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In Beton gegossener Separatismus

Trotz immer neuer Mauern wird das Leben in Bagdad nicht sicherer

Von Karin Leukefeld *

Ein neuer »Sicherheitswall« in Bagdad sorgt nicht nur in der irakischen Hauptstadt für Empörung. »Die neue USA-Strategie hat das Gerede über religiösen Separatismus in Beton gegossen«, lautet die harsche Kritik der Tageszeitung »Al Ittihad« aus Dubai über den Bau einer Betonmauer um Al Adhamija, einen Bagdader Stadtteil am östlichen Ufer des Tigris.

Ministerpräsident Nuri al Maliki forderte bei einem Besuch in Kairo einen Baustopp, doch seine Äußerungen scheinen wenig Wirkung zu zeigen: Die Bauarbeiten an der Mauer gehen weiter. Fünf Kilometer lang und dreieinhalb Meter hoch soll die Mauer werden, die seit dem 10. April von USA-Soldaten um Adhamija gezogen wird. Aus Angst vor Anschlägen baut das Militär nur nachts. Angeblich soll die Mauer die Angriffe sunnitischer Aufständischer gegen schiitische Iraker verhindern und schiitische Milizen davon abhalten, sunnitische Iraker zu bedrohen und anzugreifen.

Die ratlosen Militärstrategen gehen bei dem Versuch, Bagdad zu sichern, weit in die Geschichte zurück. Als Bagdad im Jahre 672 gegründet wurde, nannte man die Stadt auch »Madinat al Salam«, die Stadt des Friedens. Der alte Stadtkern soll kreisrund gewesen sein und lag am westlichen Tigrisufer. Bagdad soll aus einem »System konzentrischer Mauerkreise bestanden haben, die jeweils von vier militärisch leicht zu sichernden Hauptstraßen in Kreuzform durchschnitten wurden«, schreibt der Soziologe und Islamwissenschaftler Markus Hattstein über die Stadt. Die Anlage wurde Anfang des 9. Jahrhunderts in einem Bruderkrieg zerstört, danach wurde Bagdad als weltoffene Handelsstadt und Zentrum der schönen Künste neu erbaut. Im Laufe der Geschichte wurde Bagdad oft zerstört und neu gebaut, nie wieder aber wurde so sehr auf »Frieden durch Mauern« gesetzt wie in der jüngsten Geschichte unter USA-Besatzung.

Vor der Invasion 2003 waren die Palastanlagen Saddam Husseins und seiner Familie durch hohe Mauern umgeben – eine Entwicklung, die nach Auskunft alteingesessener Bagdader erst nach seiner Machtübernahme 1979 begann. Vorher lagen Präsidentenpalast und Regierungsgebäude inmitten des Viertels Karadat Maryam, des heutigen Zentrums der komplett von Mauern umschlossenen »Grünen Zone«. Nach dem US-amerikanischen Einmarsch in Bagdad waren zunächst meterbreite Stacheldrahtbarrieren aus dem Boden geschossen, die nach und nach durch Betonmauern ersetzt wurden. Das Geschäft mit den Betonmauern boomte, anfangs war es wie ein Wettbewerb: Wer etwas auf sich hielt, mauerte sich ein. Zunächst wurden das Journalistenhotel »Palestine« und das gegenüberliegende »Sheraton« eingemauert. Der ersten Mauer folgte bald eine zweite. Auch die meisten anderen Hotels, in denen ausländische Journalisten, Sicherheitsdienste und Firmenvertreter wohnen, umgaben sich mit Mauern.

Es folgten die Mauern um die Botschaften. Die Franzosen bauten eine doppelte Mauer, deren äußerer Teil bei einem Wettbewerb von irakischen Kunststudenten phantasievoll verschönert wurde. Die Mauern um die neue deutsche Botschaft sind so hoch, dass man die Dächer der dahinter liegenden Häuser kaum noch erkennen kann.

Unter Irakern erzählte man sich bald, die Fertigteile für die Mauern kämen aus israelischen Fabriken, wo man Erfahrung im Mauerbau habe. Doch das Firmenemblem auf den Mauerteilen, »77 Company«, weist auf ein kurdisches Konsortium hin, das seit 1994 seinen Sitz im nordirakischen Erbil hat und auf seiner Webseite verschiedene Sorten von Mauern anbietet.

Trotz der Mauern wird das Leben in Bagdad nicht sicherer. Für die Bagdader ist die neue Mauer eine Provokation. In Adhamija empfindet man sie als »Kollektivstrafe«, der Gemeinderat sei nicht gefragt worden. »Unser ganzer Bezirk wird ein Gefängnis«, beschwerte sich der Ingenieur Ahmed Al-Dulaimi. Im vierten Jahr der Besatzung gebe es so viele Mauern, dass die Menschen keine Luft mehr kriegten. Eine Frau meinte, wenn die Mauern tatsächlich das Leben sicherer machen würden, wäre Bagdad über Nacht zu einem »Labyrinth aus Mauern« geworden. Die Wachleute vor der französischen Botschaft antworteten auf die Frage, wie lange die Mauern wohl blieben: »Bis die Amerikaner wieder gehen.«

* Aus: Neues Deutschland, 26. April 2007


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