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Koalition mit Schlagseite

Schiiten bilden gemeinsame Fraktion - Wahlsieger Ijad Allawi ausgebootet?

Von Karin Leukefeld, Bagdad

Nur einen Tag, nachdem die Neuauszählung von rund 2,5 Millionen Stimmzetteln in Bagdad begonnen hat, haben sich zwei der großen politischen Blöcke im Irak auf eine Koalition geeinigt. Dabei handelt es sich um die Allianz für Rechtsstaatlichkeit (SLA) des noch amtierenden Ministerpräsidenten Nuri Al Maliki und die Irakische Nationale Allianz (INA). INA ist ein Bündnis verschiedener religiös schiitisch orientierten Parteien mit kleineren säkualaren Partnern. Der frühere Regierungsberater Razzaq al-Kadhami erklärte, beide Allianzen hätten sich geeinigt, im neuen Parlament zusammenzuarbeiten. Ob man sich auch über einen neuen Ministerpräsident verständigt hat, wurde nicht bekannt. Klar ist aber, dass der Sieger der Parlamentswahlen, die Irakische Nationale Bewegung (INM) Al Irakia von Ijad Allawi nicht Teil der Koalition sein soll. Al Irakia hatte bei den Wahlen am 7. März 91 der insgesamt 325 Mandate errungen. Die SLA erhielt 89, INA 70 Mandate.

Maliki, dessen SLA-Allianz auf Platz zwei der Wahlen am 7. März gelandet war, wird vor allem von der Sadr Bewegung strikt abgelehnt, die mit 40 der 70 Mandate eindeutig die stärkste Kraft der INA-Allianz ist. In einem inoffiziellen Referendum hatten die Sadristen Ibrahim al-Jaafari für das Amt des Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Jaafari war an dem Posten nach den Wahlen 2005 aufgrund interner politischer Konflikte gescheitert. Auch wenn SLA und INA koalieren, fehlen ihnen weitere 4 Mandate für die erforderliche parlamentarische Mehrheit von 163 Stimmen. Dem könnten die Kurden abhelfen, sollte ihr Block Kurdistan Allianz sich zur Zusammenarbeit bereit erklären. Verschiedenen Berichten zufolge soll der noch amtierende irakische Präsident und Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK, Dschelal Talabani bereits die Unterstützung einer SLA/INA-Regierung zugesagt haben.

Sollten es tatsächlich zu einer solchen Regierungskoalition kommen, wären die Iraker nach dem zweiten nationalen Wahlgang Anfang März genau dort angekommen, wo nach den Wahlen 2005 die tragische Entwicklung religiöser Spaltung und Gewalt begonnen hatte. Auch wenn die Namen sich geändert haben, sind es die gleichen Politiker, die 2005 als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen waren. Sowohl Nuri al Maliki als auch Ibrahim al-Jaafari verfolgen zwar mit unterschiedlicher Gewichtung, aber doch eine religiös ausgerichtete Regierungsführung, die sich eng an Teheran anlehnt. Das Bündnis war 2006 an internen Machtkämpfen zerbrochen, wurde aber nun offenbar unter starkem iranischen Druck wiederbelebt.

Inoffiziellen Meldungen zufolge will die Koalition die Entscheidung der Marjaiya in Najaf abwarten, die von dem allseits respektierten Großayatollah Al Al-Sistani geführt wird. Die Marjaiya ist das höchste Entscheidungsgremium im schiitischen Islam und soll alle Streitigkeiten zwischen SLA und INA, zwischen Maliki und Jaafari lösen, zitierte die Nachrichtenagentur AP anonym einen der Unterzeichner der Koalitionsvereinbarung. Die Regierungspolitik solle allerdings dadurch nicht betroffen sein. Politische Beobachter und Anhänger einer säkularen Regierungsführung (Trennung von Religion und Politik) halten das für unwahrscheinlich und befürchten eine neue religiöse Spaltung, sollte die Koalition tatsächlich in Bagdad die Macht übernehmen. Sistani, der die 80 bereits überschritten hat, zählt allerdings zu den Quietisten des schiitischen Islam und könnte möglicherweise die Einseitigkeit der vorgeschlagenen Koalition kritisieren. Mehrfach hat er eine politische Einflussnahme von Klerikern in der Regierung abgelehnt und gilt als Kritiker der Theorie eines Islamischen Gottesstaates, wie er von Ayatollah Khomeini 1980 im Iran eingeführt wurde. Verschiedentlich hatte der Ayatollah nach den Wahlen dazu aufgerufen, alle Teile der Gesellschaft an einer Regierung der nationalen Einheit zu beteiligen.

Ähnlich äußerten sich Anfang der Woche auch Vertreter der Kurdischen Regionalregierung (KRG) in Erbil nach einem Treffen mit Vertretern des „Rates für Auswärtige Beziehungen“, einem politisch einflussreichen US-Think Tank. Man sei in ständigem Gespräch mit „anderen Irakern, um den politischen Prozess voranzubringen“, sagte Masoud Barzani, Präsident der Kurdischen Autonomieregion im Nordirak. Die nächste Regierung solle „inklusiv“ sein, „keiner solle ausgeschlossen werden“, so Barzani. Im Übrigen würden die Kurden mit den Parteien zusammenarbeiten, „die sich an die Irakische Verfassung halten“ würden.“ Salam Abdullah, KDP-Vertreter in Sulaimania, konkretisierte im Gespräch mit der Autorin die kurdischen Forderungen an eine zukünftige irakischen Regierung. Man wolle weiterhin hohe Posten in der Regierung einnehmen und gehe mit der Partei, die das Referendum über die Zukunft von Kirkuk (Artikel 140) umsetze, 17 Prozent des irakischen Haushalts direkt an die Kurdistan Regionalregierung (KRG) zahle und den Kurden freie Hand beim Abschluss von Verträgen mit internationalen Ölkonsortien gebe.

Sollte der knappe Sieger der Parlamentswahlen, die von Ijad Allawi geführte Irakische Nationale Bewegung (INM) Al Irakia tatsächlich von einer Regierungsbeteiligung ausgegrenzt werden, dürfte das die Spaltung zwischen den sunnitischen, christlichen und säkular orientierten Parteien auf der einen und den schiitisch-religiösen Parteien auf der anderen Seite erneut vertiefen. Erstere hatten die Wahlen 2005 mehrheitlich boykottiert, sich dieses Mal aber massiv beteiligt, um ein Abdriften des Irak in einen „religiösen Sektiererstaat“ zu verhindern. Teile der Kurden und der Schiiten streben weiterhin eine „föderale“ Dreiteilung des Irak in eine kurdische, eine sunnitische und eine schiitische Zone an. Nach Ansicht irakischer Nationalisten und politischer Beobachter würde das den Irak de facto spalten und zum politischen Spielball ausländischer Interessen machen.


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