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Iraks "Sicherheitsplan" verpufft

Angesichts täglicher Terrorakte bleibt das Leben der Bevölkerung des Landes gefährlich

Von Karin Leukefeld *

Trotz eines umfassenden »Sicherheitsplans« der irakischen Regierung ist das Leben für die Bevölkerung in Bagdad und Umgebung weiterhin unberechenbar und lebensgefährlich.

Nach der Entführung und Ermordung einer Gruppe von Polizisten durch Terroristen haben Sicherheitskräfte in Irak am Wochenende eine groß angelegte Suche nach den Tätern begonnen. Alle 14 Polizisten, die entführt wurden, seien tot in den Straßen von Bakuba gefunden worden, teilte das Innenministerium mit. Am Donnerstag waren über 50 Mitglieder des schiitisch-dominierten Innenministeriums auf dem Weg von Bakuba nach Chalis, als sie von Aufständischen angegriffen wurden. 14 von ihnen wurden entführt. Eine Gruppe drohte anschließend im Internet, die Geiseln als Rache für die Vergewaltigung einer Sunnitin umzubringen. Die Beamten hätten sich an der »schrecklichen Tat« beteiligt. In einer zweiten Nachrichten teilten die Entführer mit, die Geiseln seien ermordet worden.

Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in der Nähe der westirakischen Stadt Ramadi kamen am Wochenende (3./4. März) mindestens 12 Menschen ums Leben.

Allein in der letzten Februarwoche starben wieder Hunderte Iraker bei Anschlägen. Am 25. Februar explodierte ein Auto mit Sprengstoff vor der Mustansariya-Universität und riss 40 Studierende in den Tod. Am 28. Februar tötete eine Autobombe 10 Menschen.

Die Urheber solcher Anschläge sind nicht bekannt. Auch das USA-Militär tötet im Verbund mit den irakischen Truppen bei Razzien und Angriffen auf »Aufständische« immer wieder Zivilisten. Die genaue Zahl von Toten bleibt unklar, da es jenseits der offiziellen Militärverlautbarungen kaum unabhängige Zeugen gibt. Beispiel für die unübersichtliche Informationslage ist die Meldung über 18 getötete Jugendliche und Kinder, die in Ramadi Fußball spielten, als sie von der USA-Armee angegriffen wurden. Sowohl das staatliche irakische Fernsehen als auch das UNO-Informationsnetzwerk IRIN verbreiteten die Nachricht. Iraks Regierung, UNO und Nichtregierungsorganisationen verurteilten den Mord an den Kindern scharf. Im August 2006 waren schon einmal 12 Jugendliche beim Fußballspiel in Bagdad getötet worden.

Die USA-Armee in Bagdad dementierte die Meldung der getöteten Kinder in Ramadi rasch und erklärte, man habe in der Nähe des Fußballfeldes lediglich eine gezielte Detonation von Sprengstoff vorgenommen. Die Detonation sei größer gewesen, als man erwartet habe; dadurch seien 30 Personen verletzt worden.

Die Sicherheitslage für Kinder und Jugendliche in Bagdad und den umliegenden Provinzen ist nach Aussagen von UNICEF extrem schlecht. Die Opferzahl unter jungen Irakern dürfte in die Tausende gehen. »Freizeitzentren wie Fußball- und Spielplätze müssen ebenso wie Schulen in Irak respektiert werden«, forderte Roger Wright, UNICEF-Vertreter für Irak. »Diese Orte müssen als sicherer Hafen geschützt werden, damit die Kinder ohne Furcht lernen und spielen können.« Das Leben der Kinder, ihre Gesundheit und psychische Unversehrtheit seien infolge der Vertreibung und der anhaltenden »Konflikthandlungen« zunehmend gefährdet, so Wright.

Cedric Turlan, Pressesprecher von NCCI, dem Koordinationskomitee von Hilfsorganisationen in Irak, sagte, es spiele keine Rolle, ob die Jugendlichen gezielt oder versehentlich angegriffen worden seien, »das ändert nichts an dem furchtbaren Ergebnis«. Die Iraker und die Staatengemeinschaft »müssen die Gewalt noch deutlicher verurteilen und dazu beitragen, die Rechte der betroffenen Bevölkerung, besonders der Kinder, zu schützen«, erklärte Turlan.

Die deutsche Hilfsorganisation HELP e. V. hat zum Ende Februar ihre Arbeit in Irak eingestellt. Seit April 2003 hatte HELP mit irakischen Mitarbeitern Projekte in der Trinkwasserversorgung und beim Minenräumen durchgeführt. Das Trinkwasserprojekt habe man abgeschlossen, das Minenräumprogramm sei aber wegen der katastrophalen Sicherheitslage kaum noch umzusetzen gewesen, sagte der Pressesprecher der Organisation, Berthold Engelmann, gegenüber ND. »Die Mitarbeiter konnten oft tagelang gar nicht rausfahren.« Mit Einstellung der Tätigkeit seien in Irak 35 Mitarbeiter arbeitslos geworden, so Engelmann.

Hintergrund der Entscheidung ist auch, dass das Auswärtige Amt, das in den vergangenen vier Jahren die Arbeit von HELP e. V. mit insgesamt 2,405 Millionen Euro unterstützt hat, die Mittel für humanitäre Projekte in Irak gestoppt hat. Lediglich ein kleineres Internetprojekt in Kirkuk werde noch gefördert, hieß es auf ND-Nachfrage in der Pressestelle in Berlin. Nicht richtig sei, dass humanitäre Projekte nicht weiter gefördert würden. Es seien lediglich keine Mittel eingestellt, weil keine Anträge vorlägen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2007


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