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Betrugsvorwürfe in Bagdad

Urnen verschwunden, Listen fehlerhaft: Ergebnisse der Provinzwahlen im besetzen Irak sollen erst Ende Februar veröffentlicht werden

Von Karin Leukefeld *

Nach den Provinzwahlen im besetzten Irak muß sich die Unabhängige Oberste Wahlkommission (IHEC) mit mehreren Betrugsvorwürfen befassen. In Khanaqin, einer irakisch-kurdisch-iranischen Grenzstadt im Nordosten des Landes, beschwerten sich mehrere hundert Kurden darüber, daß sie nicht in die Wählerlisten eingetragen waren. In der westirakischen Provinz Anbar müssen die Stimmen neu gezählt werden, entschied die IHEC. Die »Freie Unabhängige Bewegung« des Besatzungsgegners Muqtada Al-Sadr hat derweil den Vorwurf erhoben, daß in Bagdad einige Wahlurnen verschwunden seien. Die Wahlbeteiligung am 31. Januar war mit 51 Prozent hinter den Erwartungen der Wahlkommission zurückgeblieben. Grund dafür dürfte ein weit über die religiösen und sozialen Grenzen hinaus verbreiteter Zorn der Iraker über Korruption und Mißwirtschaft gewesen sein. Die Wahlbeteiligung in den südlichen, vorwiegend von schiitischen Muslimen bewohnten Provinzen, fiel im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2005 deutlich geringer aus. In den vorwiegend von sunnitischen Muslimen bewohnten westlichen und nördlichen Provinzen war sie dagegen mit bis zu 65 Prozent deutlich höher.

Die Endergebnisse werden nach Auskunft des IHEC-Wahlleiters Faraj Al Haydari vermutlich erst Ende Februar vorliegen. Veröffentlichte vorläufige Ergebnisse zeigen, daß nationale und säkulare Programmatik bei den Wählern die größte Zustimmung fand. Allen voran soll die von Premierminister Nuri Al-Maliki unterstützte »Koalition für den Rechtsstaat« in Bagdad und den südlichen Provinzen deutlich gewonnen haben; ein Sieg, der allerdings auch vom Hohen Islamischen Rat für Irak (SIIC) des Predigers Abdulaziz Al-Hakim zumindest in den südlichen Provinzen reklamiert wird. Al-Sadrs »Freie Unabhängige Bewegung« wiederum beansprucht nicht nur in Bagdad, sondern auch in den südlichen Provinzen besser abgeschnitten zu haben, als der SIIC. Die »Islamische Irakische Partei« hat für sich derweil den Wahlsieg in den westlichen und nördlichen Provinzen Anbar, Salahadin und Diyala erklärt; in Mosul und Basra will die Partei jeweils auf Platz zwei gekommen sein. Das allerdings beansprucht für sich auch die säkulare Nationale Irakische Liste des früheren Premierministers Ijad Allawi. Deutlich zurückgedrängt wurden die Kandidaten kurdischer Parteien in Mosul.

Eindeutiger Verlierer der Provinzwahlen ist die schiitische Allianz, die bei den Parlamentswahlen 2005 gewonnen hatte. Sie war schon während des Wahlkampfes in vier mit einander konkurrierende Lager auseinandergebrochen. Durch seine geschickte Bündnispolitik mit den irakischen Stämmen und seiner zumindest rhetorischen Abgrenzung zu den USA, scheint Premier Al-Maliki als einziger der herrschenden Politikergarde seine Ausgangsposition für die Parlamentswahlen Ende 2009 gefestigt zu haben. Punkten dürfte er zusätzlich durch Äußerungen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die dieser am vergangenen Freitag bei einer Zwischenlandung in Bagdad gemacht hatte. Gegenüber der Presse hatte der Chef der Vereinten Nationen ein mögliches Ende der restlichen UN-Sanktionen gegen Irak angekündigt. Nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 waren die meisten Einschränkungen aufgehoben worden, ein Waffenembargo blieb allerdings in Kraft. Außerdem muß der Irak weiterhin Reparationszahlungen wegen der Kuwait-Invasion 1990/91 leisten. Erst kürzlich teilte die zuständige UN-Kommission mit, 460 Millionen US-Dollar seien an 12 verschiedene Antragsteller gezahlt worden. Die Gesamtsumme der bisher geleisteten Reparationszahlungen Bagdads beläuft sich auf 26,9 Milliarden US-Dollar.

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2009

Hintergrund: US-Armee will Abzug aus Irak verzögern **

Barack Obama war zum US-Präsidenten gewählt worden mit dem Versprechen, binnen 16 Monaten die amerikanischen Soldaten aus dem Irak abzuziehen. Schon vor der Wahl im vergangenen November war klar, daß der Neue im Weißen Haus nur die Kampftruppen, nicht aber alle Besatzer aus dem Zweistromland abziehen oder gar die großen Militärbasen preisgeben will. In der vergangenen Woche sprachen sich nun hochrangige Kommandeure der US-Armee für einen langsameren Abzug aus – sprich für eine längere Präsenz. Der oberste Befehlshaber der Truppen im Irak, General Ray Odierno, und David Pe­traeus, Chef des US-Zentralkommandos. rieten ihrem Präsidenten Obama, die Rückkehr der Kampftruppen auf 23 Monate auszudehnen.

US-Militärplaner haben demnach drei Alternativen für den geplanten Abzug ausgearbeitet. Eine davon sieht einen von Obama immer wieder genannten Zeitrahmen von 16 Monaten vor. Die zweite Option geht von 19 Monaten aus, die dritte von den 23 Monaten, für die Odierno und Pe­traeus sind.

Die Zeitungsgruppe McClatchy berichtete am Wochenende, Obama werde die Strategie für den Irak-Abzug wahrscheinlich Mitte März der Öffentlichkeit vorstellen. Die USA haben derzeit rund 144000 Soldaten im Irak. In jedem Fall blieben am Ende mehrere zehntausend US-Soldaten im Zweistromland stationiert. Rund 30000 für den Abzug vorgesehene Soldaten sollen nach Afghanistan verlegt werden. Dort sind bereits 36000 US-Soldaten im Kriegseinsatz.

El Salvador hat unterdessen den Abzug seiner Hilfstruppen aus dem Irak abgeschlossen. Sechs Jahre lang hatte das lateinamerikanische Land die US-Armee mit eigenen Soldaten unterstützt. Jetzt ist das letzte 200 Mann starke Kontingent heimgekehrt. Menschenrechtler und Kirchenvertreter fordern einen Bericht über den Auslandseinsatz, der mindestens fünf salvadorianische Soldaten das Leben kostete. Wie Salvadors Staatsanwalt für Menschenrechte, Óscar Luna, betonte, habe die Bevölkerung ein Recht darauf, die Ergebnisse der weithin abgelehnten Militäroperation zu kennen. Aus einer Umfrage des Universitätsinstituts für öffentliche Meinung von 2007 geht hervor, daß 83,4 Prozent gegen die Besatzungshilfe waren. (AFP/AP/IPS/jW)

** Aus: junge Welt, 10. Februar 2009




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