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Statt in die Schule zum Job bei der Miliz

Viele Kinder in Irak müssen mit für den Lebensunterhalt der Familie sorgen

Von Karin Leukefeld *

Die Lebensbedingungen von Kindern in Irak haben sich dramatisch verschlechtert. »Wir haben jeden Tag ungefähr acht Stunden gearbeitet, zwei Männer haben uns beaufsichtigt«, erzählte vor wenigen Wochen der elfjährige Seif Abdulrafiz aus Bagdad Mitarbeitern des UN-Informationsnetzwerks IRIN. »Wir«, das sind er und seine zwei Brüder, die ihr Geld damit verdienten, Bomben zu bauen. Vater und Mutter seien arbeitslos gewesen, also sei ihnen nichts geblieben, als die Schule zu verlassen, um zu arbeiten. Dort habe man ihnen zu essen gegeben und am Ende des Tages hätten sie ihren Lohn bekommen, »manchmal sieben, manchmal zehn US-Dollar, je nachdem, wie viele Bomben wir gebaut haben«. Die Arbeit sei aus zwei Gründen gut, hatten die Eltern Seif und seinen Brüdern erklärt: »Sie hilft, unsere Familie zu ernähren, und sie unterstützt den Kampf gegen die Besatzer.«

Viele Familien, deren männliches Oberhaupt getötet wurde oder arbeitsunfähig ist, sehen keine andere Möglichkeit, als ihre Kinder Milizen zu übergeben, die für sie sorgen und wo sie sich durch das Putzen von Waffen, den Transport von Bomben oder durch Kochen einen kleinen Lohn verdienen. Anfangs habe sie Angst gehabt, erzählt eine Witwe und Mutter von fünf Kindern aus Sadr City, deren Söhne bei der Mehdi-Miliz arbeiten. »Aber jetzt bringen meine zwei Jungen jeden Tag mindestens fünf Dollar nach Hause und ich habe Geld, um auch meine Töchter zu ernähren.«

Die massenhafte Flucht von Ärzten, Krankenschwestern und Lehrern, die normalerweise für das Wohl von Kindern sorgen, erschwere die Lebensbedingungen irakischer Kinder zusätzlich, sagt Roger Wright, der UNICEF-Sonderbeauftragte in Irak. Nur 30 Prozent der Kinder hätten Zugang zu sauberem Wasser. Die ersten Cholerafälle seien aufgetreten und die Angst wachse, dass sich die Seuche in den heißen Sommermonaten ausbreitet. In den letzten 18 Monaten habe sich die Situation der Kinder enorm verschlechtert, bekräftigt auch Daniel Toole, Direktor des UNICEF-Nothilfeprogramms. Um besser helfen zu können, brauche UNICEF für das nächste halbe Jahr 42 Millionen US-Dollar. Das Hilfswerk hat keine Beweise dafür, dass Kinder als Soldaten eingesetzt werden. In der Geschichte habe es das in Irak nie gegeben. Doch aufgrund von Arbeitslosigkeit und Vertreibung hält Toole es mittlerweile für möglich, dass Kinder in Milizen aktiv sind. Für Kinder, die voller Wut sind, die gesehen haben, wie Häuser und Dörfer zerstört oder ihre Eltern getötet wurden, sei dies eine »verführerische Option«, fürchtet Toole.

Ohne Kindheit

  • Weltweit arbeiten 246 Millionen Kinder; mehr als 70 Millionen sind jünger als zehn Jahre. 8,4 Millionen arbeiten in sklavenähnlichen Verhältnissen, als Dienstmädchen, in Minen und Steinbrüchen. Etwa 1,8 Millionen arbeiten im Sexgewerbe.
  • Weltweit sind etwa 143 Millionen Kinder Waisen.
  • Es gibt mehr als 100 Millionen Straßenkinder.
  • Mehr als eine Million Kinder sitzen in Gefängnissen.
  • Auf 250- bis 300 000 schätzt man die Zahl der Kindersoldaten.
  • 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Jungen wurden 2002 Opfer von Vergewaltigung oder sexueller Gewalt.
  • Täglich werden mehr als 8000 Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt.
  • In den 50 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt stirbt eines von sechs Kindern vor seinem fünften Geburtstag.
  • Ende 2004 waren rund 48 Prozent aller Flüchtlinge Kinder.
  • Über 115 Millionen Kinder im Grundschulalter gehen nicht zur Schule.
Quelle: UNICEF


* Aus: Neues Deutschland, 1. Juni 2007

Kinder im Irak: UNICEF-Hilfe geht weiter

UNICEF ruft dringend zur Hilfe auf

23.05.2007 - Im Irak haben sich die Lebensbedingungen für Kinder nach Einschätzung von UNICEF dramatisch verschlechtert. Jedes fünfte Kind ist mangelernährt. Mehr als zwei Drittel aller Kinder haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Bombenexplosionen, Entführungen und Kämpfe bestimmen den Alltag in weiten Teilen des Landes. Aus Angst vor der anhaltenden Gewalt haben mittlerweile fast 15 Prozent der irakischen Bevölkerung ihre Heimat verlassen und befinden sich auf der Flucht. Rund die Hälfte dieser vier Millionen Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. UNICEF bittet um Spenden, damit die Kinder im Irak und die Flüchtlingsfamilien in den Nachbarstaaten Jordanien und Syrien dringend benötigte Unterstützung erhalten.

„Humanitäre Hilfe für Kinder ist derzeit die bestmögliche Investition in die Zukunft des Irak“, sagte Dietrich Garlichs, Geschäftsführer UNICEF Deutschland. „Trotz der gefährlichen Sicherheitslage können wir die meisten Kinder mit unserer Unterstützung erreichen - und für jedes einzelne Kind ist sie wichtig.“.

Rund 750.000 Iraker haben im Nachbarland Jordanien Zuflucht gesucht; schätzungsweise 1,25 Millionen irakische Flüchtlinge leben in Syrien. Mehr als 1,9 Millionen Iraker sind Binnenflüchtlinge und suchen oft in Gemeinden Schutz, deren Möglichkeiten zur Unterbringung und grundlegender Gesundheitsversorgung schon überstrapaziert sind. Unter den Flüchtenden sind viele Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer. Ihre Fürsorge fehlt den Kindern im Irak, die oft bereits ihre Väter in den Kämpfen verloren haben.

Die Wasser- und Abwassersysteme sind weitgehend zerstört. Nur schätzungsweise 30 Prozent der Kinder haben sauberes Trinkwasser zur Verfügung. UNICEF befürchtet, dass es in den bevorstehenden heißen Sommermonaten zu Choleraausbrüchen kommen könnte. In der vergangenen Woche waren erste Verdachtsfälle bei Kindern gemeldet worden.

UNICEF hat kürzlich in einer landesweiten Impfkampagne zusammen mit der Weltgesund-heitsorganisation 3,6 Millionen Kinder gegen die gefährlichsten Kinderkrankheiten Masern, Mumps und Röteln geimpft. In den vergangenen Monaten wurden zudem 4,7 Millionen Grundschulkinder mit Schulmaterial versorgt. Tausende mangelernährte Kinder erhielten Zusatznahrung. Im Raum Bagdad versorgt UNICEF täglich 120.000 Menschen mit Trinkwasser durch Tankwagen. In Kurdistan und im Süden des Irak stellt UNICEF Material zur gesundheitlichen Versorgung und Geburtshilfe für Flüchtlingsfamilien zur Verfügung. Für die Flüchtlingskinder in Jordanien und Syrien will UNICEF eine gesundheitliche Basis-versorgung sicherstellen und Schulunterricht ermöglichen. Um den Flüchtlingsfamilien im Irak und in den Nachbarstaaten weiter helfen zu können, bittet UNICEF dringend um Spenden:

Spendenkonto 300.000;
Bank für Sozialwirtschaft Köln (BLZ 370 205 00)
Stichwort: Irak



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