Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufruf zum Widerstand

Der Führer der Sadr-Bewegung ist in den Irak zurückgekehrt. Rede vor 20000 Anhängern. Regierung hofft auf stabilisierende Wirkung

Von Karin Leukefeld *

Muqtada Sadr, religiöser und politischer Führer der irakischen Sadr-Bewegung, ist nach vier Jahren im Iran in den Irak zurückgekehrt. Sadr war bereits Mitte vergangener Woche nach Nadschaf gekommen, wo er zunächst das Grab seines Vaters und die Imam-Ali-Moschee besuchte, eine der heiligsten Stätten für schiitische Muslime. Anschließend traf Sadr mit Großajatollah Ali Al-Sistani zusammen, der in Nadschaf die Mardschah leitet, das höchste rechtsprechende Gremium der Schiiten.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Rückkehr strömten seine Anhänger nach Nadschaf und belagerten den Familienwohnsitz, um sicherzugehen, daß Sadr tatsächlich zurückgekommen war. Am Samstag äußerte sich Sadr dann erstmals öffentlich in Kufa vor rund 20000 Anhängern. Er werde im Irak bleiben und forderte seine Zuhörer zum fortgesetzten Widerstand gegen die US-Besatzung auf. »Wir werden uns weiterhin widersetzen, militärisch und mit allen Mitteln des Widerstandes«, sagte er. Der neuen Regierung solle man eine Chance geben zu zeigen, ob sie ihren Dienst an den Irakern wirklich ernst meine, fuhr Sadr fort. Sollte das nicht der Fall sein, werde man sich auch der Regierung widersetzen. Schließlich rief Sadr die Iraker zur Versöhnung auf. Das Land sei durch schwierige Zeiten gegangen, »die jeden zum Weinen gebracht und niemandem genutzt haben außer unseren gemeinsamen Feinden Amerika, Israel und Großbritannien«. Die innerirakischen Konflikte sollten der Vergangenheit angehören, die Zukunft Iraks gehöre der »Einheit, dem Frieden und der Sicherheit«.

Regierungssprecher Ali Al-Dabbagh sagte, die Rückkehr Sadrs werde sich »stabilisierend« auf die Politik im Irak auswirken. David Ranz, Sprecher der US-Botschaft in Bagdad, erklärte, die Rede Sadrs habe »nichts Neues« gebracht. Ansonsten äußerten sich weder die US-Botschaft noch das US-Militär.

Muqtada Sadr, der für seine entschiedene Gegnerschaft der US-Besatzung im Irak bekannt ist, hatte sich nach Auskunft seiner Bewegung zu religiösen Studien im iranischen Qom aufgehalten. Andere Stimmen vermuten für seinen langen Iran-Aufenthalt einen US-amerikanischen Haftbefehl aus dem Jahr 2006 sowie die Feindschaft zu Ministerpräsident Nuri Al-Maliki. Sadrs Rückkehr in den Irak war nun vermutlich Teil der Vereinbarung, mit der Maliki die Unterstützung der Sadr-Bewegung erhalten hatte, um wieder Ministerpräsident zu werden. Als Teil der Irakischen Nationalen Al­lianz (INA), einem Bündnis mehrheitlich schiitisch-religiöser Parteien, hatte Sadr bei den Wahlen im März 2007 mit 39 Mandaten die meisten Stimmen erhalten und galt seitdem als »Königsmacher« im monatelangen Streit zwischen Maliki und Ijad Allawi um die Regierungsbildung. Allawi und die säkulare Irakia-Liste hatte die Wahlen mit einem knappen Vorsprung gewonnen. Sadr, der in scharfer Gegnerschaft zu Maliki steht, seit dieser 2008 mit US-Hilfe die Mehdi-Brigaden der Sadr-Bewegung in Bagdad und in Basra mörderisch verfolgen ließ, hatte sich durch syrische Vermittlung mit Ijad Allawi in Damaskus getroffen, um diesen bei der Regierungsbildung zu unterstützen. Der plötzliche Schwenk Sadrs Anfang Dezember, möglicherweise auf iranischen Druck, hatte dann doch den Weg für Maliki ins höchste Amt freigemacht. In der neuen Regierung stellt die Sadr-Bewegung sechs Minister und den Stellvertreter des Parlamentssprechers.

Muqtada Sadr wurde unmittelbar nach der US-Invasion 2003 bekannt, als er mit seinen Mehdi-Milizen den Widerstand gegen die Besatzung aufnahm. Seine Hausmacht waren von Anfang an die ausgegrenzten schiitischen Massen im Armenviertel Al-Thawra, das nach 2003 nach seinem Vater, dem schiitischen Großajatollah Mohammed Sadiq Al-Sadr in Sadr-City umbenannt worden war. Sadiq Al-Sadr und zwei seiner Brüder waren 1999 getötet worden, vermutlich im Auftrag von Saddam Hussein. Mit ihren ideologischen Werken »Unsere Philosopie« und »Unsere Ökonomie« hatten sie schon in den 1950er Jahren den Grundstein zur politischen Organisierung und dem wachsenden Selbstbewußtsein schiitischer Muslime beigetragen.

* Aus: junge Welt, 10. Januar 2011


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage