Bush schuht in Bagdad
50 000 Unterschriften für die Freiheit von Muntader al-Zaidi
Von Karin Leukefeld *
Werden wir einst unseren Enkeln erzählen, wo wir gerade waren, als der
irakische Journalist Muntader al-Zaidi seine Schuhe auf den Präsidenten
der Vereinigten Staaten von Amerika warf?«, so fragt der Iraker Adil in
seinem Blog »Asterism«. Er selber habe seine Kinder zu Bett gebracht,
als sein Vater ihn anrief und sagte: »Mach sofort den Fernseher an.« In
den arabischen Nachrichtenkanälen war immer wieder die gleiche Sequenz
zu sehen: Auf einer Pressekonferenz in Bagdad fliegen Schuhe auf George
W. Bush (GWB). »Dies ist der Abschiedskuss, Du Hund«, ruft der
Schuhwerfer und Journalist und wirft seinen ersten Schuh auf GWB. »Dies
ist für die Witwen und Waisen im Irak«, ruft er dann und feuert den
zweiten Schuh hinterher.
Schuhe auf jemanden zu werfen, ist eine schwere Beleidigung in der
arabischen Welt und wie nicht anders zu erwarten, wurde al-Zaidi von
Sicherheitskräften überwältigt und abgeführt. Doch seine Aktion ist ein
Fanal in der arabischen Welt. Nur Stunden später wurden -- mit
Pappschildern und Schuhen in der Hand -- in Bagdad und andernorts die
ersten Demonstrationen für den inhaftierten Journalisten organisiert und
seine Freiheit gefordert. 50 000 Unterschriften für die Freiheit von
al-Zaidi werden per Internet gesammelt. Künstler haben Bilder von ihm
gemalt, die als Hintergrund auf Handys oder Computerbildschirme
heruntergeladen werden können. Der libanesische Fernsehsender News TV
hat al-Zaidi einen lebenslangen Job versprochen, und in Dänemark wurde
ein Computerspiel entwickelt, wo jeder sich selber im Schuhwurf auf den
US-Präsidenten testen kann.
An die 200 Anwälte haben sich bereiterklärt, al-Zaidi zu verteidigen,
und ein Iraker hat angeboten, eine Statue für den Schuhe werfenden »Held
der Iraker« zu stiften. Ein saudischer Geschäftsmann soll pro Schuh 10
Millionen US-Dollar geboten haben, was einen Journalisten der »New York
Times« zu der Rechenaufgabe veranlasste, wie mit Schuhwürfen auf GWB und
der anschließenden Versteigerung dieser Schuhe das US-amerikanische
Staatsdefizit innerhalb kürzester Zeit behoben sein könnte.
Niemand fragt nach einer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit des
Schuhwerfers von Bagdad, was für viele Iraker ein zusätzlicher Sieg über
die demütigende sechsjährige Besatzungspolitik des »Teile und herrsche« ist.
Vielleicht hat al-Zaidi seine journalistische Pflicht nicht erfüllt, wie
manche meinen. Er sei auf einer Pressekonferenz gewesen, nicht in einer
Schlacht. Er hätte Fragen stellen und berichten sollen. Genau das tut
der Mann, dessen Familie zu Zeiten von Saddam Hussein mehrfach
inhaftiert war, seit drei Jahren für den Fernsehsender Al Bagdadiya.
Zweimal wurde er von US-Soldaten festgenommen und verhört und im
November letzten Jahres entführten Unbekannte ihn auf dem Weg zur Arbeit
und schlugen ihn bewusstlos. Al-Zaidi weiß, dass solche
Pressekonferenzen Teil eines herrschaftlichen Szenarios sind, wo Fragen
nur schablonenhaft beantwortet werden und niemand etwas erfährt, weil es
unspektakulär ist. Also sorgte er für Schlagzeilen, die George W. Bush
in Bagdad in ein anderes Licht rückten, als es von den Organisatoren
seiner Abschiedsreise geplant war. Dana Perino, die Sprecherin von GWB,
holte sich im Handgemenge der Festnahme ein blaues Auge und -- wie ein
Foto der AP zeigt -- GWB verschwand für den Rest der Pressekonferenz
hinter einer Schutzmauer von Bodyguards.
Interessant bleibt die Ruhe des irakischen Präsidenten Nuri al-Maliki,
der während des ersten Schuhwurfes nicht mit der Wimper zuckte und beim
zweiten Wurf mit fahrigen Armbewegungen versuchte, das Geschoss
abzuwehren. Offenbar war er sich sicher, dass die Schuhe nicht auf ihn,
sondern auf GWB zielten. Ob das so bleibt? Wie aus Bagdad zu hören ist,
wollen viele Iraker in Zukunft immer einen extra Schuh in ihrer Tasche
haben.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2008
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