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Es geht um die Besatzung

Internationaler Irak-Kongress tagte in Berlin - Viele Teilnehmer und viel Diskussion. Erste Berichte

Vom 7. bis 9. März 2008 fand in Berlin ein internationaler Irak-Kongress statt, der zweite nach 2002 (siehe hierzu unser Dossier "Irakkongress 2002"). Im Einladungstext 2008 hieß es u.a.: "Die Lage im Irak ist nach fünf Jahren Krieg und Besatzung katastrophal. Dies wird von niemandem mehr bestritten. Die Diskussion über die Ursachen konzentriert sich jedoch auf die Konflikte zwischen irakischen Kräften wie das Milizen-Unwesen, religiös motivierte Gewalt und Terroranschläge. Obwohl die Besatzung die zentrale politische Realität im Irak ist, spielt ihre beherrschende Rolle im westlichen Diskurs kaum eine Rolle. Die von den Besatzungstruppen ausgeübte Gewalt verschwindet ebenfalls völlig im Hintergrund.
Das vollständige Programm ist hier herunterzuladen: pdf-Datei.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Kongressberichte, die in den Tageszeitungen "Neues Deutschland" und "junge Welt" erschienen sind. Über weitere Ergebnisse werden wir ggf. berichten.



"Ein Krieg des Terrors"

400 Teilnehmer debattierten auf internationaler Irak-Konferenz in Berlin

Von Birgit Gärtner *


Etwa 400 Friedensbewegte diskutierten am Wochenende in Berlin auf der Internationalen Irak-Konferenz »Alternativen zu Krieg und Besatzung«.

Drei Tage lang wurde in Berlin in verschiedenen Diskussionsrunden, Panels und Workshops über »Alternativen zu Krieg und Besatzung« debattiert. »Dies ist kein Krieg gegen den Terror, sondern ein Krieg des Terrors«, stellte die irakisch-amerikanische Ärztin Dahlia Wasfi fest. Sie war in den vergangenen Jahren mehrfach in Irak und beklagte die unzureichende Ausstattung der dortigen Krankenhäuser, die sich drastisch verschlechtert habe.

Neben Dahlia Wasfi waren u.a. die Frauenrechtlerin Haifa Zangana, der Journalist Iman Ahmad Khammas, der Irak-Kriegsveteran Clifton Hicks, Elizabeth Kucinich, Ehefrau und Mitstreiterin des demokratischen Kongressabgeordneten Dennis Kucinich aus den USA, sowie die Musikerin Nina Hagen als Referentinnen und Referenten geladen. Elizabeth Kucinich betonte, dass jetzt ein Umdenken in der gesamten US-amerikanischen Bevölkerung notwendig sei. Es gehe dabei um eine Doktrin geleitet vom Gedanken des Friedens.

Haifa Zangana konstatierte in ihrem Beitrag eine enorme Zunahme der Zahl ermordeter Frauen im Zweistromland; es handele sich oft um Ehrenmorde, die vor allem in den kurdischen Gebieten in Nordirak registriert würden. Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, beleuchtete u.a. die Frage, ob eine Legalisierung der Besatzung durch ein UN-Mandat möglich sei. Er kam zu dem Schluss, dass die Besatzung rückwirkend nicht legitimiert werden könne.

Nina Hagen moderierte eine Podiumsdiskussion, in der die Anwendung von Munition mit Uranummantelung (DU-Munition) und deren Folgen in Irak thematisiert wurde. Clifton Hicks schilderte eindrücklich seine Erfahrungen als Panzerfahrer in Bagdad. »Ich bin überzeugt davon, dass dieser Krieg nicht durch Druck auf die Regierung in Washington beendet werden kann, sondern nur, wenn die Soldaten die Waffen nieder legen«, betonte er. Einigkeit herrschte auf der Konferenz darüber, dass die USA-Truppen und ihre Verbündeten umgehend abgezogen werden müssten.

Darüber hinaus wurde eine Reihe von Punkten formuliert, die für die Stabilisierung Iraks notwendig seien, so die Gewährung von Reparationszahlungen zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Wiederholt wurde in der Debatte der Widerstand als legitimes Recht des irakischen Volkes bezeichnet. Allerdings wollte Haifa Zangana eine Beteiligung von Teilen der Widerstandsgruppen an den Frauenmorden nicht ausschließen -- eine Sicht, die in einer Diskussionsrunde unter Beteiligung des Publikums von mehreren Rednern als undifferenziert bezeichnet wurde.

Annette Schiffmann vom Organisationsteam wertete die Konferenz ND gegenüber »in vielerlei Hinsicht als vollen Erfolg«. So sei die große Teilnehmerzahl angesichts des Streiks der Berliner Verkehrsbetriebe beachtlich, vor allem aber sei sie von der außerordentlichen Qualität der einzelnen Referate beeindruckt gewesen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2008


"Im Irak herrscht das Chaos"

Internationale Irak-Konferenz bilanzierte fünf Jahre Krieg und Besatzung

Von Markus Bernhardt **


Mehrere hundert Menschen haben am vergangenen Wochenende an einer internationalen Irak-Konferenz im Audimax der Berliner Humboldt-Universität teilgenommen und anläßlich des fünften Jahrestages des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges über Alternativen zu Krieg und Besatzung diskutiert.

Die dreitägige Konferenz war unter anderem von Friedens- und Menschenrechtsgruppen unterstützt und organisiert worden und begann am Freitagabend mit einer von rund 300 Personen besuchten Podiumsdiskussion, die sich mit der Strategie der USA im Nahen und Mittleren Osten befaßte. Rund 400 Personen folgten am Sonnabend den Beiträgen hochkarätiger Referenten, die unter anderem eine Bilanz der mittlerweile fast fünf Jahre andauernden Besatzung des Iraks zogen und sich mit der im Land vorherrschenden Gewalt beschäftigten.

Während Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, konstatierte, daß der Irak nach wie vor von den US-amerikanischen Truppen besetzt und somit keinesfalls souverän sei, berichtete der Kriegsveteran Chris Capps über die Erfahrungen, die er während seines Einsatzes im Irak machte. Capps war von November 2005 bis Ende September 2006 als Fernmeldetechniker im Camp Victory stationiert. Als er im Februar 2007 erneut in den Irak sollte, kehrte er nicht mehr aus dem Urlaub zurück, blieb über 60 Tage lang unerlaubt der Truppe entfernt, ehe er sich in Fort Sill (Oklahoma) stellte und schließlich unehrenhaft entlassen wurde. Der Kriegsveteran ist heutzutage als Koordinator der Iraq Veterans Against the War (IVAW) für Europa tätig und berät US-Soldaten, die das Militär verlassen wollen. Auf der Konferenz forderte er die Demokratische Partei der USA auf, endlich einen konkreten Termin für ein Ende der Besatzung zu nennen.

Über Perspektiven nach einem Ende der Besatzung referierten der Leiter der nationalen irakischen Initiative zur Beendigung der Besatzung, Khair El-Din Haseeb, und William R. Polk, der als Sicherheitsberater unter US-Präsident John F. Kennedy tätig war.

Gemeinsam mit anderen Besatzungsgegnern hat Khair El-Din Haseeb einen Entwurf für eine Wahlgesetz und eine neue irakische Verfassung entworfen und fordert nun, diese Entwürfe nach einem Abzug der Besatzer zur Volksabstimmung zu stellen. Polk machte sich indes dafür stark, daß eine irakische »Stabilisierungstruppe« die Sicherheit im Land wiederherstellen solle. Diese solle von den USA finanziert, jedoch keinesfalls zur Aufstandsbekämpfung genutzt werden, so der ehemalige Sicherheitsberater, der zudem die Schließung der 14 US-Basen auf irakischem Gebiet und einen umgehenden Abzug der rund 25000 Söldner forderte, die sich derzeit im Irak aufhalten. Polk sprach sich darüber hinaus für eine Entschuldigung der USA für die am irakischen Volk verübten Verbrechen aus. So solle die US-Regierung als Geste des guten Willens für jeden verwundeten oder getöteten irakischen Zivilisten 2500 US-Dollar Wiedergutmachung an die Angehörigen entrichten. Die Umsetzung dieser Forderung dürfte die USA teuer zu stehen kommen, gehen Experten doch mittlerweile von über 655000 getöteten Menschen aus, was 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak entspricht.

Einig war man sich, daß der Irak über keine souveräne Regierung verfüge. »Wahlen, die während einer Besatzung stattfinden, sind nicht legal«, konstatierte Khair El-Din Haseeb. Dem schloß sich der ehemalige Botschafter des Iraks bei der UNO, Dr. Sa'eed Hasan al Musawi an, der betonte, daß dagegen der Widerstand gegen die Besatzung des Landes legal und legitim sei.

** Aus: junge Welt, 10. März 2008

Siehe auch: www.irakkonferenz2008.de


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