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Kampf um Kirkuk

Im kurdisch dominierten Nordirak wird erbittert um den Zugriff aufs Öl gestritten. Die Parlamentswahlen sind da bestenfalls zweitrangig. Eine Reportage

Von Karin Leukefeld, Sulaimania *

Der Himmel scheint sich über Sulaimania geöffnet zu haben in diesen frühen Morgenstunden. Das Taxi weicht tiefen Pfützen und riesigen Schlaglöchern aus, der Fahrer Ali nimmt kleine Nebenstraßen, um schneller die Stadtgrenze zu erreichen. Im arabischen Radioprogramm der britischen BBC berichtet der Nachrichtensprecher von den Anschlägen in Bakuba, bei dem am Vortag 35 Menschen getötet und mindestens 60 Menschen verletzt wurden. Die Anschläge folgten in dichter Folge und trafen, wie schon so oft im Irak, schließlich auch Ärzte und Krankenwagenfahrer, die den Opfern der vorhergehenden Anschläge zur Hilfe geeilt waren. »Wie können Menschen so etwas machen«, seufzt Ali kopfschüttelnd. Dann dreht er das Radio lauter, hört aufmerksam zu und beginnt zu übersetzen. Gesendet wird ein Interview mit dem ehemaligen irakischen Geheimdienstchef Mohammed Abdullah Al-Shahwani, der im August 2009 zurücktrat und nach London floh. Shahwani, sunnitischer Turkmene aus Kirkuk und verheiratet mit einer schiitischen Irakerin, war in den 1960er Jahren in den USA militärisch ausgebildet worden. 1989 wurde er verhaftet, kam wieder frei und floh nach London. Shahwani kooperierte mit dem britischen Geheimdienst MI6 und dem CIA und kehrte mit den Amerikanern 2003 in den Irak zurück, wo er Chef des neuen Geheimdienstes (INIS) wurde. Nach den Anschlägen auf Regierungsgebäude im August 2009 erklärte Shahwani, er habe Beweise, daß der Iran verantwortlich sei, doch der irakische Regierungschef Nuri Al-Maliki beschuldigte Syrien. Shahwani floh erneut nach London. Nun spricht er über die Anschläge in Bakuba, während Ali das Taxi in Richtung Kirkuk steuert und übersetzt. Auch über die Morde an Christen in Mosul spricht Shahwani. »Er sagt, die Peschmerga der KDP sorgen in Mosul für Unruhe«, übersetzt Ali. »Barsani soll sie abziehen.« Das bestätigt, was Faleh Francis, Arzt und chaldäischer Christ aus Bagdad, am Abend zuvor über Mossul erzählte. »Einige sagen Al-Qaida steckt dahinter, andere sagen, die Kurden«, meinte er auf die Frage, wer für die Morde in Mosul verantwortlich sei, die seit Jahren die Christen terrorisieren. Die Stadt sei schlimmer als Bagdad, Bakuba oder Diyala. Zwei konkurrierende Gruppen trügen ihren tödlichen Kampf auf dem Rücken der schutzlosen Christen aus, so Doktor Faleh, der 2006 in Bagdad nur knapp einem Entführungsversuch entkommen war und seitdem in Sulaimania lebt. »Auf der einen Seite kämpfen die arabischen Sunniten und auf der anderen Seite die Kurden, die Christen stehen im Kreuzfeuer.«

Am Kontrollpunkt

Das Taxi hat die Stadtgrenze von Sulaimania längst hinter sich gelassen. Ali, Sohn einer kurdischen Mutter und eines arabischen Vaters aus Bagdad, floh auch vor der Gewalt in Bagdad und lebt seit 2007 in Sulaimania. Er tritt das Gaspedal durch und schlingert über die nasse Straße. Die Scheibenwischer kämpfen mit den Wassermassen, die auf den Wagen einprasseln, nach etlichen Kilometern zwingt der erste Kontrollpunkt zum Anhalten. Kurdische Peschmerga der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) blicken durchs Fenster und winken den Wagen durch, ähnlich verlaufen die Kontrollen an den nächsten beiden Checkpoints, die bis zur Abzweigung nach Kirkuk liegen. Längst ist die Provinzgrenze von Sulaimania nach Al-Tamin überquert als sich im immer noch dichten Regen ein turmartiges Gebilde erhebt, um das schwere, hohe US-Fahrzeuge mit auffälligen Antennen gruppiert sind. Dazwischen ragen Schutzwälle auf, wie sie in Bagdad inzwischen gang und gäbe sind. Der Kontrollpunkt wird von Polizeikräfte aus Kirkuk kontrolliert, während die US-Soldaten sich im Hintergrund halten. Nach der Kreuzung, an der sich die Straße nach Bagdad, Kirkuk und Erbil aufzweigt, muß ein weiterer Kontrollpunkt passiert werden, an dem Polizei aus Kirkuk und US-Militär gemeinsam stehen. Eigentlich hatten sich die US-Besatzer von den irakischen Straßen zurückziehen wollen, doch die Kämpfe um die Vorherrschaft in den »umstrittenen Gebieten« von Kirkuk über Mosul bis an die syrische Grenze haben sie wieder auf den Plan gerufen. Seit Ende 2009 kontrollieren sie an kritischen Punkten und versuchen, irakische Kurden und irakische Araber und Turkmenen zu trennen. Wie Mosul ist auch Kirkuk in ein kurdisch und ein arabisch kontrolliertes Gebiet aufgeteilt, die Bevölkerung wird zwischen den verhärteten Fronten zerrieben. Während die kurdische Regionalregierung (KDP und PUK) auf der Eingliederung der Gebiete in die Kurdenregion besteht und das mit einem in Artikel 140 der irakischen Verfassung verankerten Referendum durchsetzen will, hält die Zentralregierung in Bagdad dagegen und weiß viele Christen, Turkmenen, sunnitische und schiitische Araber hinter sich.

»Mosul war nie kurdisch«, hatte Mohammad Tofiq, Sprecher der Goran-Bewegung (Bewegung für den Wechsel), in Sulaimania wenige Tage zuvor gegenüber junge Welt erklärt. Und während alle möglichen Kräfte sich über Kirkuk streiten würden, wolle Goran, daß »die Leute aus Kirkuk selbst entscheiden«. »Wir müssen realistisch sein«, bekräftigte auch Goran-Kandidat Sarko Osman den Standpunkt. Die Kinder der Flüchtlinge, die am Ende des Iran-Irak-Krieges 1988/89 aus Kirkuk vertrieben worden waren, hätten ihre Wurzeln in Sulaimania, »ebenso wie die junge Generation der Araber in Kirkuk ihre Wurzeln dort haben und nicht mehr in Basra oder Nassarija, von wo Saddam Hussein sie zwang umzusiedeln«. Das Referendum und eine Rücksiedlung von Arabern in den Südirak und von Kurden nach Kirkuk ließe sich nicht umsetzen, so Osman: »Die Vergangenheit läßt sich nicht mit Gewalt zurückbringen.«

Traum von Großkurdistan

Kurz vor der Einfahrt nach Erbil hat sich der Himmel aufgeklärt, die Sonne strahlt auf saftig grüne Wiesen. Ein bunt beflaggter Konvoi der Turkmenen-Front biegt von der Hauptstraße in eines der Dörfer ab, vorne und hinten von Fahrzeugen begleitet, aus deren Fenstern Gewehre ragen. Aus Erbil kommend rast mit hoher Geschwindigkeit ein VIP-Konvoi vorbei, begleitet von einem guten Dutzend gepanzerter Fahrzeuge, auf denen Maschinengewehre aufgebaut sind. Die Schützen haben ihre Gesichter mit schwarzen Sturmhauben maskiert.

Anders als in Sulaimania wirkt der Wahlkampf in Erbil eher lahm. Kaum ein Fahrzeugkonvoi, weit weniger Plakate und Fahnen, die gelbe Farbe der KDP von Masud Barsani herrscht vor. Der Goran-Bewegung aus Sulaimania wird der Wahlkampf schwer gemacht in den nordkurdischen Provinzen Erbil und Sulaimania; öffentliche Versammlungen oder Konvois werden verhindert, das Zeigen der Fahne ist untersagt. »Hier herrscht nur eine Partei«, meint der Geschäftsmann Baran (Name geändert), ein Kurde aus der Türkei, der von einem unabhängigen Großkurdistan träumt. »Das gilt nicht nur politisch, auch ökonomisch ist die KDP hier die Nummer eins.« Weil er auf seiner Unabhängigkeit beharrt, werden seine Geschäfte so sehr behindert, daß er kurz vor der Pleite steht. »So viele Kurden kamen aus Europa, um hier ihr Glück zu versuchen«, sagt Baran, fast alle seien wieder abgezogen, weil sie zu der von KDP und PUK dominierten Geschäftswelt keinen Zugang fanden. Anders sieht es für die Türken aus. Nicht nur der Leiter der lokalen Wahlkommission spricht fließend türkisch, je weiter man nach Erbil hinein fährt, desto dichter liegen die Firmensitze türkischer Auto- und Baukonzerne, Versicherungen und Banken, selbst für türkische Marmelade wird geworben. Die Wahlen seien unwichtig, meint Baran und äußert sich überzeugt, daß ein neuer Plan für die Kurdenregion mit Mosul und Kirkuk in Europa und den USA schon fertig sei. »In wenigen Jahren wird dieses ganze Gebiet von der Türkei übernommen«, meint er. Die Zukunft des Irak kümmert ihn nicht. Ali, der Taxifahrer, der dem in Englisch geführten Gespräch aufmerksam gefolgt ist, beißt sich auf die Lippen, sagt aber nichts.

Auf der Rückfahrt läßt die untergehende Sonne die brennenden Ölfelder von Kirkuk in einem unwirklichen Licht erstrahlen. Eine Hochzeitsgesellschaft hat sich auf einem Parkplatz versammelt, vor den aufflackernden Flammen tanzen Braut und Bräutigam mit ihren Gästen im Kreis. Seit der Teilung des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg durch die Siegermächte Frankreich und England sind die Ölvorkommen von Kirkuk umstritten. Schon der legendäre Kurdenführer Mullah Mustafa Barsani bezeichnete vor 50 Jahren das Öl als »Fluch«, das die Zukunft der Kurden »verdorben« habe. Wenn es nach Goran-Sprecher Mohammad Tofiq ginge, »bliebe das Öl die nächsten 40 Jahre unter der Erde«, doch hat die gewaltsame Übernahme des Irak 2003 bei zu vielen zu große Begehrlichkeiten geweckt. »Das Öl ist unser Schicksal«, meint Ali, während er den Wagen langsam wieder auf die Regenwolken über Sulaimania zusteuert. Ein breiter Regenbogen spannt sich über das Tal.

* Aus: junge Welt, 6. März 2010


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