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"Sie hat sich nicht gescheut Dinge in Angriff zu nehmen, die sich keiner sonst getraut hat"

Dr. Walter Sommerfeld, Professor für Altorientalistik an der Universität Marburg, im Interview: Über Susanne Osthoff und den Kampf um den Erhalt der irakischen Kulturgüter


Fragen und Bearbeitung: Karin Leukefeld*

Frage: Als Professor für Altorientalistik und Keilschriftexperte haben Sie den Irak in den letzten 20 Jahren oft bereist und dort auch länger gelebt. Wann waren Sie das letzte Mal dort?

Walter Sommerfeld: Im April 2004. Ich bin an dem Tag zurückgefahren, an dem der offene Kampf in Falludscha zwischen den Aufständischen und der amerikanischen Armee begann. Wir waren einer der letzten Wagen, die noch dort durch kamen. Ich wurde auf Schleichwegen, an den Kampflinien vorbei, bis nach Ramadi gebracht. Am nächsten Tag konnte kein Ausländer mehr über Land ausreisen.

Frage: In welchem Zustand waren die Kulturgüter damals, soweit Sie das überprüfen konnten?

Walter Sommerfeld: In Bagdad hatte man das Nationalmuseum in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt. Die Magazine waren zugemauert, man hatte Angst, dass es noch einmal zu neuen Plünderungswellen kommen könnte, da wollte man vorbereitet sein. Auf dem Land gab es nicht einmal einen Minimalschutz für die antiken Stätten, von denen der Irak Tausende hat. Ich habe Luftaufnahmen von einigen der wichtigsten alten Stätten der Sumerer gesehen, die sahen wie eine Mondlandschaft aus. Man konnte damals nur aus dem Hubschrauber fotografieren, jede Inspektion über Land, auch durch den irakischen Antikendienst, wäre überfallen und getötet worden.

Frage: Gibt es heute genauere Informationen?

Walter Sommerfeld: Nun, ich kann über den Stand vom letzten November berichten, als der Generaldirektor des Antikendienstes, Dony George und einige seiner engsten Mitarbeiter in Deutschland waren. Man hat eine Kulturpolizei mit knapp 1400 Polizisten eingerichtet. Die sind, ich glaube von Japan, modern ausgerüstet und bewaffnet worden. Sie fahren im Süden Patrouille und verhaften Raubgräber, konfiszieren geraubte Antiquitäten.

Frage: 1400 Polizisten für Tausende von Kulturstätten, ist das nicht etwas wenig?

Walter Sommerfeld: Das ist wenig. Im Irak gibt es 10.000 registrierte antike Hügel, Ruinen. Die Zahl aller antiken Orte aber wird auf 100.000 geschätzt. Es sind also nur 10% überhaupt registriert. Dafür sind 1400 Polisten wenig, aber es ist besser als nichts.

Frage: Wer sind die Kunsträuber und wer sind ihre Auftraggeber bzw. Abnehmer?

Walter Sommerfeld: Dieser blühende Markt mit gestohlenen Antiquitäten hat viel Zeit gehabt, um sich aufzubauen. Es begann in der Embargophase, vor 1990 wurden Raubgrabungen rigoros unterbunden. Dann entdeckten die Antikenhändler, dass der Irak ein einziges Eldorado mit unzähligen Antiquitäten und Kunstschätzen ist. Langsam baute sich ein Netz von Schmugglern, Hehlern und Händlern auf. Agenten vor Ort brachten geländegängige Autos, Waffen und Ausrüstung. Die Bauern wurden angestiftet, die Ausgrabungen zu machen. Dann schmuggelte man alles über die Grenze, was bei 2000 km unbewachter Grenze kein Problem ist. Die Sachen gingen um die ganze Welt, Amerika, Europa. In London gab es ganze Warenlager mit geschmuggeltem Kulturgut aus dem Irak. Nach dem Zusammenbruch des Staates 2003 hatten diese Händler, Hehler und Schmuggler eine paradiesische Zeit. Seitdem wurde mehr zerstört, als in Jahrtausenden zuvor.

Frage: Vor einem halben Jahr wurde der Irak vom World Monument Fund als gesamtes Land auf die Liste der am meisten bedrohten Kulturgüter gesetzt, hat es so etwas schon einmal gegeben?

Walter Sommerfeld: Das habe ich vorher noch nicht gehört, dass ein ganzes Land als bedrohtes Kulturgut klassifiziert wird. Die UNESCO hatte unermüdlich darauf hingewiesen, dass dort eine ungeheure Zerstörung passierte und die Wiege der Zivilisation vor unseren Augen ausgeraubt und vernichtet wird. In den Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und GRÜNEN stand zwar die Ratifizierung der UNESCO-Konvention zum Schutz des kulturellen Gutes (1970), doch nichts ist passiert. Ich habe gehört, dass es bei der neuen Regierung wieder auf der Agenda steht.

Frage: Die Bundesregierung will sich – gemeinsam mit der UNESCO - für den Wiederaufbau der historischen Stadt Babylon einsetzen. Ausländische Truppen hatten dort zwei Jahre lang ihr Lager aufgeschlagen. Ist Ihnen Näheres über den Zustand von Babylon bekannt?

Walter Sommerfeld: Dony George und seine Mitarbeiter berichteten im November darüber. Die amerikanischen und polnischen Truppen hatten aus Babylon ein Militärcamp gemacht, mit Panzergelände und Hubschrauberlandeplatz. Sie gruben den Kulturboden auf und füllten damit Sandsäcke, die alte Prozessionsstraße aus der Zeit von Nebukadnezar soll ziemlich ramponiert sein. Wie die Barbaren haben diese Truppen dort gehaust. Jetzt ist das Camp geräumt und Babylon soll auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt werden.

Frage: Nicht zuletzt aus Ihrer archäologischen Arbeit kennen Sie die vor vier Wochen entführte Archäologin Susanne Osthoff persönlich gut. Glücklicherweise ist sie ja wieder in Freiheit, dennoch die Frage: hat diese Entführung Sie überrascht?

Walter Sommerfeld: Es kann niemanden überraschen, wenn im Irak heute Ausländer entführt werden. Wenn irgendjemand sich in dem Land aufgrund von Ortskenntnissen, Infrastruktur und Kontakten bewegen konnte, dann war sie das. Es zeigt, dass selbst die besten Ortskundigen sich in diesem Land nicht mehr schützen können.

Frage: In Deutschland wurde spekuliert, dass möglicherweise die Kunstraubmafia hinter der Entführung stecken könnte, halten Sie das für möglich?

Walter Sommerfeld: Das ist das Einzige, was ich wirklich ausschließen möchte. Sie hat natürlich penetrant gemahnt und war dabei auch effizient. Aber Gruppen, die sich von so jemandem gestört fühlen, legen einen einfach um. Ein Killer kostet keine 50 Dollar in Bagdad.

Frage: Einen Tag nach der Entführung von Susanne Osthoff und ihrem Fahrer wurden auch vier Freiwillige einer christlichen Friedensorganisation in Bagdad entführt, glauben Sie, da gibt es einen Zusammenhang?

Walter Sommerfeld: Diese Männer haben das Pech, dass sie die Nationalität von Ländern haben, die dort besonders unbeliebt sind. Entführungen sind auch ein Politikum. Seit 2003 wird systematisch versucht, die Ausländer zu vertreiben. Man hat die UNO weggebombt, die Hilfsorganisationen. Diese Gruppen wollen alle Ausländer vertreiben, weil sie ihnen die Schuld an dem Desaster geben, in das der Irak geraten ist.

Frage: Susanne Osthoff wollte, Medienberichten zufolge, Kulturzentren in Mossul und Erbil aufbauen und dafür alte Häuser restaurieren lassen. Halten Sie ein solches Engagement derzeit für realistisch?

Walter Sommerfeld: Sisyphos könnte ein Iraker sein. Wenn man sich vor Sisyphos’ Anstrengungen nicht scheut, dann kriegt man schon einiges hin. Wenn ein solches Projekt gelänge, dann wäre das ein Lichtblick. Und dieses Land braucht Lichtblicke. Man braucht Schritte nach vorne. Unter extremem Einsatz und größten Schwierigkeiten könnte man so ein Projekt realisieren, doch das würden nur wenige Menschen auf sich nehmen wollen und können.

Frage: Die deutsche Öffentlichkeit zeigte nur wenig Solidarität mit Frau Osthof. Worauf ist Ihrer Ansicht nach dieses Schweigen zurückzuführen?

Walter Sommerfeld: Das dürfte damit zusammenhängen, dass sie sich nicht als Identifikationsfigur anbietet. Sie hat ein sehr bewegtes Leben geführt, ungewöhnliche Dinge getan, sie hat sich nicht gescheut, auch gegen den guten Rat ihrer Umgebung Dinge in Angriff zu nehmen, die sich keiner sonst getraut hat. Als Heldin, mit der man sich identifiziert, ist sie wenig geeignet, weil sie sich konsequent nach ihren sehr klaren Werten richtet. Für diejenigen aber, die Risiken aus dem Weg gehen und die auch nicht viel bewegen, für die ist sie wohl ein Spiegel, in den man nicht so gerne guckt.

Frage: Was meinen Sie, wann Sie wieder in den Irak reisen können?

Walter Sommerfeld: Ich würde dieses Risiko dann wieder eingehen, wenn meine Freunde im Land sagen würden, wir können Dich schützen, wir kriegen das hin. Ohne eine solche Infrastruktur mauert man sich in diesen gesicherten Hotels ein, ist 90% seiner Zeit mit Sicherheitsmaßnahmen beschäftigt und steckt höchstens mal für Sekunden die Nase vor die Tür. Dann ist man pro forma da, aber nicht wirklich. Ich warte also auf die Einschätzung meiner irakischen Freunde.

* Dieses Interview, aufgenommen am 21. Dezember 2005, erschien unter dem Titel "Sisyphos könnte Iraker sein" gekürzt im "Neuen Deutschland" vom 27. Dezember 2005. Mit bestem Dank an Karin Leukefeld für die Überlassung des gesamten Textes.


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