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"Rechtsgrundlage unzureichend"

Niederländischer Untersuchungsausschuss kritisiert Einmarsch in Irak

Der Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten 2003 in Irak war nach Ansicht eines niederländischen Untersuchungsausschusses nicht durch internationales Recht gedeckt.

»Die Rechtsgrundlage war unzureichend«, sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Willibrord Davids, am Dienstag in Den Haag. Die 2002 verabschiedete UN-Resolution 1441 könne nicht so interpretiert werden, dass einzelne Mitgliedstaaten das Recht auf Anwendung militärischer Gewalt gehabt hätten. Dies habe die niederländische Regierung aber getan. Der Ausschuss untersucht seit März 2009 die politische Unterstützung der Regierung für den Einmarsch. Oppositionspolitiker hatten argumentiert, den niederländischen Parlamentariern seien wichtige Informationen vorenthalten worden.

Die Niederlande hatten nach dem Einmarsch der USA und Großbritanniens vom März im Juli 2003 rund 1100 Soldaten nach Irak entsandt; sie verließen das Land 2005 wieder. Der Ausschuss kam zu der Ansicht, dass der damalige und heutige Ministerpräsident Jan Peter Balkenende die Führung bei dem Thema weitestgehend dem damaligen Außenminister und späteren NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer überlassen habe. Der niederländische Geheimdienst hatte laut dem Ausschuss zudem keine unabhängigen Erkenntnisse zu den angeblichen Massenvernichtungswaffen des irakischen Präsidenten Saddam Hussein.

Derweil hieß es in London, dass schon lange vor der Irak-Invasion der damalige britische Premierminister Tony Blair den USA militärische Hilfe im Falle eines Waffenganges zugesagt habe. Blair habe aber bis kurz vor dem Einmarsch gehofft, dass die Krise um angebliche Massenvernichtungswaffen des Regimes noch friedlich gelöst werden könne, sagte Blairs ehemaliger Sprecher und engster Vertrauter, Alastair Campbell, am Dienstag vor dem Irak-Untersuchungsausschuss in London. Gleichzeitig bestritt Campbell, dass er einen Regierungsbericht frisiert habe, um die Existenz von Massenvernichtungswaffen zu belegen.

Blair habe noch bis März 2003 gehofft, dass Irak auf diplomatischem Wege mit Hilfe der Vereinten Nationen entwaffnet werden könne. Allerdings habe er bereits 2002 US-Präsident George W. Bush schriftlich versichert, dass Großbritannien an der Seite der USA stehe, falls es keine friedliche Lösung gebe. Campbell bestritt, dass erst ein Besuch Blairs bei Bush im April 2002 zu einem Sinneswandel geführt und Blair danach härtere Töne gegen Irak angeschlagen habe. Blair habe fest geglaubt, dass es ohne Verzicht auf Massenvernichtungswaffen zur Konfrontation mit Saddam kommen müsse.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Januar 2010


Erschreckender Betrug

Von Olaf Standke **

Das war kein guter Tag für Jan Peter Balkenende. Sieben Jahre nach der US-amerikanischen Invasion in Irak ist der damalige wie heutige Ministerpräsident der Niederlande gestern durch eine von ihm lange Zeit verhinderte unabhängige Kommission massiv für seine politische Unterstützung dieses Krieges kritisiert worden. Anders als 2003 von seiner Regierung behauptet, habe es kein ausreichendes völkerrechtliches UN-Mandat gegeben, so die Untersuchung. Und das sei Balkenende durchaus bewusst gewesen. Mit anderen Worten: Er hat die Öffentlichkeit schamlos belogen. Auch wenn die Niederlande erst nach dem Sturz von Saddam Hussein Soldaten ins Zweistromland schickten, gleicht das den Vorgängen in London. Dort gibt es seit geraumer Zeit öffentliche Anhörungen zur britischen Beteiligung am Irak-Krieg. Von einem »erschreckenden Betrug« Tony Blairs sprach etwa der frühere Generalstaatsanwalt mit Blick auf die seinerzeit als Kriegsgrund ins Feld geführten angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen. Der Ex-Premier habe sein Land als wichtigster Verbündeter Washingtons »in die Irre geführt«, um die Bevölkerung von einem »tödlichen« Krieg« zu überzeugen. Bleibt die Frage: Wer zieht Politiker wie Blair, den bislang völlig unbehelligten George W. Bush oder Balkenende eigentlich zur Verantwortung? Die Niederlande übrigens sind Gastland der wichtigsten internationalen Gerichtshöfe für Staats- und Völkerrecht.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Januar 2010 (Kommentar


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