"Lackmustest für Schröders und Fischers angebliche Kriegsgegnerschaft"
Analyse der deutschen Position zum Irakkrieg
Von der Homepage der IMI e.V. Tübingen haben wir die folgende Analyse erhalten. (http://www.imi-online.de)
Von Tobias Pflüger*
Die Bundesregierung gewährt den USA wohl politisch und juristisch
gefährliche militärische Unterstützungsleistungen für den Irak-Krieg
1. Die Friedensbewegung als Impulsgeberin?
Fast schien es so, dass die Friedensbewegung die Impulsgeberin der
deutschen Debatte zum Irakkrieg gewesen war. In der IMI-Analyse
2002/052, "Wir glauben Euch noch nicht" vom 07.08.2002 (1) hat die
Informationsstelle Militarisierung (IMI) darauf hingewiesen, dass den
Worten der rot-grünen Bundesregierung, sie lehne den Krieg gegen den
Irak ab, Taten folgen müssten. Wir haben darin fünf Punkte aufgeführt,
die erfüllt werden müssten, damit eine im Wahlkampf formulierte deutsche
"Antikriegsposition" glaubwürdig sei. Diese fünf Punkte lauten: Erstens
keine finanzielle Unterstützung, zweitens kein Zurverfügungstellen von
Bundeswehr-Truppen, drittens keine Truppenunterstützung, viertens keine
Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in Deutschland
("das schließt nicht nur die deutschen sondern auch die
us-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport
u.a. mit ein"). Und fünftens die Einlegung eines Vetos innerhalb der
NATO gegen die Unterstützung eines Irak-Kriegs.
Diese Punkte sind erfreulich stark aufgegriffen worden. Stück für Stück
machte selbst die Bundesregierung - in der Schlußphase des Wahlkampfes -
den Eindruck, als wollte sie diese Punkte erfüllen. Bundeskanzler
Gerhard Schröder und in seinem Gefolge andere SPD-Politiker und
Grünen-Vertreter sprachen sich klar gegen eine finanzielle Unterstützung
des Irak-Kriegs aus.
Verteidigungsminister Peter Struck stellte sogar den Abzug der Panzer in
Kuwait bei Kriegsbeginn in Aussicht. Der Kriegsbeginn ist allerdings
genau der falsche Zeitpunkt, dies kommt einem Nichtabzug gleich. Denn
die Aufgabe der Bundeswehrsoldaten ist explizit die Unterstützung von
US-Soldaten. Sollte also ein Angriff gegen den Irak beginnen, sind die
Bundeswehrsoldaten und damit Deutchland in den Krieg direkt involviert.
2. Gegen den Krieg reden und für den Krieg handeln? Schröders
Nichtaussage die gilt.
Doch gegen den Krieg reden und etwas real gegen eine Kriegsteilnahme zu
tun, sind offensichtlich zwei paar Schuhe. Ein zentraler Punkt in
unserem Papier war: "Keine Zurverfügungstellung der militärischen
Infrastruktur in Deutschland (das schließt nicht nur die deutschen
sondern auch die US-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein,
Frankfurt Airport u.a. mit ein)." Auch dieser Punkt war in der
veröffentlichten Debatte, beispielweise in der Bundespressekonferenz vom
4. September 2002. Die dortige Auseinandersetzung zeigt, wie relevant
der Punkt ist.
In der Bundespressekonferenz wurde sehr vorsichtig die folgende Frage
gestellt: "Herr Bundeskanzler, es beginnt eine kleine Diskussion
darüber, ob Deutschland auch Konsequenzen ziehen müsste, weil es ja
Überflugrechte und Nutzungsrechte amerikanischer Flughäfen usw. gibt,
die in einem solchen Fall auch sicherlich genutzt werden würden. Könnten
Sie dazu etwas sagen?" Gerhard Schröder antwortet gereizt: "Ich bin
nicht bereit, hier zu jeder kleinen Diskussion, die von wem auch immer
begonnen wird, Erklärungen abzugeben. Ich glaube, dass die
Grundsatzposition Deutschlands ganz klar ist, und dabei soll es bleiben."
Daraufhin hakte ein etwas mutigerer Journalist nochmal nach und wollte
wissen, ob denn nun der deutsche Luftraum und die Basen, die die USA in
Deutschland unterhalten, für einen Angriff auf den Irak zur Verfügung
stünden. Der Frager wurde dafür scharf abgekanzelt: "Ich hatte auf die
Frage Ihres Kollegen schon gesagt: Lassen Sie uns Fragen diskutieren,
wenn sie anstehen; denn ich denke nicht daran, über jedes Stöckchen -
auch nicht über Ihres - zu springen."
Jetzt faßte der Journalist allen Mut zusammen und legt nochmal nach:
"Verzeihung, Herr Bundeskanzler, aber das ist kein Stöckchen, sondern
alle Militärexperten sind sich einig, dass die militärisch maßgebliche
Frage für die Amerikaner die ist, ob der deutsche Luftraum genutzt
werden kann." Darauf Gerhard Schröder abschließend: "Nehmen Sie meine
Antwort so, wie ich sie Ihnen gegeben habe. Die gilt." Schröder hat
keine Antwort gegeben und die gilt.
3. Die juristische Situation
Um zu beurteilen, welche Handlungsspielräume eine deutsche Regierung
hätte, lohnt sich ein Blick in das Zusatzabkommen zum
NATO-Truppenstatut. Dieter Deiseroth, Richter am
Bundesverwaltungsgericht und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der
internationalen Juristenvereinigung IALANA, die sich für ein weltweites
Verbot von Atomwaffen einsetzt, beschreibt in der Frankfurter Rundschau
vom 11. September 2002 die völkerrechtliche Situation einer Nutzung
(US-amerikanischer) militärischer Infrastruktur in Deutschland in Bezug
auf den angekündigten Irak-Krieg. (2) Deiseroth zählt vier Möglichkeiten
des Rückgriffs der USA auf militärische Infrastruktur in Deutschland auf:
-
Die deutsche Regierung könnte um Überflugrechte im deutschen Luftraum
ersucht werden.
-
US-Militärflugzeuge könnten auf US-Militärflughäfen in Deutschland
(z.B. US-Air-Base Rhein-Main) zwischenlanden und von hier aus in ihre
Einsatzgebiete weiterfliegen.
-
Die US-Regierung könnte versuchen, US-Kriegsmaterial, das in
Deutschland befindlichen US-Stützpunkten eingelagert ist, sowie hier
stationierte Truppen auf dem Luft- oder Seeweg in das Kriegsgebiet zu
verbringen.
-
In Deutschland gelegene US-Kommandoeinrichtungen (z.B. US-EUCOM in
Stuttgart-Vaihingen) sowie Kommunikations- und Infrastruktursysteme
könnten in die Planung und Durchführung militärischer Operationen gegen
Irak einbezogen werden.
Deiseroth macht deutlich, "für Militärschläge gegen Irak mit dem Ziel,
das Regime von Saddam Hussein zu stürzen und Irak zum amerikanischen
Einflussgebiet zu machen, kann sich die US-Regierung ... nicht auf
Artikel 51 der UN-Charta berufen".
Darüberhinaus würde "ein Nato-Staat, der eine Aggression plant und
ausführt, ... nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen
Art. 1 NATO-Vertrag (verstoßen)". Spannend wird es für die
Bundesregierung, wenn Deiseroth sagt: "Völkerrechtswidrig handelt
freilich nicht nur der Aggressor, sondern auch derjenige Staat, der
einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem Hoheitsgebiet dessen
kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt."
Als Aggressionshandlung und damit als Verstoß gegen das völkerrechtliche
Gewaltverbot ist unter anderem die "Handlung eines Staates (zu
qualifizieren), die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet,
das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem
anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen
dritten Staat zu begehen". Dies wird in Art. 3 f der von der
UN-Generalversammlung am 14. Dezember 1973 beschlossenen Resolution
ausdrücklich festgelegt.
Deiseroth berichtet weiter, dass schon früher bundesdeutsche Regierungen
in die Situation geraten sind, völkerrechtswidrige Kriegsunterstützung
untersagen zu müssen: "Erstmals im Zusammenhang mit dem israelischen
Yom-Kippur-Krieg im Jahre 1973 wurde die Einbeziehung des deutschen
Hoheitsgebietes in militärische Konflikte außerhalb des 'Nato-Gebietes'
zu einem brisanten Thema: Drei israelische Frachter hatten sich auf
Veranlassung der amerikanischen Regierung im Oktober 1973 an der Reede
von Bremerhaven eingefunden, um Kriegsmaterial der in der Bundesrepublik
stationierten US-Streitkräfte an Bord zu nehmen; der damalige
Bundeskanzler Willy Brandt entschied zusammen mit seinem Vizekanzler und
Außenminister Walter Scheel, die Verladungen sollten ohne Verzug
eingestellt werden und die israelischen Schiffe die deutschen
Hoheitsgewässer sofort verlassen. Ein weiteres Mal stellte sich die
angesprochene Problematik, als der damalige US-Oberbefehlshaber in
Europa, General Rogers, öffentlich erklärte, die am 14./15. April 1986
von der US-Luftwaffe durchgeführten Bombenangriffe auf Libyen seien von
seinem Hauptquartier in Stuttgart-Vaihingen aus 'vorbereitet' und
'gesteuert' worden."
Und jetzt kommt das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut ins Spiel:
"Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Übereinkommen
seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. u.a. Art.1 des Chicago-Abkommens
von 1944), besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet
'volle und ausschließliche Lufthoheit'. Sind allerdings - wie in
Deutschland - ausländische Truppen stationiert, so werden Umfang und
Grenzen der Bewegungsfreiheit dieser Stationierungsstreitkräfte
regelmäßig in speziellen völker-rechtlichen Abkommen geregelt. Nach der
Aufhebung des Besatzungsregimes erfolgte dies in Deutschland in Gestalt
des so genannten Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut. In der bis 1994
geltenden Fassung dieses Zusatzabkommens (ZA-NTS 1959), das in diesem
Bereich die Regelungen aus der Besatzungszeit als Vertragsrecht
weitgehend fortführte, war den in Deutschland im Rahmen der Nato
stationierten US-Truppen eine sehr weitgehende Bewegungsfreiheit im
deutschen Luftraum eingeräumt: Eine 'Truppe' war berechtigt, mit
Luftfahrzeugen 'die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich
in und über dem Bundesgebiet zu bewegen' (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1959)",
erklärt Deiseroth.
Er führt weiter aus: "Würde es dagegen die deutsche Regierung im Falle
eines US-Krieges gegen Irak widerspruchslos dulden, dass die
US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von
US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig
völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt würden, so wären die Folgen
sicher: Zum einen würde eine deutsche Regierung mit der bewussten
Duldung der Einbeziehung des deutschen Luftraums und deutschen
Hoheitsgebietes in die Führung eines völkerrechtswidrigen
Angriffskrieges einen fatalen 'Präzedenfall' für die Zukunft schaffen;
denn eine sich herausbildende oder gar sich verfestigende Staatspraxis
trägt zur authentischen Auslegung und Implementierung völkerrechtlicher
Regelungen entscheidend bei. Zum anderen stünde jede deutsche Regierung
vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs. Wenn sie bewusst das deutsche
Hoheitsgebiet in die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges
verwickeln und einbeziehen (lässt), kommt es zum Konflikt mit Art. 26 GG
und Art. 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages.
Beide Normen verbieten ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges
'vorzubereiten'. Dieses Verbot des Angriffskrieges umfasst nach seinem
Wortlaut zwar nur dessen 'Vorbereitung'. Wenn ein Angriffskrieg jedoch
von Verfassungs wegen bereits nicht 'vorbereitet' werden darf, so darf
nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein solcher erst recht nicht
geführt oder gefördert werden, in welcher Form auch immer. Das
grundgesetzliche Verbot des Angriffskrieges, das zudem strafrechtlich
bewehrt ist, ist dabei umstands- und bedingungslos normiert: Die
Vorbereitung, Führung und Unterstützung eines Angriffskrieges ist in
jeder Hinsicht 'verfassungswidrig' und 'unter Strafe zu stellen'. Darin
unterscheidet es sich von der in Art. 26 GG enthaltenen anderen
Verbotsalternative, die 'Handlungen' erfasst, 'die geeignet sind und in
der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker
zu stören'.", soweit Deiseroth.
Die Bundesregierung muß auf diese völkerrechtliche Analyse reagieren,
will sie glaubwürdig bleiben.
4. Die politische Situation oder die Transporte laufen wohl schon
Unabhängig von der völkerrechtlichen Bewertung ist die Frage politisch
relevant. Aus Spangdahlem, Ramstein und Frankfurt Airport werden
verstärkte Luftbewegungen gemeldet. Die umfangreichen Transporte von
Kriegsmaterial über Deutschland laufen wohl schon.
Spangdahlem, Ramstein und die Frankfurter Air-Base - wie in der
IMI-Analyse "Wir glauben Euch noch nicht" genannt - sind die zentralen
Umschlagplätze für Kriegsvorbereitung und Kriegsdurchführung, auch
während des geplanten Irakkrieges.
Derzeit werden sowohl die Militärbasis Ramstein als auch Spangdahlem
umfangreich ausgebaut. (3) Aus Spangdahlem flogen schon während des
NATO-Krieges gegen Jugoslawien täglich Tarnkappenbomber direkt nach
Jugoslawien. Auf der Frankfurter Airbase befinden sich derzeit viele
sogenannte "Stratotanker" KC-135 Tanktransportflugzeuge. Sie können bis
zu 90.000 Liter Kerosin aufnehmen, um damit in der Luft Kampfflugzeuge
zu betanken. Ebenso sind derzeit auf der Frankfurt Air Base "Starlifter"
C-41 Transportflugzeuge und die großen "Galaxy"-Flugzeuge. (4)
Langsam wird klar, warum Gerhard Schröder gereizt auf Nachfragen zur
militärischen Infrastruktur und zu Überflugrechten reagiert: Diese
militärische Unterstützung des Irakkrieges ist der Lackmustest für
Schröder und Fischer und ihre angebliche Kriegsgegnerschaft: Alles sieht
danach aus, daß SPD und Grüne nun - im Gegensatz zum NATO-Angriffskrieg
gegen Jugoslawien und dem noch laufenden Afghanistankrieg - zwar gegen
den Krieg reden, aber - und das ist der zentrale Punkt - nichts gegen
den Krieg tun. Oder, um den Titel der IMI-Analyse von Anfang August
aufzugreifen: "Wir glauben Euch immer noch nicht."
* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
IMI-Analyse 2002/071
http://www.imi-online.de/2002.php3?id=210
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