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Spirale der Gewalt

Irak: Ursache für zunehmenden Terror sind die US-Besatzer. Flüchtlingsprotest gegen Obdachlosigkeit

Von Karin Leukefeld *

In Bagdad haben in der vergangenen Woche Hunderte Inlandsflüchtlinge gegen ihre anhaltende Obdachlosigkeit demonstriert. Seit Monaten, manche schon seit Sommer 2003, halten sie verlassene Gebäude der ehemaligen irakischen Regierung besetzt. Die Demonstranten forderten die Regierung auf, ihnen vor dem kommenden Winter menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Die Mieten in Bagdad seien »lächerlich hoch«, kritisierte einer der Teilnehmer, Salam Rabia, die Wohnungspolitik der Regierung. Als Arbeitsloser könne er das nicht bezahlen. »Sie hätten uns zumindest einen neuen Platz zuweisen können, bevor sie uns vertreiben«, meinte einer der Organisatoren des Protestes, Achmed Saraui. »Statt dessen haben sie uns mit dem Gefängnis gedroht, sollten wir in die Häuser zurückkehren.«

Ohne Wohnung

Die Herkunft der Obdachlosen in Bagdad ist unterschiedlich. Manche verloren ihre Wohnungen im Krieg 2003, andere wurden aus ihren Häusern in der Provinz Kirkuk von zurückkehrenden Kurden vertrieben, wieder andere wurden obdachlos, weil sie die hohen Mieten nicht mehr zahlen konnten. Haydar al-Kindi, Sprecher des Wohnungsministeriums in Bagdad, erklärte gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk (IRIN), man habe die Besetzer vor sechs Monaten bereits darüber informiert, daß sie die Gebäude verlassen müßten. Keiner von ihnen hätte den Verlust ihrer vorherigen Wohnungen oder Häuser nachweisen können. Al-Kindi beschuldigte die Obdachlosen der Lüge: »Nach unseren Erkenntnissen haben viele dieser Familien Wohnungen in den Vorstädten, aber sie besetzen die Regierungsgebäude, weil diese im Zentrum der Stadt liegen.«

Die lokale »Vereinigung zur Hilfe für den Irak« (IAA) hat derweil begonnen, für die Obdachlosen Zelte aufzustellen. »Wir kennen nicht die wahren Gründe, warum diese Menschen die Gebäude besetzt haben und warum die Regierung sie so vernachlässigt«, sagte IAA-Sprecher Fatah Ahmed. Zumindest könnten sie in Zelten leben, bis die Regierung das Problem gelöst habe.

Journalisten und Medienarbeiter im Irak mußten derweil im September einen hohen Preis bezahlen, nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) stieg die Zahl der Getöteten seit März 2003 auf 108. Am 8.September wurde das Büro des Fernsehsenders Al Arabiya in Bagdad geschlossen, am 10. ein Journalist der Tageszeitung Al Sabah niedergeschossen, am 15. wurden zwei Journalisten in der Provinz Diyala und im Osten Bagdads tot aufgefunden, am 16. wurde ein Fernsehjournalist in Ramadi erschossen und am 21. September die Journalistin Kalchan al-Bayati in Tikrit zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen von irakischen Sicherheitskräften festgenommen. Sie wird der Zusammenarbeit mit Al Qaida beschuldigt, was schon bei ihrer ersten Festnahme am 11.9. nicht nachgewiesen werden konnte. Hintergrund der Festnahmen dürfte sein, daß sie für die Zeitung Al Hayat ausgesprochen kritisch über die US-Besatzungstruppen berichtet.

Besatzer raus

»Die Gewalt im Irak hat die Integrität und (gesellschaftliche) Struktur des Landes zerstört«, kommentierte Barak Ibrahim, Professor für Politik an der Mustansiriya Universität in Bagdad gegenüber IRIN den zunehmenden Terror im Land. »Wenn wir die Hintergründe für die Gewalt untersuchen, stellen wir fest, daß letztlich die US-Truppen im Land zu einer Revolte geführt haben und die Kämpfer (dieser Revolte) haben ihre Geduld verloren. Nur wenn die Besatzungstruppen das Land verlassen, können wir langsam wieder darüber sprechen, daß sich die Sicherheitslage verbessert«, so Ibrahim. Andernfalls habe keiner der diskutierten Versöhnungspläne eine Chance.

* Aus: 29. September 2006


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