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Drei Jahre für Schuhwurf

Von Karin Leukefeld *

Mit drei Jahren Gefängnis soll der irakische Journalist Muntader Al-Saidi (30) dafür büßen, daß er im vergangenen Dezember bei einer Pressekonferenz in Bagdad seine Schuhe auf US-Präsident George W. Bush geworfen hat. Bevor das für »Terroristen« zuständige Oberste Gericht in Bagdad am Donnerstag das Urteil verkündete, hatte Al-Saidi auf nicht schuldig plädiert. »Ich hatte das Gefühl, als wenn das Blut unschuldiger Menschen auf meine Schuhe tropfte, während er da vorne lächelte«, trug der Fernsehreporter in seiner Verteidigungsrede vor.

Die Szene Mitte Dezember hatte weltweit für Furore gesorgt: Aus einer der hinteren Reihen wirft ein junger Mann seinen Schuh in Richtung des Rednerpults, wo US-Präsident Bush neben seinem irakischen Amtskollegen Nuri Al-Maliki steht. »Dies ist der Abschiedskuß, du Hund«, rief Al-Saidi während er den ersten Schuh warf. Und mit dem Satz: »Und dies ist für die Witwen und Waisen und alle Leute, die im Irak getötet wurden« warf er den zweiten Schuh hinterher. Bush duckte sich geistesgegenwärtig hinter das Rednerpult, während Al-Saidi von einem Reporterkollegen zu Boden gerissen und dann von Sicherheitsbeamten im Würgegriff abgeführt wurde.


Hier geht es zum historischen Schuhwurf

(Videoclip; externer Link)



Der Schuhwurf wirkte wie ein Befreiungsschlag für die durch die Kriege im Irak und im Libanon und Gaza geschundene arabische Seele, Al-Saidi wurde zu einer Art arabischer Volksheld. »Was ich getan habe, war eine natürliche Reaktion auf die Besatzung«, sagte Al-Saidi dem Gericht zu seiner Verteidigung. »Jeder andere Iraker hätte das gleiche getan.«

Seit drei Jahren arbeitet Al-Saidi für den TV-Sender Al-Baghdadiya und ist dessen Publikum vor allem durch seine engagierten Reportagen bekannt. Wann immer eine Bombe explodiert war, Apache-Hubschrauber ihre tödliche Fracht abgeworfen hatten und Menschen getötet worden waren, Al-Saidi eilte zum Ort des Geschehens, um zu berichten. Zweimal wurde der Iraker von US-Militärs festgenommen, beim dritten Mal entschuldigten sie sich bei ihm. Im November 2007 wurde er von Unbekannten entführt, die ihn nach drei Tagen »wie durch ein Wunder« wieder frei ließen.

Die dreijährige Haftstrafe quittierte Al-Saidi mit dem Ruf »Lang lebe der Irak«. Ursprünglich waren 15 Jahre Haft gefordert worden, weil der Journalist »ein ausländisches Staatsoberhaupt angegriffen« habe. Diesen Vorwurf hatte die Verteidigung zurückgewiesen, da der Besuch Bushs nicht angekündigt und somit auch nicht offiziell gewesen sei. Bezug nehmend auf eine Erklärung von Ministerpräsident Al-Maliki, der den offiziellen Charakter des Bush-Besuches bestätigte, wies Richter Abdulamir Al-Rubaie den Einwand zurück. Die Verteidigung will das Urteil anfechten und fordert weiter Freispruch. Verwandte von Al-Saidi bezeichneten das Gericht empört als »amerikanisches Tribunal«. Udai Al-Saidi kritisierte, daß sein Bruder »wie ein Kriegsgefangener behandelt« werde. Dieser war nach seiner Festnahme geschlagen und mit Stromschlägen gefoltert worden. Al-Saidis Brüder versuchen nach eigenen Angaben, Bush, Al-Maliki und dessen Leibwächter wegen Folter vor ein Gericht in Belgien oder Spanien zu bringen.

* Aus: junge Welt, 13. März 2009


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