Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verfahren mit viel Symbolik

Saddam Hussein vor einem Sondergericht: UNO-Rechtsexperten sehen der Verhandlung mit Skepsis entgegen

Von Karin Leukefeld*

Als Saddam Hussein am 15. Oktober 2002 bei einem Referendum über seine Zukunft als irakischer Präsident mit üppigen 99 Prozent bestätigt wurde, verkündete er kurz darauf eine Generalamnestie für alle Gefangenen. Damals hätte er sich wohl kaum vorstellen können, dass er drei Jahre später, als Gefangener in einem USA-Militärgefängnis am Flughafen von Bagdad, selber bei einem Referendum abstimmen sollte, dieses Mal für eine neue irakische Verfassung.

Ob und wie Saddam Hussein am vergangenen Sonnabend abstimmte, ist nicht bekannt. Vor dem Irakischen Sondergericht hat er bei Anhörungen klar gemacht, dass er sich weiterhin als den rechtmäßigen Präsidenten Iraks sehe und daher Immunität genieße.

Den Sondergerichtshof, vor dem an diesem Mittwoch der Prozess gegen den 67-Jährigen beginnt, erkennt der Angeklagte nicht an. Abgeschirmt hinter den hohen Mauern der »Grünen Zone«, findet das Verfahren in einem der alten Paläste Saddams statt. Die Öffentlichkeit sei »aus Sicherheitsgründen« ausgeschlossen, so Richter Raid Juhi, der den Vorsitz hat. Der Prozess solle zeitgleich im Fernsehen übertragen werden. Wenn Strom vorhanden ist, um den Fernseher zu betreiben, werden die Iraker die Verhandlung wohl verfolgen, doch in den Landesmedien ist das Thema wenig präsent.

Von den Richtern des Sondergerichtshofs ist wenig bekannt, aus Sicherheitsgründen leben sie völlig abgeschottet. Nach Querelen um den Vorsitz hat sich der junge aufstrebende Richter Raid Juhi (33) durchgesetzt, der enge Kontakte mit den US-amerikanischen Rechtsberatern pflegt. Weitere fünf Richter sind namentlich nicht bekannt. Es sollen Iraker sein, die auch unter dem früheren Regime als Richter tätig waren. Von US-amerikanischen und britischen Juristen erhielten sie eine mehrmonatige Sonderausbildung, um sich Kenntnisse des internationalen Rechts bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzueignen. Die Rechtsexperten der Vereinten Nationen stehen dem Sondergerichtshof skeptisch gegenüber, er entspreche nicht internationalen Standards. Nach ihrer Ansicht wäre ein unabhängiges Gericht wie der Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag ein besserer Ort für das Verfahren gewesen.

Die Kritik der Verteidigung von Saddam Hussein geht noch weiter. Dort heißt es, das Verfahren werde von den USA kontrolliert. Das ursprünglich 20-köpfige internationale Anwaltsteam wurde von Raghan, der ältesten Tochter des Angeklagten, Ende August überraschend aufgelöst. Einige der Anwälte hätten das Vertrauen der Familie missbraucht, um persönliche Interessen zu verfolgen, lautete die Begründung. Übrig blieb einzig Rechtsanwalt Khalik Dulaimi aus Bagdad, der seinen Mandanten in der Isolationshaft auch besuchen konnte. Man sei mit massiven Verfahrenshindernissen konfrontiert, so die Verteidigung. Es gebe weder eine ordentliche Anklageschrift noch die notwendigen Akten. Die Vorwürfe wurden vom Sondergericht zurückgewiesen. Hak al-Ani, ein juristischer Berater der Familie von Saddam Hussein, sagte, man habe 800 teilweise unleserliche Seiten erhalten. Der einzige Weg zu ihrem Mandanten sei über einen Hauptmann des USA-Verteidigungsministeriums.

Sollte die Todesstrafe gegen den ehemaligen Staatschef verhängt werden, hat Präsident Dschalal Talabani bereits angekündigt, er werde das Urteil aus prinzipiellen Gründen nicht unterschreiben. In einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender Al Iraqia sagte er allerdings: »Saddam verdient 20 Mal am Tag die Todesstrafe allein dafür, dass er 20 Mal versucht hat, mich zu töten.« Die Verteidigung hat diese Äußerung Talabanis als Vorverurteilung scharf kritisiert. Im April 2003 war die Todesstrafe von der USA-Besatzungsverwaltung ausgesetzt worden, wurde aber vom Interimsministerpräsidenten Ijad Allawi im August 2004 wieder eingeführt.

Ein Jahr später verhängte ein Gericht im südirakischen Kut zum ersten Mal wieder die Todesstrafe, die – wie früher – vom Präsidenten bewilligt oder abgelehnt werden kann. Talabani ließ daraufhin die Urteile kurzerhand von seinem Stellvertreter Adel Abdulmehdi unterschreiben.

Beim Saddam-Prozess kommt auch die Symbolik nicht zu kurz. Das Gesetz zur Einrichtung des Sondergerichtes wurde vom Provisorischen Regierungsrat am 10. Dezember 2003 erlassen, dem Tag, den die UNO als Internationalen Tag der Menschenrechte ausgerufen hat – in Erinnerung an die Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948. Wenn jetzt der Prozess gegen Saddam Hussein und sieben seiner politischen Weggefährten am 19. Oktober beginnt, erinnert das wohl nicht zufällig an den 60. Jahrestag der ersten Sitzung des Militärgerichts, das, von den Alliierten eingesetzt, am 18. Oktober 1945 in Berlin tagte und anschließend in den Nürnberger Prozessen die Verantwortlichen des faschistischen Deutschen Reiches anklagte und verurteilte.



Die Anklage

Um die Anklage gegen Saddam Hussein vorzubereiten, sammelten drei Sonderermittler fast ein Jahr lang Beweise. Allein in den kurdischen Gebieten wurden Hunderte Zeugen speziell zu Giftgaseinsätzen befragt. Doch eine direkte Verantwortlichkeit Saddams ließ sich bisher nicht nachweisen. Das gilt für die Anfal-Kampagne mit Giftgas im kurdischen Norden (1987/88), den Giftgasangriff auf die nordirakische Kurdenstadt Halabja (1988), die Kuwait-Invasion (1990/91), die Niederschlagung des schiitischen Aufstandes (1991) und Morde an politischen Gegnern. Hunderte Anklagepunkte wurden immer weiter reduziert.

Zum Prozessbeginn liegt ein Fall vor, bei dem nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die direkte Beteiligung Saddams erwiesen ist. 1982 unterzeichnete er das Todesurteil gegen 143 Männer aus dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten Dorf Dujail nördlich von Bagdad. Saddam Hussein hatte bei einem Besuch des Dorfes unerwartet seinen Wagen gewechselt, der zuvor durch Attentäter gekennzeichnet worden war. Als dieser Wagen unter Beschuss geriet, flog das Attentat auf. Die 143 Männer wurden der Verschwörung schuldig befunden und exekutiert. Hunderte ihrer Familienangehörigen wurden festgenommen, vertrieben oder verschwanden. Sämtliche Dattelpalmenhaine, die Haupteinnahmequelle des Dorfes, wurden zerstört. Sollte Saddam Hussein für schuldig befunden werden, droht ihm die Todesstrafe. Seine Verteidigung argumentiert hingegen, als Präsident habe er lediglich ein nach irakischem Strafrecht legitimes Urteil unterzeichnet.

Inzwischen plädieren einige Politiker dafür, das Urteil im ersten Verfahren abzuwarten. Sollte die Todesstrafe ausgesprochen und angewandt werden, würden sich die weiteren Anklagepunkte, für die noch keine konkreten Beweise vorliegen, erledigen.

KL



* Aus: Neues Deutschland, 19. Oktober 2005


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage