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Nimm Abschied und werde stark

In ihrem neuen Buch beschreibt Karin Leukefeld ein Leben zwischen Hamburg und Bagdad

Die zurückliegenden Präsidentenwahlen in den USA geben Helma Al Saadi und ihrem Mann Hoffnung. Amer Al Saadi, Karo 7 auf der Fahndungsliste der Amerikaner, wird seit April 2003 von den Besatzungstruppen festgehalten – ohne Anklage, ohne Anwalt, ohne Aussicht auf einen Prozeß und damit auch einer Verteidigung. Er war einer der meistgesuchten Iraker und hatte sich nach dem Einmarsch der US-Truppen vor 18 Monaten vor laufender ZDF-Kamera freiwillig gestellt, im Glauben, der Großfahndung des Pentagon müsse ein Irrtum zugrunde liegen. Ein schwerwiegender Irrtum seinerseits. Der 64jährige Ingenieur und Chemiker arbeitete in der Rüstungsindustrie seines Landes, war Berater von Präsident Saddam Hussein und in den Monaten vor der Invasion als Abrüstungsbeauftragter der irakischen Regierung Verhandlungspartner von UN-Chefwaffeninspekteur Hans Blix. Dauerpräsent in den internationalen Nachrichtenkanälen wurde er damit zu einer der wichtigsten Symbolfiguren des irakischen Regimes, ohne selbst je zum Machtapparat gehört zu haben. Nun, da George W. Bush wiedergewählt ist, hofft der irakische Patriot auf Milde, Gerechtigkeit gibt es nicht im globalen Feldzug des wiedergeborenen Amerikaners.

Doch jW-Autorin Karin Leukefeld hat kein Buch über den Inhaftierten geschrieben, sondern eine politische Biographie über seine deutsche Frau, die nun um seine Freilassung kämpft. 1963 heiratete die Anglistik-Studentin Helma, in konservativem Haus in Hamburg aufgewachsen, den charismatischen Iraker Amer. Zwei Jahre später lassen sich die beiden in Bagdad nieder. Von den Angehörigen ihres Mannes wurde die junge Deutsche mit offenen Armen empfangen, sie unterrichtete an der deutschen Schule in Bagdad, ihre Kinder wuchsen im damals prosperierenden Irak auf. Amer machte als begabter Naturwissenschaftler und Organisator rasch Karriere, auch in der Ära Saddam Hussein, was ihm und seiner Frau heute von sogenannten Menschenrechtsgruppen zum Vorwurf gemacht wird.

Insgesamt 20 Jahre sind die beiden getrennt. Iran-Irak-Krieg, Kuwait-Invasion und »Desert Storm« sowie persönliche Schicksalsschläge, darunter eine schwere Krankheit, zwangen Helma mit den Kindern in Hamburg zu leben. Amer mußte in Bagdad bleiben. Das Regime ließ den Hochbegabten, der stets um seine politische Unabhängigkeit und die Sicherheit der Al-Saadi-Familie kämpfte, nicht gehen.

Einfühlsam schreibt Leukefeld über den Aufbruch der irakischen Gesellschaft in den 60er und 70er Jahren, als das arabische Land dank der Ölgelder und einer gezielten staatlichen Entwicklungspolitik aufblühte, die alles dominierende Angst in der Ära Hussein, die Brutalität der Kriege. Es ist auch ein Buch über aufopfernde Liebe und den Kampf einer Frau aus konservativem Haus um Selbstbestimmung – schließlich auch über eine verkommene Pressemeute, die in Amer Al Saadi den »Giftmischer Saddams« erkannt zu haben glaubte.

Helma Al Saadis Leben zwischen Hamburg und Bagdad liest sich spannend wie ein Krimi. Leukefeld gelingt es damit, die wechselvolle Geschichte und Gegenwart des Irak – Revolution, Aufschwung, Diktatur, Krieg und Besatzung – am Schicksal einer Frau auch politisch Unbedarften nahezubringen und dem Land zwischen Euphrat und Tigris ein Gesicht jenseits Saddam Husseins zu geben.

Rüdiger Göbel

Nimm Abschied und werde stark. Helma Al Saadi – Ein Leben zwischen Hamburg und Bagdad. Von Karin Leukefeld, 320 Seiten, Aufbau-Verlag, Berlin 2004, Euro 21,90


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