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Die Angst geht um in Camp Ashraf

Die Tragödie der iranischen Exilopposition in Irak

Von Behrouz Khosrozadeh *

Die Zukunft der iranischen Volksmudschahedin in Irak ist eines der größten ungelösten Probleme, die die US-Amerikaner nach ihrem Abzug aus dem Zweistromland hinterlassen haben: Die Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki will die Regimegegner aus dem Nachbarland mit aller Macht loswerden, nennt sie Terroristen und geht brutal gegen sie vor.

In Irak bahnt sich eine humanitäre Tragödie an. Auf Druck des Nachbarn Iran plant die irakische Regierung unter Premier Nuri al-Maleki die Ausweisung der Mitglieder der Volksmudschahedin, einer iranischen Oppositionsorganisation. Der irakische Plan sieht zunächst eine Umsiedlung der etwa 3400 Bewohner des Camps Ashraf-City innerhalb Iraks und danach eine Abschiebung ins Ausland vor. Dies sollte bis Ende des Jahres 2011 geschehen. Die Maßnahme ist jedoch auf internationalen Druck um sechs Monate aufgeschoben worden.

Ashraf-City liegt etwa 60 Kilometer nördlich von Bagdad und 120 Kilometer von der westiranischen Grenze entfernt. Sie ist seit 1986 die Residenz der iranischen Volksmudschahedin, die mit dem Ziel des Umsturzes des iranischen Regimes durch einen bewaffneten Kampf vom irakischen Boden aus gegen Iran operierten. Ihre Führung, im Jahre 1981 aus Iran geflüchtet, wurde auf Druck Teherans von der französischen Regierung gezwungen, ihren bisherigen Zufluchtsort Paris zu verlassen.

Der irakische Diktator Saddam Hussein, der sich im Krieg gegen Iran (1980 - 1988) befand, nahm die Volksmudschahedin auf. Er schenkte ihnen großzügig ein großes Camp und half ihnen, das Lager in eine kleine Stadt mit moderner Infrastruktur umzubauen. Saddam stattete sie mit Geld und Waffen aus. Letztere bestanden überwiegend aus erbeuteten iranischen Kriegsgeräten. Keine bewaffnete Oppositionskraft in der Geschichte verfügte über so viel schwere Kriegsmaschinerie, zu der auch zahlreiche Panzer und Hubschrauber gehörten. Die Führer der Volksmudschahedin betrachteten Irak als ein Sprungbrett für ihre »Nationale Befreiungsarmee« zum Marsch auf Teheran. Dieser Marsch der Befreiungsarmee ging im Juli 1998 kurz nach dem Waffenstillstand im Krieg an den iranischen Grenzen mit herben Verlusten verloren.

Wer sind die Volksmudschahedin? Die Bewegung wurde 1965 als eine im Untergrund gegen das Schah-Regime agierende bewaffnete Guerillaorganisation gegründet. Sie war marxistisch angehaucht und bekennt sich zu einem »revolutionär-fortschrittlichen Islam«. In den 70er Jahren verübten sie mehrfach Anschläge auf Staatsbedienstete sowie US-Militärberater in Iran.

Nach dem Sieg der Revolution 1979 begannen Ayatollah Khomeini und sein machtbesessenes Umfeld sukzessive, alle an der Revolution beteiligten Linken und Liberalen, insbesondere die Volksmudschahedin, auszuschalten. Mit stillschweigender Unterstützung Khomeinis wurden Versammlungen der Volksmudschahedin, damals stärkste Oppositionskraft, permanent angegriffen.

Bis zum Juni 1981, als es zu Straßenschlachten zwischen Anhängern der Organisation und bewaffneten Banden des Regimes kam, hatten die Volksmudschahedin keine Gewalt gegen Regimekräfte angewandt. Sie wollten eine faire Chance zur Teilnahme an politischer Willensbildung erhalten. Die Volksmudschahedin konnten die Machtmonopolisierung durch die Mullahs, die am wenigsten Opfer im Kampf gegen den Schah erbrachten, nicht hinnehmen.

Die Volksmudschahedin haben die blutige Gewaltspirale nicht begonnen. Selbst an jenem 20. Juni 1981, an dem Zehntausende ihrer Anhänger in Teheran gegen die Absetzung des liberalen Präsidenten Abol-Hassan Bani Sadr auf die Straße gingen, waren sie lediglich mit leichten Waffen wie Pfefferspray und Teppichmessern ausgerüstet. Sie hatten keine Chance gegen die bis an die Zähne bewaffneten Revolutionswächter und Regime-Milizen.

Der mittlerweile regimekritische Ayatollah Seyed Hussein Mousavi Tabrizi, der als Generalstaatsanwalt nach dem Juni 1981 massenhaft Todesurteile gefällt hatte, konzediert, dass die Hardliner des Regimes bereits am ersten Tag nach dem Sieg der Revolution die gewaltsame Ausschaltung der Volksmudschahedin planten, indem sie diese zu einem bewaffneten Kampf verführen wollten. Die Organisation stellte sich nach jenem Juni 1981 an die Seite Bagdads und verübten Anschläge auf Offizielle des iranischen Staates.

Die Mullahs haben die Geschichtsschreibung Irans in ihrem Sinne verfälscht. Die Kurswende der Mudschahedin hin zum Schulterschluss mit Saddam, der für viele Iraner als Vaterlandsverrat galt, haben die Volksmudschahedin in Iran unpopulär gemacht. Sie bilden dennoch mit ihrer Anhängerschaft und üppigen - nicht transparenten - Finanzausstattung eine starke Oppositionskraft, die aber von anderen Oppositionellen misstrauisch beäugt wird.

Seit dem Sturz Saddams und der Entstehung eines Iran-freundlichen Regimes in Irak gehört die Organisation zu den großen Verliererinnen des Irak-Krieges. Seit das Camp 2009 aus der Obhut der US-Truppen in die der irakischen Regierung überging, hat sich das leidvolle Leben der Bewohner dramatisch verändert. Durch Übergriffe der irakischen Armee sind Dutzende Menschen getötet worden. Die Camp-Bewohner fürchten im Falle der Umsiedlung innerhalb Iraks Anschläge von iranischen Agenten.

In den USA und Europa setzen sich zahlreiche Politiker für eine humanitäre Lösung des Problems ein, in Deutschland z. B. die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), der frühere EU-Kommissar Günther Verheugen (SPD) und der LINKE-Bundestagsabgeordnete Thomas Nord. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass sich die Bundesregierung bereit erklärt hat, iranische Flüchtlinge aufgrund der tödlichen Bedrohung aufzunehmen.

* Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012


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