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Irak hat eine neue (Übergangs-)Regierung

Dokumentiert: die Kabinettsliste

Die USA, die EU, die deutsche Regierung und der UN-Generalsekretär haben die Bildung einer irakischen Regierung einhellig begrüßt. Wieviel sie indessen wirklich wert ist, wird die Zukunft zeigen. Die Anschläge jedenfalls haben am Tag der Kabinettsbildung signifikant zugenommen. Der Irak ist von einem Zustand der Stabilität himmelweit entfernt und der neuen Übergangsregierung mangelt es weiterhin an Legitimation.



Stimmen zur Kabinettsbildung

Fast drei Monate nach den Wahlen im Irak kann die neue Regierung von Ministerpräsident Ibrahim el Dschaafari die Arbeit aufnehmen. Die Abgeordneten des Bagdader Parlaments billigten am 28. April mit großer Mehrheit die allerdings noch unvollständige Kabinettsliste, wie Parlamentspräsident Hadschem el Hassani mitteilte. Fünf Ressorts, darunter die wichtigen Ministerien für Verteidigung und Öl, sollen erst in den kommenden Tagen endgültig besetzt werden. Auch die Benennung zweier von vier Vize-Regierungschefs steht noch aus.

Nach der von Dschaafari vorgelegten Kabinettsliste bleibt Hoschjar Sebari Außenminister. Der Kurde hatte das Amt bereits im scheidenden Kabinett von Übergangsregierungschef Ijad Allawi inne. Zu Vize-Ministerpräsidenten wurden der Schiite Ahmed Tschalabi und Rodsch Nuri Schawais ernannt. Wirtschaftsminister wird Ali Allawi. Dschaafari berief auch sieben Frauen auf Regierungsposten, darunter an die Spitze der Ministerien für Kommunikation, Wissenschaft und Flüchtlinge.

Fünf Ministerien werden nur übergangsweise besetzt. Dschaafari selbst wollte zunächst das Verteidigungsressort, Tschalabi das Ölministerium übernehmen. Auch für das Industrie-, Elektrizitäts- und das Menschenrechtsministerium wurden noch keine endgültigen Kandidaten benannt. Der neue Ministerpräsident hatte die Regierungsbildung am 27. April nach wochenlangen Verhandlungen und Postenschacher abgeschlossen.

Die EU-Kommission hat die Wahl einer neuen Regierung im Irak begrüßt. Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sagte in Brüssel, die EU könne nun vorangehen, um beim Aufbau des Landes zu helfen. Sie hoffe, rasch mit der Regierung unter anderem über die internationale Irak-Konferenz Ende Juni in Brüssel sprechen zu können.

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat dem irakischen Ministerpräsidenten Ibrahim el Dschaafari und seinem Kabinett zur Ernennung gratuliert. Er wünsche Dschaafari für die "verantwortungsvolle Aufgabe, die Sicherheitslage in Ihrem Land zu verbessern, ein demokratisches Regierungssystem aufzubauen und den Wiederaufbau des Irak voranzutreiben" Erfolg, schrieb Schröder am 28. April in einem Telegramm nach Bagdad. Die Bundesregierung sei entschlossen, die irakische Regierung "auf diesem Weg zu unterstützen". Zugleich lud Schröder Dschaafari zu einem Besuch nach Berlin ein.

US-Präsident George W. Bush hat die Bildung der neuen irakischen Regierung begrüßt. Er beglückwünsche die neuen politischen Führer des Landes im Namen aller Amerikaner, erklärte Bush am 28. April in Washington. Zugleich versicherte er, die USA würden ihre Unterstützung für den Aufbau einer Demokratie im Irak fortsetzen.


The following statement was issued today by the Spokesman for United Nations Secretary-General Kofi Annan

The Secretary-General welcomes the establishment today of the Transitional Government of Iraq, and is pleased that this is the result of a broadly consultative and democratic process following the successful elections of 30 January. The Secretary-General notes the ongoing efforts to ensure that the new Government is as representative and inclusive as possible, and hopes that these efforts meet the expectations of all of Iraq’s communities.

The United Nations is committed to doing everything possible to assist Iraq to move forward to the next phase of its political transition, particularly the drafting of a new constitution and the holding of a referendum and national elections. To that end, the United Nations Assistance Mission for Iraq (UNAMI) looks forward to working closely with the new Iraqi authorities and the people of Iraq.

28/4/2005; Website: http://www.un.org/News/Press/docs/2005/sgsm9843.doc.htm



Tödliche Begleitmusik

Die radikalislamische Gruppe Ansar el Islam hat nach eigenen Angaben im Irak sechs sudanesische Geiseln erschossen, weil diese Geschäfte mit der US-Armee gemacht haben sollen. Auf einer islamistischen Internetseite wurde am 28. April ein Video veröffentlicht, in dem die sechs Geiseln sich identifizieren und aussagen, sie hätten als Fahrer für die jordanische Firma El Daud gearbeitet, die mit den US-Streitkräften Geschäfte betreibe. Dies bereuten sie zutiefst, sagten die Geiseln. Danach waren Schüsse und "Allahu Akbar"-Rufe ("Gott ist groß") zu hören. Auf unscharfen Bildern waren niedergebeugte Menschen und Männer mit Gewehren zu sehen.

Bei der Explosion eines Sprengsatzes im Norden Iraks ist am Abend des 28. April ein US-Soldat ums Leben gekommen. Vier weitere Soldaten wurden nach Armeeangaben verletzt. Der Zwischenfall ereignete sich in der Nähe von Hawidscha, 240 Kilometer nördlich von Bagdad. Seit Beginn des Irak-Kriegs im März 2003 kamen damit nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AP mindestens 1.572 US-Militärangehörige ums Leben.

Einen Tag nach der Vorstellung der neuen Regierung in Bagdad sind im Irak bei einer Serie von Autobombenanschlägen mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen. Mindestens 64 Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums bei den sieben fast zeitgleichen Explosionen am Morgen des 29. April verletzt.
In Bagdad explodierten am Morgen in zwei Stadtvierteln im Norden und Osten vier Autobomben und töteten mindestens 13 Menschen, 50 weitere wurden verletzt. Die offenbar koordinierten Anschläge richteten sich gegen irakische Sicherheitskräfte und explodierten neben Polizei- und Armeepatrouillen sowie in der Nähe eines Polizeikommissariats.
In der 30 Kilometer südlich von Bagdad gelegenen Stadt Madain starben mindestens fünf Menschen bei der nahezu gleichzeitigen Explosion von drei Autobomben. 14 weitere Menschen wurden laut Innenministerium verletzt. Die Anschläge richteten sich gegen eine Fernmeldezentrale, ein Krankenhaus und eine Polizeipatrouille.
In Erbil im Kurdengebiet im Norden des Landes starben nach Behördenangaben ein Sprengstoffexperte und ein Zivilist bei einer Bombenexplosion. Bei einer Bombenexplosion im südirakischen Basra starb ein Mensch, zwei weitere wurden nach Krankenhausangaben verletzt.


I am happy that at last there is a government but it is unfortunate that the designation of government will coincide with the atrocities that we saw [today]. I appeal to all Iraqis to desist from these violent acts. The people deserve better. They want to get on with their lives and we should do everything we can to assist the Iraqis in creating a society that is inclusive, that is participatory and I have instructed my Special Representative to work with the parties towards that end.
Kofi Annan in einer Pressekonferenz am 29. April 2005



Die irakische Kabinettsliste

Dem Kabinett des irakischen Ministerpräsidenten Ibrahim al Dschaafari gehören 37 Minister und Staatsminister an. Sieben Ämter sind noch nicht besetzt. Nachfolgend eine Liste, geordnet nach religiösen und ethnischer Zugehörigkeit.
  • Ministerpräsident: Ibrahim al Dschaafari, schiitischer Araber
  • Stellvertretender Ministerpräsident: Rowsch Nuri Schawajs, Kurde
  • Stellvertretender Ministerpräsident: Ahmad Tschalabi, schiitischer Araber
  • Zwei stellvertretende Ministerpräsidentenämter: Unbesetzt
Schiiten:
  • Finanzminister: Ali Allawi
  • Innenminister: Bakir Dschabr
  • Wohnungs- und Bauminister: Dschassim Mohammed Dschaafar
  • Erziehungsminister: Abdul Falah Hassan
  • Bildungsminister: Sami al Mudafar
  • Gesundheitsminister: Abdel Mutalib Mohammed
  • Landwirtschaftsminister: Ali al Bahadli
  • Justizminister: Abdel Hussein Schandal
  • Verkehrsminister: Salam al Maliki
  • Migrationsministerin: Suhaila Abed Dschaafar
  • Staatsminister für Nationale Sicherheit: Abdul Karim al Inasi
  • Staatsminister für Bürgerfrage: Alaa Habib
  • Staatsminister für die Nationale Versammlung: Safa al Din al Safi
  • Jugend- und Sportminister: Talib Asis Sajni
Kurden:
  • Außenminister: Hoschjar Sebari
  • Handelsminister: Abdel Bassit Karim
  • Plannungs- und Entwicklungsminister: Barham Salih
  • Fernmeldeministerin: Dschwan Fuad Maassum
  • Arbeits- und Sozialminister: Idris Hadi
  • Minister für Wasservorkommen: Abdul Latif Raschid
  • Ministerin für Gemeinden und Öffentliche Arbeiten: Nasrin Berwari,
  • Umweltministerin: Narmin Othman
Sunnitische Araber:
  • Kulturminister: Nuri Farhan al Rawi
  • Staatsministerin für Frauenangelgenheiten: Aschar Abdel-Karim
  • Staatsminister für Provinzen: Saad al Hardan
  • Staatsminister für Tourismus und Archäologie: Haschim al Haschimi
Christen:
  • Wissenschafts- und Technologieministerin: Bassima Jussef
Übergangspositionen:
  • Amtierender Verteidigungsminister: al Dschaafari (Amt soll an Sunniten gehen)
  • Amtierender Electrizitätsminister: Schawajs (Amt soll an Schiiten gehen)
  • Amtierender Ölminister: Ahmad Tschalabi (Amt soll an Schiiten gehen)
  • Amtierender Menschenrechtsminister: Othman (Amt soll an Sunniten gehen)
  • Amtierender Industrieminister: Muslih al Dschubburi (Amt soll an Kurden gehen)
Quelle: AP, 29. April 2005


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