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Kirkuk bleibt ein Zankapfel

Iraks Kurden wollen die ölreiche Provinz ihrem Autonomiegebiet angliedern

Von Karin Leukefeld *

In mehreren irakischen Städten haben Kurden am Mittwoch gegen das neue Provinzwahlgesetz demonstriert. Strittig sind dabei die Regelungen für die erdölreiche Provinz Kirkuk, die die Kurden ihrer Autonomieregion in Nordirak eingliedern möchten. Das Gesetz sieht für Kirkuk Mechanismen vor, die dies verhindern sollen.

Mehr als 100 000 Kurden haben am Mittwoch (30. Juli) in Arbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion in Irak, für ihre Rechte demonstriert. Nach Angaben der kurdischen Regionalregierung (KRG) forderten die Demonstranten die Umsetzung von Artikel 140 der irakischen Verfassung, der den Kurden ein Referendum über die Zukunft der Ölmetropole Kirkuk garantiert. Die kurdische Regionalregierung verspricht sich von dem Referendum ein eindeutiges Votum für den Anschluss Kirkuks an das Gebiet des autonomen kurdischen Staates in Nordirak.

Während die Kurden in Kirkuk diese Hoffnung teilen, sind die dort lebenden Araber und Turkmenen der Meinung, Kirkuk solle politisch und militärisch nicht vom irakischen »Kernland« getrennt werden. Die irakische Regierung hatte das Referendum Ende 2007 vorerst auf Eis gelegt, was von der USARegierung, der Türkei und Saudi-Arabien begrüßt worden war. Sie befürchten, dass ein Anschluss Kirkuks an die kurdische Autonomieregion die Spaltung Iraks einerseits und einen Machtzuwachs der Kurden andererseits fördern könnte. Nun sollen die mit internationalem Geld und Beratern der Vereinten Nationen vorbereiteten Pro-vinzwahlen im Oktober 2008 die politischen Verhältnisse in Kirkuk neu ordnen.

Am Montag (28. Juli) hatte sich in Kirkuk eine schwere Bombenexplosion ereignet, bei der 25 Menschen getötet und 180 verletzt wurden. Als die Bombe explodierte, waren in der Stadt gerade Tausende kurdische Demonstranten unterwegs, um gegen das neue Gesetz zur Durchführung der Provinzwahlen zu protestieren, das vom irakischen Parlament in der vergangenen Woche verabschiedet worden war. Der Kurdische Block und einige Abgeordnete des (schiitischen) Hohen Rates für ein Islamisches Irak lehnten das Gesetz ab und waren der Abstimmung ferngeblieben. Der irakische Präsident Dschalal Talabani, ebenfalls ein Kurde, kritisierte die Abstimmung trotz des Auszugs des Kurdischen Blocks als »verfassungswidrig«. Daraufhin führten der Präsident der kurdischen Region, Masud Barzani, sowie sein Neffe und Ministerpräsident Nechirvan Barzani am Mittwoch Gespräche in Bagdad, um den weiteren Umgang mit dem Wahlgesetz zu besprechen. Man hoffe, »eine Lösung durch Dialog und Zusammenarbeit« zu finden, hieß es anschließend.

Der Protest der Kurden bezieht sich nach Aussagen von Beobachtern auf einen Abschnitt des Gesetzes, der den ethnischen Gruppen in einem zukünftigen Regierungsrat in Kirkuk jeweils eine gleiche Anzahl an Sitzen garantiert – unabhängig von ihrem Bevölkerungsanteil. Ob es tatsächlich noch zu den Provinzwahlen im Oktober kommen wird, ist inzwischen fraglich. Auch wenn der Streit zwischen dem Kurdischen Block und der Regierung in Bagdad beigelegt werden sollte, liegen in Kirkuk selber die Nerven blank. Nach der Explosion am Montag war es zu chaotischen Szenen gekommen, als Polizisten in die Luft feuerten und damit unter den Demonstranten eine Panik auslösten.

Als einige Demonstranten in einem Haus Schutz suchen wollten, wurden sie von den davor stehenden Wachleuten unter Feuer genommen. In dem Haus befindet sich das Büro der Turkmenischen Minderheit in Kirkuk, und die Wachleute hatten offenbar befürchtet, die Zentrale solle von den Kurden gestürmt werden. Bei der anschließenden Panik starben mehr Menschen als zuvor beim Attentat. Die vertriebenen Demonstranten zündeten aus Wut über die Turkmenen Fahrzeuge vor dem Gebäude an und setzten auch das Büro anschließend in Brand. Nur durch eine Ausgangssperre habe man die Lage unter Kontrolle bringen können, meinte Kirkus Polizeichef, Generalmajor Jamal Taher.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2008


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