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Geheimdienst auf dem Prüfstand: Blamage im Irak oder Komödie?

Interview mit Scott Ritter, ehemaliger Geheimdienstoffizier der US-Marines*

Interview: Scott Harris

F: Das Weiße Haus mußte zähneknirschend eingestehen, daß es keinen Beweis für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak gibt und höchstwahrscheinlich auch nie geben wird. Wie bewerten Sie die von Präsident Bush eingesetzte Kommission, die das Versagen der US-Geheimdienste untersuchen soll?


Was wir derzeit sehen, ist abgefeimtes politisches Theater. Wir haben mehrere Hauptdarsteller. Da ist David Kay. Wenn irgend jemand auch nur für eine Sekunde glaubte, seine Statements wären die eines unabhängigen, objektiven Beobachters, hat er sich schwer getäuscht. David Kay ist ein Ideologe, kein technischer Experte. Die Bush-Administration hat ihn ausgesucht, um einen Job im Irak zu machen, der nichts mit Wahrheitssuche zu tun hatte. Es ging um das Zurechtbiegen der Tatsachen zu ihren Gunsten. Das ist der Grund, warum Kay eine Zeitlang behauptete, er sei im Begriff, diese Waffen zu finden. Im Dezember 2003 schließlich mußte er Farbe bekennen und gestehen, daß es nicht nur keine Waffen gab, sondern daß niemand jemals welche finden würde. Nun gibt er den Stab weiter. Nicht der Präsident ist schuldig, sagt er, sondern die Geheimdienstleute.

Dann der Auftritt von George Tenet. Der CIA-Direktor sagt: »Wir haben nie gesagt, es gäbe eine wirkliche Bedrohung, das ist ein klassischer Fall von Politikern, die aus dem Faktenwissen, das wir ihnen lieferten, extreme Schlußfolgerungen gezogen haben.« Beachten Sie, daß es danach keine ärgerliche Reaktion des Weißen Hauses gab – weder auf Kay noch auf Tenet. Statt dessen hat der Präsident Kay zum Essen eingeladen. Nun hat der Präsident eine Kommission eingesetzt, die das Versagen des Geheimdienstes untersuchen soll, hält sie aber von allen politischen Entscheidungsfragen fern. Er sagt: »Ich werde ihnen alle Zeit geben, um zu einem Ergebnis zu kommen.« Das soll heißen: bis 2005, nach der Präsidentschaftswahl. Es ist ihm so gelungen, ein sehr heikles Thema aufzugreifen, den Anschein von Kritik zu erwecken und es dann auf eine Art und Weise anzugehen, in der jedes Ergebnis – sofern es denn jemals dazu kommt – erst dann präsentiert werden wird, wenn die Gefahr für ihn vorüber ist.

F: Glauben Sie, die Demokratische Partei wird den Bluff des Präsidenten beim Namen nennen und öffentlich erklären, daß diese Kommission nur wenig glaubwürdig ist? Oder wird die amerikanische Öffentlichkeit mit dieser Schmierenkomödie abgespeist werden?

Nein, ich glaube nicht, daß es zur Zeit irgend jemand in der Demokratischen Partei gibt, der den Mut haben wird, das Kind beim Namen zu nennen. Der Grund ist, daß fast alle an diesem Krieg Mitschuld tragen.

F: Wie können die USA ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen?

Eine elegante Lösung gibt es nicht. Wir werden hieraus nicht unbeschadet hervorgehen. Es wird politisch weh tun. Was wir nun brauchen, ist die Rückbesinnung auf diejenigen, die unsere Loyalität verdienen: die Männer und Frauen, die die Uniform der Vereinigten Staaten tragen. Die Frage, die sich jeder Amerikaner stellen sollte, ist: Wie groß wollen wir die Kriegerdenkmäler diesmal haben? Wie viele amerikanische Namen wollen wir eingraviert haben in das, was auch immer diesmal das Denkmal für den Krieg im Irak sein wird? Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen. Dieser Krieg ist bereits verloren. Meine Lösung ist also: Holt die Truppen sofort dort raus! Betrachten Sie den Irak als eine brennende Nation, von oben bis unten, von Ost nach West. Das Öl, das dieses Feuer nährt, ist die Präsenz der amerikanischen Truppen. Um das Feuer zu löschen, müssen wir das Öl abdrehen.

(Übersetzung: Annette Schiffmann)

* Scott Ritter hat von 1991 bis 1998 als UN-Chef-Waffeninspektor im Irak gearbeitet
Das vom freien Radiosender »between the lines« geführte Interview, hier in gekürzter Form, kann über das Internet im Orginal gehört werden: http://www.btlonline. org/ritter022704.ram
Das Interview erschien auch in der jungen Welt, 09.03.2004



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