Zu viele Hindernisse für eine Versöhnung
In Irak mehren sich Menschenrechtsverletzungen durch eigenes und ausländisches Militär
Von Karin Leukefeld *
Unterschiedlicher könnten die Bewertungen über die Lage in Irak kaum ausfallen. Während ein
Sprecher der USA-geführten Streitkräfte unlängst bei einer Pressekonferenz in Bagdad über die
Fortschritte der neuen Regierung berichtete, informieren die Vereinten Nationen über zahlreiche
Hürden, die einer Versöhnung derzeit noch im Weg stünden.
Nach den Ausführungen von Generalmajor William Caldwell vor wenigen Tagen in Bagdad könnte
man meinen, der Militäreinsatz in Irak führe – trotz der bekannten Pannen – letztlich doch noch zum
Erfolg. Der Sprecher der USA-geführten Streitkräfte verkündete, die neue Regierung mache
Fortschritte in Sachen »Nationale Versöhnung« und beim Aufbau demokratischer Institutionen.
Berichten des Regionalen UN-Informationsnetzwerks (IRIN) zufolge blockieren dagegen noch immer
zu viele Hindernisse eine solche Aussöhnung. Der Status Tausender irakischer Gefangener sei nur
ein Problem, das den Versöhnungsplan des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki behindert.
Als weitere Stolpersteine nennt IRIN die Reformierung des Justizwesens, die Frage eines
Föderalstaates und die damit verbundene Verteilung der Bodenschätze – beispielsweise Öl. Auch
die Straffreiheit der US-amerikanischen und irakischen Streitkräfte, die häufig gemeinsam agieren,
ist ein großes Problem.
Nach Angaben des Irakischen Menschenrechtszentrums in Bagdad werden in Gebieten, in denen
der Widerstand sehr aktiv ist, die Menschenrechte am häufigsten von den Militärs missachtet.
Geschichten wie die des 36-jährigen Ingenieurs Raad Othman Al-Dulaimi sind nicht selten. Der
Mann war Ende 2006 von der Armee festgenommen worden, nachdem in der Nähe seines Hauses
eine Straßenbombe explodiert war. »Sie beschuldigten mich, die Angreifer zu kennen«, berichtete Al-
Dulaimi. »Sie haben uns alle in den Garten gebracht und mich vor den Augen meiner Frau und
meiner Kinder geschlagen. Sämtliche Möbel haben sie umgekippt, haben meinen Computer, mein
Geld und Gold gestohlen.« Dann wurde er ins Gefängnis verschleppt, wo er bei Verhören beleidigt
und geschlagen wurde. »Nach fünf Monaten sagten sie dann ›Tut uns leid, du hast nichts mit den
Terroristen zu tun‹.« Der Mann wurde nach Hause geschickt.
Das irakische Menschenrechtsministerium bietet mittlerweile Trainingsprogramme für Armeeoffiziere
an, die ihr Wissen an ihre Untergebenen weitergeben sollen. Der Erfolg lässt allerdings noch auf
sich warten, so Major Salman Abdul-Wahid, der als Lehrer für Menschenrechte in der 1. Irakischen
Brigade fungiert. Die Gewalt seitens der Armee habe zwar um rund 20 Prozent abgenommen, doch
das Verhalten eines Soldaten könne nicht »über Nacht verändert« werden. Die Soldaten selber
halten den Unterricht zwar für »hilfreich«, so der Soldat Samih Manhal. Man müsse eben lernen,
»streng und freundlich zugleich zu sein«. Aber es sei doch nicht nötig, jede Wochen solchen
Unterricht zu haben, »die Wiederholungen langweilen uns«.
Im Zentrum für Menschenrechte in Bagdad werden Menschenrechtsverletzungen sowohl der
irakischen als auch der ausländischen Streitkräfte registriert. Während für 2006 im ersten Halbjahr
200 Übergriffe insgesamt gemeldet wurden, hat sich die Zahl allein in den Monaten Juli und August
auf 300 erhöht, so der Sprecher des Zentrums, Ali Wail Ali al-Safi. »Es reicht nicht, den Streitkräften
Unterricht zu geben, die Regierung muss die Verantwortlichen bestrafen.«
Die Zahl der Inlandsvertriebenen hat derweil mit 300 000 seit Februar 2006 einen Höchststand
erreicht. Das irakische Ministerium für Migration und Vertreibung hat landesweit 51 000 Familien
registriert, 9000 davon allein in Bagdad. Auch die Familie von Fuad F. , der in Deutschland studiert,
will Irak verlassen, nachdem der jüngste Bruder kürzlich zusammen mit zwei Freunden entführt
worden war. »Nur drei Häuser in meiner Straße sind noch bewohnt«, sagt Fuad. »Alle anderen
Familien sind geflohen.«
* Aus: Neues Deutschland, 12. Oktober 2006
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