Die Not in Irak wächst zusehends
Millionen Menschen warten vergeblich auf ihre Lebensmittelrationen
Von Karin Leukefeld *
Während in Washington über die künftige Strategie im Zweistromland gestritten wird, wissen viele Iraker nicht, was sie am nächsten Tag essen sollen.
In den von Gewalt bisher weitgehend verschonten kurdischen Provinzen in Nordirak breitet sich seit einigen Wochen die Cholera aus. Sechs Fälle wurden nun auch in der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil gemeldet, berichtet Khaled Abdullah von der zuständigen Gesundheitsbehörde. In den kurdischen Provinzen Dohuk und Suleymania waren zuvor schon 131 Cholerafälle bestätigt worden, neun Personen starben. Cholera breitet sich durch den Gebrauch unsauberen Wassers und durch mangelnde Abwasserentsorgung aus.
Derzeit bereiten sich wie alle Muslime auch die Iraker auf den Fastenmonat Ramadan vor, der voraussichtlich am 13. September beginnt. Während des Ramadans essen und trinken gläubige Muslime von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nicht, was bei Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius in Irak sehr anstrengend ist. Vermutlich werden viele Iraker in diesem Jahr auch nach Sonnenuntergang kaum etwas zu essen haben, denn das System der Lebensmittelverteilung funktioniert kaum noch.
Viele Lebensmittel seien knapp geworden, berichtet Muhammad Ala'a Jabber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN in Bagdad. Jabbar leitet das zentrale Büro für die Lebensmittelverteilung im Westen der irakischen Hauptstadt. »Die Produkte, die wir bekommen können, sind von schlechter Qualität, und manche haben das Haltbarkeitsdatum lange überschritten.« Außerdem sei es schwierig, die Lebensmittel – Mehl, Zucker, Reis, Öl, Tee, Linsen, Milchpulver und anderes – zu den jeweiligen Verteilerstellen im ganzen Land zu transportieren. Dafür sei der Mangel an Sicherheit verantwortlich, schon oft seien Lebensmitteltransporte überfallen und ausgeraubt worden, sagt Jabbar. »Manche Familien müssen mit leeren Händen nach Hause gehen, weil wir nicht mehr genug Mehl und weniger Tee zur Verfügung haben.«
Unter dem früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein waren die Lebensmittelrationen fast doppelt so groß wie heute und von besserer Qualität, sagen übereinstimmend Empfänger und Verteiler der Lebensmittel. »Eine Dose Milchpulver für Babymilch konnte man früher für umgerechnet etwa 20 Eurocet auf dem Markt kaufen, heute muss man dafür mehr als drei Euro bezahlen«, erklärt Professor Muhammad Ezidin von der Universität Bagdad. Die meisten Lebensmittelrationen seien um 35 Prozent geschrumpft.
Besonders schwierig sei es für die vielen vertriebenen Familien, ihre Tagesrationen an Lebensmitteln zu erhalten. Abu Akram (32) lebt in Bagdad und ist Vater von vier Kindern. Seit zwei Monaten habe er die überlebensnotwendige Nahrung nicht mehr bekommen, klagt der verzweifelte Vater. »Meine Kinder sind krank, unterernährt, und ich habe keine Arbeit. Woher soll ich Geld nehmen, um die Kinder zu ernähren?« Nach Einschätzung Sinan Youssefs, eines Mitarbeiters im Arbeits- und Sozialministerium, sind gegenwärtig fünf Millionen Iraker von den monatlichen Essensrationen abhängig; nur 60 Prozent von ihnen hätten Zugang zu den Lebensmitteln, während rund zwei Millionen in größter Armut lebten.
* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2007
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