugen, dass die Medikamente in einem Kühllager untergebracht sind – es hat 47 Grad in Kuwait City – und finden prompt zwei Paletten in der heißen Lagerhalle. Da sie erst seit wenigen Stunden dort stehen, stellt das kein Problem dar, denn sie sind in einer Spezialverpackung – wir haben sie rechtzeitig entdeckt. Ein Sandsturm bricht los und taucht die Stadt in einen gelben, fahlen Nebel.

Fahrt ins Ungewisse

Als wir dann endlich im Auto sitzen und uns der irakischen Grenze nähern, ist die Sicht praktisch Null. Der Weg führt durch die Wüste und der Sturm peitscht den Sand auf die Straße, es ist mindestens genauso schlimm wie wenn man bei Nebel fährt. An der kuwaitisch-irakischen Grenze frage ich mich, was wohl schlimmer ist: ein Schneesturm oder ein Sandsturm. Der Sturm reißt mir das Kopftuch weg und der Sand kriecht in die Augen, in die Nase, in den Mund und in die Kleidung. Es ist hier noch heißer als in Kuwait City. Wir hatten den Rat bekommen, so früh als möglich, keinesfalls aber nachmittags zur Grenze zu kommen. Ich vermute, der Grund war der, dass in der Nachmittagshitze kaum Autos auf den Straßen sind und um diese Zeit es daher viel unsicherer ist als vormittags. Leider konnten wir diesen Rat nicht befolgen, erst um 11 Uhr konnten wir Kuwait verlassen und nun müssen wir lange auf den Shuttle-Bus warten, der zwischen der kuwaitischen und irakischen Grenze verkehrt. Erstmals sehe ich in diesem Bus auch andere Ausländer: Russen, die in Basra arbeiten. Nachdem der Bus das Niemandsland durchquert hat, nähert er sich der irakischen Seite. Buben im Alter von etwa 7 bis 12 Jahren springen los mit Handkarren, um das Gepäck der Reisenden ein paar Meter bis zu der ersten Kontrollstelle transportieren zu können. Sie balgen sich mit erwachsenen Gepäckträgern, um nur ja das „Geschäft“ machen zu können. Das Geschäft: 1000 Dinar, ca. 50 Cent. Einer der Kontrollorgane für das Gepäck sieht unsere zwei Plastikflaschen mit Wasser, er bittet um die schon halb leere Flasche, es gäbe kein Trinkwasser hier an der Grenze. Wir bieten ihm die volle Flasche an, er lehnt höflich ab und ist sehr dankbar für die halbvolle. Die Sonne brennt unbarmherzig herab und der Sandsturm macht die Hitze noch viel schlimmer.

Endlich haben wir die Mauer passiert, die die Grenze umgibt, wir werden erwartet. Drei Autos sind da, um uns sicher nach Basra zu geleiten. Das Thermometer im Auto zeigt eine Außentemperatur von 54 Grad, es ist 15 Uhr. Wir begegnen nur sehr wenigen Autos auf der Straße durch die Wüste zwischen Safwan und Basra. Die Uniformierten an den Checkpoints winken uns müde durch, eine Frau im Auto – das können keine Terroristen sein. Wir erreichen Basra, auch hier befinden sich kaum Menschen auf den Straßen, die meisten verschlafen die Nachmittagshitze. Das ist die einzige Art, wie man die Sommertemperaturen aushalten kann. Der erste Eindruck von Basra ist noch trostloser als sonst. Müll auf den Straßen, überall – so schlimm war es nicht einmal unmittelbar nach dem Kriegsende. In den Gassen Brandgeruch, man zündet den Müll auf der Straße an, versucht so, dem Übel Herr zu werden. Stinkende Abwässer stehen auf den Straßen, Ratten huschen vorüber. Das trübe Wetter macht den Eindruck von der Stadt noch trostloser.

Bis 1991 war die Stromversorgung in Basra normal, seit damals leiden die Menschen unter den Stromunterbrechungen. 15 heiße Sommer sind seit damals ins Land gezogen, die Menschen müssen mit der Hitze leben, meist ohne Strom. Als wir ankamen, hieß es, es gäbe ca. 11 Stunden Strom täglich. Tatsächlich hörte ich aber während des gesamten Aufenthaltes fast ununterbrochen die Generatoren rattern, manchmal gab es nur eine Stunde Strom von der Hauptversorgung. Nur die wenigsten in Basra haben einen Generator und an eine derartige Hitze kann man sich nicht gewöhnen, auch wenn man hier aufgewachsen ist. Der ohrenbetäubende Lärm der Generatoren ist für mich Bestandteil von Basra geworden, wenn sie einmal schweigen, wirkt die Stille fast bedrückend.

Unsere Freunde sind besorgt um uns, unweit von unserem Wohnhaus war der Journalist gekidnappt worden. Die Angst unserer Freunde überträgt sich ein wenig auf uns und bevor wir auf die Straße treten, prüfen wir die Umgebung mit einem kurzen Blick. Früher haben wir kaum daran gedacht. Überhaupt ist die Angst der Leute hier förmlich zu spüren, sie ist ein täglicher Begleiter im Alltag des Lebens im Irak. Sie versuchen trotz allem ein halbwegs normales Leben zu führen und abends treffen sich die Männer im Kaffeehaus und diskutieren bei einer Wasserpfeife ihre miserable Situation. Am zweiten Tag hören wir, dass der Inhaber eines Eisgeschäftes gekidnappt wurde, 125.000 Dollar wurden als Lösegeld verlangt. Auch von Morden hören wir. Meine Bewegungsfreiheit in Basra engt sich immer mehr ein, ich fahre praktisch nur mehr zwischen dem Haus, in dem ich wohne und dem Spital hin und her und das nur mit dem Auto eines unserer Freunde. Selbstverständlich trage ich einen langen schwarzen Rock, lange Ärmel und ein Kopftuch.

Eines Abends erlebe ich ein wenig von der beklemmenden Ungewissheit, die den Alltag für die Menschen hier darstellt. Gegen Mitternacht höre ich lautes Schreien einer Frau, die offensichtlich in Panik ist, auf der Strasse. Ich will in den Hof gehen, um zumindest zu hören, von wo die Schreie kommen. Ist es jemand von der Familie, die auf dem gleichen Areal wohnt? Soll ich hinausgehen? Darf ich hinausgehen? Kann ich überhaupt etwas tun? Als ich einen Entschluss gefasst habe, stelle ich fest, dass ich gar nicht hinaus kann, denn ich bin eingesperrt – von außen, eine Sicherheitsmaßnahme. Und die Fenster sind alle vergittert. Was bleibt, ist die Ungewissheit und ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins.

Wieder im Kinderspital

Wenn ich aber dann im Kinderspital bin, weiß ich wieder, warum ich all die Risiken auf mich nehme. Wir waren schon sehnlichst erwartet worden, viele Medikamente gingen zur Neige, von einigen gab es keinen Vorrat mehr und als sich am Tag unserer Ankunft herumspricht, dass wir mit den Medikamenten da sind, freut sich das gesamte Personal des Spitals. Der Direktor des Spitals fragt, ob ich denn keine Angst hätte, jetzt hierher zu kommen. Als ich dies verneine, meint er, ich hätte auch keinen Grund dazu, Angst zu haben, denn niemand würde mir etwas tun, in Basra weiß man, dass ich nur zum Helfen hierher komme. Ich hoffe, das wissen auch wirklich alle.

Dr. Jenan, die Leiterin der Kinderkrebsstation zeigt mir stolz ihre Statistik. Sie habe kaum mehr Todesfälle auf der Station, praktisch nur mehr diejenigen Kinder, die in einem sehr späten Stadium zur Behandlung gebracht werden und wo man kaum mehr etwas tun könne. Jedes Mal wenn wir hier sind, höre ich die Worte aus ihrem Mund: „Ihr habt das Leben vieler, vieler Kinder gerettet!“ Im Monat Juli wurden 14 neue Fälle von kindlicher Leukämie registriert, eine horrende Zahl angesichts der Bevölkerungszahl in diesem Einzugsgebiet. Jenan erzählt, dass die Abteilung überquillt und zeitweise die kleinen Patienten auf dem Boden schlafen müssten, weil alle Betten – manchmal mehrfach – belegt sind.

Der 15jährige Mustafa hat seinen linken Arm verloren, er musste amputiert werden, nachdem ihm versehentlich die Chemotherapie in eine Arterie verabreicht worden war. Das war im Ausland passiert. Nun fragt man mich, ob wir helfen können. Es gäbe keine Armprothesen im Irak. Und der 7jährige Abbas würde dringend eine Strahlentherapie benötigen, sein Tumor kommt trotz Operation und Chemotherapie immer wieder. Es gibt in Basra keine Strahlentherapie und die Geräte in Bagdad sind veraltet. Abbas’ Tumor sitzt knapp am rechten Auge, es ist ausgeschlossen, in einer so kritischen Region mit den alten Bestrahlungsgeräten in Bagdad zu behandeln. Ob wir ihn in Wien behandeln können? Wir werden sehen…Der vierjährige Ali sitzt verschüchtert am Boden. Er musste einen künstlichen Darmausgang erhalten, der später, wenn sein Tumor geheilt ist, rückoperiert werden kann. Die Mutter schildert uns verzweifelt ihr Problem: die „Colostomiebeutel“ sind nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich und kosten dort pro Stück 3,5 Dollar. Ein Vermögen für die mittellose Frau – und so verwendet sie die Einmalbeutel immer wieder, drei, vier Wochen lang. Hygienisch natürlich eine Katastrophe. Wir rufen die Frau in den Korridor und helfen ihr mit einem kleinen Geldbetrag. Hassan hat einen riesigen, aufgetriebenen Bauch. Viel zu spät war ihre Mutter ins Spital gekommen, der Lymphdrüsenkrebs treibt den Bauch des kleinen Buben auf. Die Mutter hatte gedacht, das Kind hätte einfach an Gewicht zugenommen. Nun sitzt sie da in völliger Verzweiflung und erzählt unter Tränen, dass sie ihren Kühlschrank verkauft hätte, weil die Familie nichts mehr zu essen hätte. Auch ihr können wir ein wenig weiterhelfen. Die neunjährige Hadhia liest uns einen Brief vor, den sie an ihre Mutter geschrieben hat, die nicht bei ihr sein kann, weil sie eben erst ein Kind bekommen hatte. In ihrem Brief versichert sie der Mutter ihre Liebe und sorgt sich um Vater, Brüder, Onkel, Cousinen – kein Wort darüber, wie es ihr selbst geht. Sie schreibt auch Gedichte und malt. Ein Bild fällt mir besonders auf, sie zeichnet ihre Geschwister als hübsche Kinder, sich selbst als grauen, dünnen Vogel, dem die Tränen aus den Augen quellen. Im Bett gegenüber sitzt der 7jährige Sajjad, der durch einen Kunstfehler der Ärzte in einem anderen Krankenhaus ein Auge verloren hat. Ihn kennen wir schon, er war auch bei unseren letzten Besuchen da, im Dezember und im April.

So erfreulich sich die Entwicklung hier auf der Kinderkrebsstation zeigt, so tragisch ist sie in anderen Abteilungen. Jetzt im Sommer gibt es wieder besonders viele Kinder, die an chronischem Durchfall erkrankt sind und für sie gibt es praktisch kaum Behandlungsmöglichkeiten. Die Spezialnahrung, deren sie bedürften, gibt es in Basra nicht und der Vorrat, den wir im Vorjahr gebracht hatten, ist längst aufgebraucht. Dr. Jenan erzählt mir, dass es viele Cholerafälle gebe, Ruhr und Typhus und unzählige schwere Durchfallerkrankungen. Schuld daran ist die schlechte Wasserqualität und die Tatsache, dass sich die armen Leute das saubere Wasser nicht kaufen können. Wir hören von Familien, bei denen sich die einzelnen Familienmitglieder beim Frühstück abwechseln müssen, denn es gibt nicht genug zu essen. So hat jeder nur einmal pro Woche ein Frühstück.

Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Basra bekommen wir die Nachricht, dass am gleichen Tag der LKW mit den Medikamenten aus Kuwait ankommen soll. Um sechs Uhr nachmittags ist es dann so weit, der LKW trifft unter zivilem Begleitschutz mit drei Autos beim Krankenhaus ein. Sechs Arbeiter des Spitals machen sich daran, die 11 Paletten zu entladen, wie immer händisch, denn es gibt keinen Stapler. Einer davon ist ein 16jähriger Junge, er hat den Körperbau eines 12jährigen, aber er trägt die schwersten Kartons. Einige Polizisten des Spitals überwachen die Entladung mit schussbereiter Waffe. Nach zwei Stunden ist dann alles im Lager und wir bringen noch die Medikamente, die gekühlt werden müssen, in die Kühlschränke. Und wie immer stehe ich dann fast ungläubig vor den unzähligen Kartons und bin dankbar, dass wieder einmal alles gut angekommen ist. Die Behandlung der krebskranken Kinder ist bis mindestens Februar gesichert, es gibt eine große Menge an Antibiotika zur Behandlung von Infektionen und etliche wertvolle Dinge für die neue Frühgeburtenabteilung. In den nächsten Tagen arbeiten wir noch Stunden im Lager, um die Dinge zu sortieren und sie dann den Ärzten zu erklären.

Eine neue Abteilung für das Kinderspital

Die Umbauarbeiten auf der Frühgeburtenabteilung sind abgeschlossen. Für irakische Verhältnisse ist die Arbeit wirklich ausgezeichnet und wir freuen uns beim Anblick der sauberen Räume. Die Abteilung ist nicht mehr wieder zu erkennen. Allerdings um eine Ahnung davon zu bekommen, wie sie früher aussah, braucht man bloß die Glastüre, die sie vom Rest des Spitals abtrennt, hinter sich zu lassen. Drinnen ist eine andere Welt, draußen die Wirklichkeit von Basra im August 2005. Wie können wir das erhalten, was wir nun erreicht haben? Um das zu diskutieren treffe ich mich mit Frau Dr. Aida, der Leiterin der Frühgeburtenabteilung. Das größte Problem wäre das Defizit an Pflegepersonal, es gäbe einfach viel zu wenige Krankenschwestern an dieser Abteilung, gemessen an den täglichen Aufnahmen. Drei Schwestern an einer solchen Abteilung wären einfach völlig überfordert. Im Sommer kann es vorkommen, dass bis zu 20 neue Patienten aufgenommen werden müssen. Da die Schwestern unmöglich die ganze Arbeit leisten können, müssen die Mütter auch hier auf der Frühgeburtenabteilung bei ihren Babies sein und das bedeutet dann, dass nicht nur die Mutter sondern weitere Familienmitglieder Tag und Nacht auf der Abteilung bleiben und auf dem Boden schlafen. Die wenigen Putzfrauen können so die Abteilung nicht sauber halten, noch dazu sind sie für die Versorgung – Füttern und Pflege – von sogenannten „illegalen“ Babies zuständig, Kindern, die außerehelich geboren wurden. Man werde aber nun versuchen, die Anzahl der Besucher einzuschränken, so weit es eben geht. Dr. Jenan hat auf ihrer Abteilung bereits durchgesetzt, dass nur die Mutter beim Kind bleibt, alle anderen Besucher müssen vor der Türe warten und können dort ihr Kind sehen. Damit hat sie die hygienische Situation auf der Station wesentlich verbessert. Dr. Aida und der Direktor drängen auf eine sofortige Inbetriebnahme der Station, vor allem weil das Ausweichquartier menschenunwürdig ist und aus allen Nähen platzt. Ich ersuche sie, wenigstens so lange zu warten, bis der Container mit den Betten und Matratzen eintreffen wird, was Anfang September der Fall sein wird. Die Bestellung der medizinischen Geräte wird ohnehin noch länger dauern.

In der zentralen Blutbank von Basra, nur ca. 100 Meter vom Kinderspital entfernt, hat während unserer Abwesenheit ein nächtlicher Brand das Lager zerstört und damit auch einen Kühlschrank, den wir vor zwei Jahren gebracht hatten. Dr. Ala, der Direktor der Blutbank, steht inmitten der verbrannten Überreste und kann uns nicht die Hand reichen, da er selbst mit Hand anlegt bei den Aufräumarbeiten und beide Arme schwarz sind. „Ihr seht, was die vielen Stromunterbrechungen anrichten. Eine Überspannung in der Leitung, ein Kabelbrand …. Und schon ist ein Großteil der Arbeit des Vorjahres vernichtet!“ Damals hatte er die Blutbank renovieren lassen, jetzt sind auch im Korridor die Wände und die Decke rußgeschwärzt. „Unser“ Labor ist unbeschädigt und unsere Geräte arbeiten, mit einer Ausnahme.

Basra ist kaum auszuhalten in diesen Tagen. Es ist nicht nur die Hitze, die einem zu schaffen macht, seit Tagen gibt es einen Sandsturm. Die Luft ist feucht und Sand wirbelt auf, man hat das Gefühl, dass man kaum atmen kann, als ob man gegen einen Widerstand atmen müsse. Es gibt tagelang kaum Strom, die Menschen können kaum schlafen wegen der Hitze (ich gehöre zu den Privilegierten, denn ich darf in einem Raum mit Klimaanlage schlafen – aber ich habe den Hochsommer hier auch schon erlebt ohne Klimaanlage im Zimmer). So ist es zu verstehen, dass die Menschen untertags nervös und gereizt sind. Ein Streit artet leicht in Drohungen und Handgreiflichkeiten oder auch mehr aus.

Abu Fadi, der Vater eines der Kinder, die in Österreich zur Behandlung waren, wohnt nur zwei Gassen weiter. Deswegen hat Father Boutros keinen Einwand gegen seine Einladung zum Abendessen, trotzdem dürfen wir nicht zu Fuß gehen, sondern müssen mit dem Auto die wenigen Meter fahren. Es ist stockdunkel, denn es gibt natürlich keinen Strom und so tasten wir uns ins Haus, wo wir dann beim Schein einer Petroleumlampe unser Abendessen einnehmen. Kaum jemand hat Appetit, denn es ist unvorstellbar heiß im Zimmer und nach ein paar Bissen bricht der Schweiß aus allen Poren.

Dieses Mal mache ich eine neue Erfahrung. Seit November 2003 habe ich niemanden von einer anderen Hilfsorganisation in Basra getroffen, dieses Mal treffen wir zwei irakische Mitarbeiter einer französischen Organisation. Diese wollen nun auch die Kinderkrebsstation unterstützen, indem sie die Renovierung der Nasseinheiten durchführen wollen. Genau das hatten wir auch geplant, denn seinerzeit, vor dem letzten Krieg war diese Arbeit mit wenigen Geldmitteln nur unzureichend durchgeführt worden. Nun können wir das Geld, das wir dafür gesammelt haben für dringend notwendig gewordene Renovierungsarbeiten in den Krankenzimmern verwenden (Einbau eines Waschbeckens in die Zimmer, Instandsetzung der elektrischen Leitungen, Ausmalen der Räume und des Korridors etc.)

Das Haus, in dem ich wohne, wird während unseres Aufenthaltes auch zu meiner Ordination. Ich bin immer wieder erstaunt, wie rasch und wie weit es sich herumspricht, dass wir hier sind. Sogar aus dem eine Autostunde entfernten Qurna werden Kinder gebracht. Kinder, die im Irak nicht behandelt werden können, denen man wohl eine Chance geben könnte in Österreich. Unsere Liste mit den Namen dieser Kinder wächst. Aber man zeigt uns auch Kinder, deren Krankheiten auch an die Grenzen der westlichen Medizin stoßen. Zwei komatöse Kinder brachte man uns, beide liegen seit 10 Monaten im Koma nach einer Hirnhautentzündung und werden über eine Sonde ernährt. Kinder mit Epilepsie, Kinder mit Cerebralparese, Kinder mit irreparablen Geburtsschäden, Kinder nach Unfällen so wie der 14jährige Adel Yousif, der sich Schokolade von den tschechischen Soldaten holten wollte und dabei von einem LKW erfasst wurde. Wir versuchen den Eltern zu erklären, dass man auch in Europa viele Erkrankungen nicht heilen kann, was viele nur schwer verstehen können. Sie glauben, bei uns könne man einfach alles. Den kleinen Mohammed, der im Mai in Wien herzoperiert wurde, sehen wir auch wieder und freuen uns darüber, dass es ihm so gut geht. Und die kleine Mariana, ebenfalls mit einem schweren Herzfehler, wird bald auf die große Reise nach Graz gehen, wo sie operiert werden soll.

Zurück ins Paradies

Unser Einsatz näherte sich wieder einmal dem Ende. Für unsere Arbeit bräuchten wir viel mehr Zeit, als uns unter den gegebenen Umständen zur Verfügung steht. Helfen ist nicht leicht, schon gar nicht im Irak im Jahr 2005. Es gilt, unzählige Hindernisse zu überwinden, Kompromisse zu schließen. Aber wir sind froh, dass unsere Mission trotz der schwierigen äußeren Umstände wieder erfolgreich war. Die Medikamente konnten wohlbehalten übergeben werden, die Renovierungsarbeiten wurden zu unserer Zufriedenheit durchgeführt. Trotz der Probleme, trotz des allgemeinen Chaos können wir etwas bewegen, können wir helfen. Der Einsatz ist nicht gering, dessen sind wir uns bewusst, es ist unser Leben. Aber wir erfahren immer wieder, dass unser Erfolg diesen Einsatz rechtfertigt.

Mit zwei Autos bringt man uns zur Grenze. Für uns öffnet sich das Tor, das für die Iraker verschlossen bleibt. Im Juni d.J. war ein junger Iraker zu Besuch in Wien. Am zweiten Tag seines Aufenthaltes sagte er mir, er hätte den Eindruck, er wäre von der Hölle in das Paradies gekommen. (Und er meinte auch, ob denn der Himmel noch schöner sein könne als dieses paradiesisch schöne Land Österreich.) Die meisten Iraker träumen davon, ihr Land zu verlassen, um endlich ausruhen zu können, um endlich ein friedliches Leben führen zu können. Von einem Freund in Bagdad hörte ich, dass innerhalb eines Monats neun Familien, die in seiner Gasse wohnten, das Land verlassen hätten. Das ist verständlich angesichts der jüngsten Geschichte dieses Landes. Die meisten aber können nicht weggehen. In den letzten fünfzig Jahren – ein kurzes Menschenleben lang - wurde dieses Land erschüttert durch Revolutionen, Monarchie, Staatsstreiche, Diktatur, Polizeistaat, mehrere brutale Kriege und Sanktionen, ein Land, das in seinem Boden einen unvorstellbaren Reichtum besitzt, der den Bürgern dieses Landes aber nie zum Segen wurde. Während dieser fünfzig Jahre durften wir hier in Europa in Frieden und Sicherheit leben. „Was interessiert mich die Verfassung? Ich will Sicherheit haben für meine Kinder und mich, ich will Strom und Wasser und Arbeit!“ – das war der Grundtenor der Leute in diesem August 2005. Dass die Verfassung ein Weg dahin sein könnte, glaubt kaum jemand. In einem Bericht der UNO-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI) heißt es in diesem Sommer, „die UNO sei beunruhigt über den mangelnden Schutz der bürgerlichen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Rechte der Iraker.“

Ich gehöre zu den Privilegierten dieser Welt, ich habe mein Leben lang in Frieden und Sicherheit verbracht, ich darf zurück in unser Paradies. Als wir im Morgengrauen des 13. August in Frankfurt landen und zwei Stunden später in Wien, sind wir beide müde und erschöpft – wir sind mehr als 24 Stunden unterwegs – aber wir wissen, dass wir wirklich zurück im „Paradies“ sind. Dass wir hier in Westeuropa tatsächlich in einem Paradies leben, dessen sind wir uns im allgemeinen viel zu wenig bewusst. Wir durften die „Hölle“ verlassen, die Menschen aber, deren Schicksal es war, dort geboren zu sein, müssen sie weiter ertragen.

Im Namen der Kinder, deren Eltern und der Ärzte und Schwestern des Kinderspitals in Basra danke ich der Diakonie Katastrophenhilfe und dem Deutschen Auswärtigen Amt für die großzügige und so wertvolle Unterstützung des Kinderspitals in Basras. Und ich danke Caritas Österreich und allen Spendern für die Bereitstellung der Mittel zur Renovierung der Früh- und Neugeborenenabteilung im gleichen Spital. In diesem Kinderspital gab es seit 15 Jahren keine Instandsetzungsarbeiten und alle Abteilungen würden dringendst eine Renovierung brauchen, die Räume, in denen die Kinder jetzt untergebracht sind, sind wirklich nicht mehr wert, Krankenzimmer eines Spitals genannt zu werden.

Ich danke allen Spendern, die weiterhin unsere Arbeit in Basra unterstützen. So froh ich über unseren geglückten Einsatz bin, so frage ich mich: wie wird es weitergehen? Im Februar nächsten Jahres wird wieder ein Hilfstransport mit Medikamenten notwendig werden, um diese Unterstützung nicht zu unterbrechen. Sie jetzt abreißen zu lassen, wäre eine Katastrophe, eine Unterbrechung in der Therapie der Leukämie ist tödlich. Es ist leider nicht anzunehmen, dass nach sechs Monaten die innerirakischen Strukturen so arbeiten werden, dass unsere Hilfe nicht mehr erforderlich ist. Ganz im Gegenteil, die Entwicklung im Irak bereitet Grund zur Sorge. Diese krebskranken Kinder, die wir unterstützen, denen wir eine Chance auf ihr Leben geben, können nichts für das politische Chaos in ihrem Land. Sie waren früher hilflose Opfer und sie sind es jetzt. In den drei Jahren, in denen wir kontinuierlich die Medikamente bereitstellen konnten, haben wir viele Kinderleben gerettet. Ohne unser aller Hilfe gäbe es diese Kinder nicht mehr. Sie brauchen uns auch weiterhin! Helfen Sie bitte der kleinen Haura (s.u.) und allen anderen krebskranken Kindern in Basra!

* Aus: www.saar.at/aladin


Das Projekt "Aladins Wunderlampe - Hilfe für krebskranke Kinder im Irak" bitte um Spenden auf folgende Spendenkonten:

SPENDENKONTO IN ÖSTERREICH:
Erste Bank (BLZ 20111)
Konto Nr. 28520096800
„Aladins Wunderlampe“

SPENDENKONTO IN DEUTSCHLAND:
Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG (BLZ 38020090)
Konto-Nr: 0364524226
"Aladins Wunderlampe Deutschland e.V."



Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage