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Allawi kungelt mit Sadr

Treffen in Damaskus. Im ölreichen Irak regieren weiter Gewalt und Hunger

Von Karin Leukefeld *

Bei einem Treffen in Damaskus haben der Sieger der irakischen Parlamentswahlen, Ijad Allawi (Al-Irakia-Liste), und der Führer der Sadr-Bewegung, Muktada Sadr, über die Bildung einer neuen Regierung im Irak gesprochen. Sadr, der als scharfer Gegner der US-geführten Invasion im Irak gilt und alle US-freundlichen Politiker wie Allawi bisher ablehnte, sagte nach den Gesprächen, er wolle alle Unstimmigkeiten zugunsten der Zukunft des Irak vergessen und mache seine Unterstützung für einen neuen Ministerpräsidenten vom Programm abhängig, nicht vom Namen. Allawi bezeichnete das Treffen als »positiv«. Man habe sich verständigt, »rasch eine neue Regierung zu bilden, die alle politischen Bewegungen einbezieht und ein klares Programm vorlegt«. Einzelheiten wurden nicht genannt.

Allawi hatte bei den Wahlen vor vier Monaten (7.3.) mit 91 Mandaten knapp vor dem amtierenden Ministerpräsidenten Nuri Al-Maliki (89 Mandate) gewonnen. Die Sadr-Bewegung war mit 40 Mandaten als stärkste Kraft des schiitischen Wahlbündnisses der Irakischen Nationalen Allianz (INA) aus der Abstimmung hervorgegangen. Die erhielt insgesamt 70 Mandate. Für die Bildung einer Regierung braucht der zukünftige Ministerpräsident mindestens 163 Stimmen.

Während Allawi die Bildung der Regierung beansprucht, will Maliki seinen Posten nicht räumen. Inzwischen ist Maliki mit der INA ein Bündnis eingegangen, doch reichen die Mandate noch immer nicht für die Mehrheit. Außerdem lehnt die Sadr-Bewegung (als Teil von INA) Maliki als Ministerpräsidenten kategorisch ab und favorisiert Ibrahim Al-Dschaafari, der 2005 den Posten schon einmal ein knappes Jahr innehatte.

Sowohl Maliki als auch Allawi sind schiitische Muslime, Allawi allerdings gilt als säkular und erhielt mit seiner Liste Al-Irakia viele Stimmen von Christen und sunnitischen Muslimen. Beobachter interpretieren das Wahlergebnis so, daß die Iraker eine Trennung von Politik und Religion wollen. Andere bringen eine »libanesische Lösung« ins Gespräch. Danach soll der Präsident in Zukunft immer ein (sunnitischer) Kurde, der Ministerpräsident ein schiitischer Muslim und der Parlamentssprecher ein sunnitischer Muslim sein.

Das Treffen von Allawi und Sadr in Damaskus war vom syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad vermittelt worden, der seine guten Kontakte zum Iran dafür eingesetzt haben dürfte. Sadr lebt derzeit im Iran, wo er offiziellen Berichten zufolge seine religiösen Studien fortsetzt. Assad machte bei (getrennten) Gesprächen mit Allawi und Sadr deutlich, daß er jede Regierungslösung unterstütze, die dem Irak Unabhängigkeit, territoriale Integrität und arabische Identität gewährleiste. Syrien beherbergt seit der Invasion 2003 mehr als eine Million irakische Flüchtlinge aus allen Teilen Iraks und von allen Konfessionen.

In Bagdad teilte derweil der amtierende Ölminister Ali Scharistani mit, daß der neue irakische Haushalt zu 95 Prozent auf den Einnahmen des Ölverkaufs beruhe, allein zwischen 2006 und 2009 waren das 171 Milliarden US-Dollar. Mit seinen weltweit drittgrößten Ölreserven gilt Irak als eines der reichsten Länder der Welt. Der Alltag der etwa 29 Millionen Iraker ist dennoch von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Hunger, von Mangel an Strom und Wasser geprägt. Für notwendige Hilfsprogramme 2010 im Wert von 187,3 Millionen US-Dollar sind bisher erst zwölf Prozent, nämlich 22,3 Millionen US-Dollar, an Spenden eingegangen, hieß es in einer Erklärung der Vereinten Nationen. Die Lebensmittelhilfen für 800000 schwangere und stillende Frauen, unterernährte Kinder und 960000 Schulkinder mußten bereits eingestellt werden.

* Aus: junge Welt, 21. Juli 2010


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