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Daimler, Bayer, Siemens und der Krieg im Irak

Der Konflikt zwischen USA und Teilen Europas schwelte schon lange. Divergierende ökonomische Interessen hatten ihn entfacht.

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag aus der konzernkritischen Zeitung "Stichwort BAYER" (Heft 2/2003).


Von Udo Hörster

Das Irak-Geschäft lockt
Im Juni 2000 lud der "Bundesverband der deutschen Industrie" (BDI) ins Berliner Hotel "Radisson SAS". Teilnehmer einer BDI-Reise nach Bagdad erstatteten Bericht. Eine "fast romantische Anhänglichkeit gegenüber Deutschland" hatte der BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg in dem Land gespürt. Der aber droht Unbill durch Dritte. In einem Brief an Außenminister Fischer, den von Wartenberg bei dem Treffen verlas, hieß es: "Insbesondere gegenüber dem UN-Sicherheitsratsmitglied USA, aber auch gegenüber anderen müsse deutlich werden, daß mit der bislang verfolgten Politik in New York deutsche Wirtschaftsinteressen stark beeinträchtigt würden". Es sei "höchste Zeit", für "die Durchsetzung deutscher Interessen sowohl in Irak als auch bei der UN einzutreten", so von Wartenberg. Zum Abschluß wünschte er sich: "Bedeutsam wäre, wenn die deutsche Industrie ihre Vorstellungen in die politischen Leitlinien des Bundestages einfließen lassen könnte."

Multi-Funktionär v. Wartenberg
Dieser Wunsch wurde erfüllt. Im Herbst 2002 verkündete der Bundeskanzler den "deutschen Weg" in der Außenpolitik und verurteilte den Kriegskurs von George W. Bush. Der regierungsamtliche Teilzeitpazifismus entsprang also nicht nur einem Wahlkampfkalkül. Gerhard Schröder tat einmal mehr genau das, was die Bosse ihm aufgetragen hatten.
Die hatten nämlich mit Husseins Irak blendende Geschäfte gemacht. Sie lieferten unter anderem Anlagen, Maschinen, Kraftfahrzeuge und Konsumgüter. Aber auch an der Ausstattung von Husseins Waffenarsenalen beteiligten sie sich. Die Unternehmen exportierten in den 80er Jahren Computer-Elektronik, Radar, Chiffriergeräte, Waffen und Munition in das Land. Mehrere Chemieunternehmen waren mit chemiewaffenfähigem Material dabei. Der Export von militärischen Gütern in Krisengebiete war zwar verboten, aber das "Bundesamt für Wirtschaft" sah das nicht so eng. Das Außenwirtschaftsgesetz sei im Zweifelsfall zugunsten des Freiheitsprinzips auszulegen, lautete die Direktive. Und bei den jährlich 75000 Exportanträgen kamen die Beamten ziemlich oft ins Grübeln. Publik sollten ihre Entscheidungen jedoch nicht werden. "Die Veröffentlichung von Ausfuhrwerten nach Empfängerländern kommt nicht in Betracht", dekretierte der damals zuständige Staatssekretär. Sein Name: Ludolf von Wartenberg. Durch das nach 1991 in Kraft getretene Embargo versiegten die Handelsströme so ziemlich.
Der BDI setzte sich daher vehement für die Aufhebung des Embargos ein. Nur so bestand Aussicht, die Schulden des Irak bei den bundesdeutschen Unternehmen wieder einzutreiben. Ein Krieg konnte schon deshalb nicht im Interesse der bundesdeutschen Konzerne sein. Nach dem kaum in Zweifel stehenden Sieg der USA und Großbritanniens würden als Nachhut nämlich deren Multis in den Irak einrücken und die "alt-europäischen" verdrängen. Also entdeckten die regierenden Koalitionäre von SPD und Grünen die Friedensliebe wieder und überwarfen sich mit den Vereinigten Staaten.

Streit auch in der WTO
Der Konflikt schwelte allerdings schon lange. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks fehlte dem Westen die einigende Klammer eines gemeinsamen Feindes. Die Bundesrepublik hatte nach der "Wiedervereinigung" die volle Souveränität zurückerlangt und machte von ihr beim Run auf die neu zu verteilenden Interessenssphären immer ungenierter Gebrauch. Dies führte zu ökonomischen Streitigkeiten mit den USA. Bei der Welthandelsorganisation WTO geriet man sich z.B. über Hormonfleisch, Stahl, die Zulassung genmanipulierter Getreide-Sorten und die Agrarsubventionen in die Haare. Die US-Amerikaner zogen daraus die Konsequenz, vermehrt über bilaterale Wirtschaftsabkommen freien Zugang zu Märkten zu suchen.
Dem BDI-Vorstandsvorsitzenden Michael Rogowski paßte das gar nicht. Er beklagte sich in der Wirtschaftswoche 15/03, daß "die USA nicht nur in der Sicherheitspolitik, sondern auch in der Außenwirtschaftspolitik zunehmend den multinationalen Rahmen verlassen. "Ein Gegengewicht zu Amerika wäre deshalb auch schon aus wirtschaftlichen Gründen zu wünschen", so der BDI-Mann. Dabei verschwieg er dezent die 30 bilateralen Verträge der EU, gegenüber denen sich die bisher drei der USA bescheiden ausnehmen. "But we are hard at work", bekennt Bushs Handelsbeauftragter Robert Zoellnick. Das müssen die Vereinigten Staaten auch, hat der Europäische Rat im März 2000 doch verkündet: "Die Union hat sich heute ein strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen." Ein zentrales Instrument hierzu war die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung. Sollte er einmal dem Dollar seinen Rang streitig machen, so könnte Brüssel mit seiner Finanzpolitik die Spielregeln des globalen Kapitalismus bestimmen.

Höhere Militärausgaben
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zu einer starken Währung gehört nämlich ein starkes Militär zwecks Sicherung der Dominanz. Aus diesem Grund unternehmen die alt-europäischen Regierungschefs im Moment verstärkte Anstrengungen zum Aufbau einer schlagkräftigen Armee. Bei einem Treffen in Brüssel wollten Luxemburg, Belgien, Frankreich und Deutschland sich in der Abschlußerklärung zunächst sogar verpflichten, den Militärhaushalt ihrer Länder binnen der nächsten zehn Jahre zu verdoppeln; nur politische Opportunität hielt sie von der Aufnahme dieses Passus' in das Kommuniqué ab. Wo das Geld dafür herkommen soll, weiß Schröder schon. Die Notwendigkeit des Kahlschlagprogramms "Agenda 2010" begründete er nicht zuletzt mit höheren Militärausgaben wegen "unsere(r) Verantwortung für ein starkes Europa und damit für seine Rolle in der Welt". Damit die Bundeswehr gemeinsam mit dem Militär anderer Nationen diese "Verantwortung" tatsächlich auch über alle Grenzen wahrnehmen kann, hat Verteidigungsminister Peter Struck neue "Verteidigungspolitische Richtlinien" erlassen. "Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geographisch eingrenzen", heißt es darin.
Andererseits sind alte und neue Welt wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Zehn Prozent aller bundesdeutschen Exporte gehen in die USA. Europäische Konzerne hatten an den anno 2000 in den Vereinigten Staaten getätigten Investitionen einen Anteil von 75 Prozent. Ihr Wert belief sich auf 835 Milliarden Dollar. Bei Siemens, Daimler & Co. stehen sieben Millionen Nordamerikaner unter Vertrag; Umgekehrt arbeiten in Europa sechs Millionen Menschen für US-Konzerne. Der Leverkusener Chemiemulti Bayer macht zum Beispiel fast ein Drittel seines Umsatzes in den Vereinigten Staaten. Um den fürchtete er ebenso wie die anderen bundesdeutschen Unternehmen angesichts der Krise der transatlantischen Beziehungen. Firmen wie Treif Maschinenbau und Krauss-Maffei gaben ihr schon die Schuld für den Verlust von US-amerikanischen Staatsaufträgen.

Schröder zur Ordnung gerufen

Prompt meldete sich Dieter Hundt als Präsident der bundesdeutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit einem offenen Brief zu Wort, der einen Antikriegsaufruf von Künstlern und Intellektuellen scharf kritisierte. "Erschütternd" fand es der Ober"arbeitgeber", wie die Autoren des Demonstrationsaufrufs einen demokratisch gewählten Staatschef gegen einen Diktator, der sein eigenes Volk unterdrückt, (...) ausspielen wollen". Auch der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Stefan Baron, rief die Nation zu den Waffen. Und DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp griff direkt zum Telefonhörer, um Gerhard Schröder auf sein geschäftsschädigendes Verhalten aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zum Bundeskanzler erhielt er eine Audienz bei Bush - er nutzte perfiderweise seine Tätigkeit bei einer AIDS-Initiative als Türöffner und eruierte vornehmlich die Chancen, mit Tausenden Daimler-LKW ins irakische Wiederaufbaugeschäft zu kommen. Im Interesse der Wirtschaft ruderte die Bundesregierung plötzlich zurück. Schröder & Co. nutzten alle diplomatischen Kanäle zur Deeskalation des Konflikts. Eifrig buhlten sie um Visiten US-amerikanischer Politiker. Und einige kamen wirklich. Bushs Handelsbeauftragter Robert Zoellick brachte zwar ein "tiefes Gefühl von Enttäuschung und Traurigkeit" über die verweigerte Waffenbrüderschaft zum Ausdruck, verlor darüber aber nicht seinen Geschäftssinn. "Es gibt keinerlei Zweifel, daß eine weitere enge Zusammenarbeit im beiderseitigen Interesse ist", sagte er und versicherte, niemand denke an ein Einfrieren der Handels- und Wirtschaftskontakte (Frankfurter Rundschau, 3.5.03). Neben Wolfgang Clement und Renate Künast traf er auch Ludolf von Wartenberg. Dieser wird in dem Gespräch die Chancen für die alte Irak-Connection unter den neuen Bedingungen ausgekundschaftet haben. Mitte Mai schließlich flog Minister Clement mit Managern zahlreicher Konzerne zum ökonomischen Friedensgipfel nach Washington, den der BDI gemeinsam mit der bundesdeutschen Botschaft in den Vereinigten Staaten und der US-Handelskammer organisiert hat - auch ein Gespräch mit Vizepräsident Dick Cheney sprang dabei heraus.
Der Leverkusener Chemiemulti Bayer, der den Wahlkampf von George W. Bush mit 200.000 Dollar unterstützt hatte, kann sich mit den Kriegszielen des US-Präsidenten unschwer identifizieren. Der Zugang zu billigem Öl liegt ebenso im Interesse des Pharmariesen wie die Aussicht darauf, mittelfristig das Preiskartell der OPEC zu brechen. Wie kaum ein anderer Industriezweig ist die Chemiebranche auf den kostbaren Rohstoff angewiesen. Sie braucht ihn zur Herstellung von Kunststoffen, Pestiziden, Farbstoffen und Fasern. Nicht einmal die Aspirinproduktion kommt ohne ihn aus. 100 Kilogramm Erdöl benötigt Bayer für 11500 Tabletten. Da fallen höhere Beschaffungskosten extrem ins Gewicht. Auch Bushs Plan einer Freihandelszone im Nahen Osten dürften die Chemiemanager gutheißen. Vielleicht wirft das Irak-Geschäft ja auch bald wieder mehr Profit ab. Die FAZ verspricht schon "blühende Landschaften": "Der Irak wird in den kommenden Jahren ein Wachstumsmarkt sein, wie ihn der Nahe Osten noch nicht erlebt hat", frohlockt das Blatt in dem "Runderneuerung einer Wirtschaft" überschriebenen Artikel (FAZ, 16.5.03). Somit scheint der Irak-Krieg ein Musterbeispiel für das zu sein, was der Ökonom Joseph Schumpeter "schöpferische Zerstörung" genannt hat. Und weitere Interventionen zeichnen sich bereits ab, zur Zeit genannt werden u.a. Syrien, Kolumbien, Iran und Indonesien.

Krieg und Wirtschaft - ein Paar
Grundsätzlich verabschieden sollte man sich von der idealistischen Vorstellung, daß Gewalt und Zerstörung "eigentlich" modernitätsfeindlich und unproduktiv sind - sozusagen die irrationale Seite des Kapitalismus darstellen, die es von seinen rationalen Formen wegzunehmen gelte. Denn das Gegenteil ist der Fall: Zerstörung und Krieg gehören elementar zur Entwicklung der Wirtschaft, ihrer Modernisierung und des "Fortschritts" allgemein.(1)
Denn der Kapitalismus stellt kein starres System dar. Vielmehr werden darin ständig alte Formen der Reproduktion von Gesellschaft und Leben zertrümmert, um den schöpferischen und wertschöpfenden Zugriff neuer technologischer, arbeitsorganisatorischer, sozialstrategischer und kultureller Formen zu ermöglichen - auf die Spitze getrieben jüngst durch "Patente auf Leben", welche sogar die Aneignung der elementarsten Lebensgrundlagen ermöglichen. Der Krieg hat dabei im globalen Maßstab eine ähnliche Funktion wie die Zertrümmerung des Sozialstaats im nationalen Rahmen.
So sehen es auch die Vertreter der amerikanischen "New Growth"-Theorie. M. Abramovitz und Mancur Olson beschreiben den Krieg als "grundbereinigende Erfahrung, die den Weg für neue Männer, neue Organisationen, neue Verfahrens- und Handelsformen eröffnet, die das technologische Potential besser zur Geltung bringen".(2) Mancur Olson war und ist Berater der amerikanischen und vieler anderer Regierungen, die sich nicht daran stoßen, daß er die Produktivität des Naziregimes in seinen "grundbereinigenden Modernisierungsfunktionen" lobt, da sie den Boden für die postnazistische Leistungsgesellschaft vorbereitet hätten.(3)
Die Entwicklung im Irak wird demnach ähnlich verlaufen wie seinerzeit in Jugoslawien. Der "Balkan-Stabilitätspakt" baute auf der Zerstörung der alten Staatlichkeit auf, indem er Zollhoheit, eine eigenständige Währung und eine nationale Industriepolitik abschaffte. Auf ähnliche Weise werden die Strukturen der künftigen irakischen Wirtschaft von den Siegermächten vorgegeben werden. Gleichzeitig werden neue, aus den blutigen Kriegen hervorgebrachte gewalttätige Gruppen (wie die UCK im Kosovo) zu regionalen Subeliten des neuen Wirtschaftsgefüges aufgebaut - in Kooperation mit den NGOs als Stoßkeilen transnationaler Zivilgesellschaft.
Die europäischen Multis werden in ihrer "Außenpolitik" gegenüber den Vereinigten Staaten zwischen kurz- und langfristigen wirtschaftlichen Zielen abwägen müssen. Der Konfrontationskurs anläßlich des Irak-Kriegs wird daher wohl zunächst zurückgefahren werden. Ob der Grad von Beeinflussung und Integration zwischen den USA und Europa dabei groß genug sein wird, daß die Spannungen nicht unmittelbar in einen imperialistischen Konflikt münden, wird die Zukunft zeigen. Zu konstatieren ist aber zunächst einmal ein forciertes Auseinanderdriften der kapitalistischen Blöcke und ein Sieg der amerikanischen Seite bei der Auseinandersetzung um den Irak.

Anmerkungen:
  • Detlev Hartmann, Ökonomie des Krieges, alaska, Nr. 239
  • Vgl. M. Abramovitz: Catching Up, Forging ahead and Falling Behind, J.ofEc.Hist 1986, S. 385, hier: 389
  • M. Olson, The Rise and Fall of Nations, New Haven 1982
Abdruck aus "Stichwort BAYER" 2/03

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