Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ein anderer Krieg"

Das Sanktionsregime der UNO im Irak. Das neue Buch von Hans von Sponeck

Hans-C. Graf Sponeck: Ein anderer Krieg. Das Sanktionsregime der UNO im Irak, Hamburger Edition, Hamburg, Oktober 2005, 364 Seiten, € 35,--

Schon vor 1989/90 stand der Irak in vielen Debatten im Zentrum der Analysen über Krieg und Frieden, internationale Beziehungen oder das Völkerrecht. Der 1. Golfkrieg von 1980 – 1988, der Einmarsch des Irak in Kuwait, der folgende 2. Golfkrieg, die Zeit der UN-Sanktionen gegen den Irak und der bis heute andauernde Krieg der USA und ihrer Koalition der Willigen im einstigen offiziellen US-Gewande des „Krieges gegen Terror“ oder des „Abrüstungskrieges“ markieren die Eckpunkte der leidgeprüften IrakerInnen.

Ein Mann war in den letzten Jahren aus den Debatten um die Gegenwart und Zukunft des Irak nicht wegzudenken: Hans von Sponeck, von 1998 bis 2000 zuständiger Koordinator der Vereinten Nationen für das „Öl für Lebensmittel“-Programm im Irak. Nun scheint es nicht weiter außergewöhnlich, dass ein für die UNO tätiger Diplomat Kraft seines Amtes eine gewichtige Stimme darstellt. Sein nun vorliegendes Buch „Ein anderer Krieg“ und sein außergewöhnliches Wirken – insbesondere auch seit seinem aus Protest erfolgten Rücktritt im Jahr 2000 – dokumentieren deutlich mehr als diese gewichtige Stimme: Ein klares Eintreten für die einfache Bevölkerung und die Verbesserung ihrer humanitären Lage. Eine Sicht, die ihn anlässlich seines Festvortrages bei der Schlaininger Sommerakademie 2003 zum Urteil brachte, dass die UN-Sanktionen gegen den Irak zu einer „Massenvernichtungswaffe“ wurden. Sponeck kritisiert „13 Jahre lang ein UN-Sanktionsregime beizubehalten, das die eigentlichen Täter im allgemeinen verfehlte und zunehmend die falsche Gruppe bestrafte“ (Seite 324 des Buches).

Die Beurteilung des „Öl für Lebensmittel“-Programmes der UNO steht im Zentrum der Analyse des vorliegenden Werkes. In zahlreichen Abschnitten fragt Sponeck, ob das Programm eine ausreichende humanitäre Ausnahme im gesamten Sanktionsregime für den Irak war. Sponeck schreibt, dass er es als seine Aufgabe betrachtet, die gesamte internationale Gemeinschaft über die Lebensbedingungen der Menschen im Irak zu informieren. Vielfach legt Sponeck hier Dokument darüber ab, dass man in Washington und London anderer Ansicht war: „Dieser Mann in Bagdad wird fürs Arbeiten bezahlt und nicht fürs Reden“ (Seite 17). Eigene Kapitel sind der kritischen Betrachtung der UN-Entschädigungskommission, der Flugverbotszonen, der Menschenrechte im Irak und der institutionellen Fragen der UNO im Irak gewidmet. Abschließend zieht Sponeck seine Schlussfolgerungen aus der Struktur der UN-Sanktionen.

Das Außergewöhnliche an Sponecks Zugang ist sein breites Verständnis von Frieden. In seiner über 30 Jahre andauernden UNO-Tätigkeit in unterschiedlichen Kontinenten hat der studierte Demograph und Anthropologe einen umfassenden Friedensbegriff mit Inhalten gefüllt. Friede ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt, sondern äußert sich auch in der Erfüllung der Grundbedürfnisse für die Menschen. Dazuzurechnen ist auch das Bestehen einer lebhaften und kritischen Zivilgesellschaft. Nach Sponecks vorliegenden Reflexionen ist diese sowohl für konkrete Hilfe für die Menschen als auch für das Aufzeigen einer falschen politischen Richtung von zentraler Bedeutung. Sein Verhältnis als UN-Koordinator zur Zivilgesellschaft beschreibt er wie folgt: „Ich nahm mir die Zeit, mich mit diesen Gruppen zu treffen, und war immer wieder über ihre ganz unterschiedlichen Hintergründe erstaunt. Da gab es Ärzte, Pfarrer, Minister, Professoren, pensionierte Beamte, Studenten, Hausfrauen – ein echter Querschnitt ihrer Gesellschaften, die der Widerstand gegen etwas verband, das sie als völlig verquere internationale Politik betrachteten“ (Seite 165).

An Hand von Zahlen belegt dieses Buch die fatalen Folgen der UN-Sanktionen gegen den Irak. Am Gesundheitswesen (z.B. Kindersterblichkeit von 100 bis 120 Tote pro 1000 Kinder; Seite 214), in der Bildungspolitik (Zunahme des Analphabetismus von 1990 auf 2003 von 19 % auf 26 %; Seite 215), an der Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie am Funktionieren wichtiger Teile der Infrastruktur weist Sponeck das Scheitern des UNO-Sicherheitsrates in der Irak-Politik nach. Hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens fasst Sponeck zusammen: „Der Irak war von einem wohlhabenden zu einem der ärmsten Länder der Region geworden“ (Seite 215). Die von Seiten der ExpertInnen und internationalen Persönlichkeiten lancierten Appelle für eine menschlichere Sanktionspolitik wurden von Seiten der offiziellen Politik ignoriert. Nach Sponeck hätte der UN-Sicherheitsrat „die Öleinkünfte erhöhen, sektorielle Beschränkungen aufheben und einen freieren Warenfluss erlauben können“ (Seite 46), was die USA und Großbritannien wegen der möglichen Verwendung der importierten Güter zur Produktion von Massenvernichtungswaffen zurückwiesen.

Hans von Sponeck richtet sein Buch nicht nur an Menschen, die an Weltpolitik und speziell am Irak interessiert sind, sondern besonders auch an jene, die mit Hilfe der Vereinten Nationen an einer möglichen anderen und menschlicheren Welt arbeiten. Hätten die Hauptbeteiligten „mitgeholfen, diese Krise zu lösen, wären die Vereinten Nationen aus diesem Prozeß als Gewinner hervorgegangen. Das Völkerrecht wäre als Grundlage der internationalen Beziehungen anerkannt worden. Die Welt wäre heute weniger verworren und ein Ort größerer Sicherheit“ (Seite 14).

Das Buch lässt die LeserInnen auch an den persönlichen Gedanken und Erlebnissen des UN-Koordinators teilhaben. „Aber ich begann auch zu begreifen, daß es seinen Preis hatte, die Schwelle vom ‚gehorsamen Beamten’ zum Menschen, der seinem Gewissen folgt, zu überschreiten“ (Seite 165). Durchzogen sind Sponecks Überlegungen vom Grundgedanken: „Ich kam weder als Verwalter der Sanktionen noch als Bündnispartner eines repressiven Regimes in den Irak“ (Seite 337).

Trotz der Widerstände war Sponecks Informationspolitik – und damit das Hinarbeiten auf die Änderung der Sanktionen – ein wichtiger Punkt der Tätigkeit. „Der Irak wurde nur selten von Vertretern des offiziellen Washington besucht. Diejenigen von ihnen, die bei ihrer Ankunft noch an die Rechtfertigung der Sanktionen geglaubt hatten, dann aber mit eigenen Augen die Bedingungen sehen konnten, unter denen die Iraker leben mußten, kehrten dann oft mit Ansichten heim, die denen von uns UN-Mitarbeitern hier in Bagdad glichen“ (Seite 166).

Der Faktenreichtum von Sponecks Analyse sowie die zahlreichen Quellen und Belege machen aus dem 364 Seiten starken Werk ein wissenschaftliches Grundlagenbuch zur jüngsten Geschichte des Irak und die lebhaften Schilderungen persönlicher Begegnungen im Irak sowie am internationalen Parkett machen das Buch gleichzeitig spannend wie einen Krimi. Ein Kriminalfall, für den Hans von Sponeck einen wichtigen Beitrag zu einer hoffentlich gerichtlichen Weiterverfolgung gelegt hat. Eine Weiterverfolgung für die Stärkung des humanitär orientierten Völkerrechts.

Thomas Roithner


Zur Irak-Seite

Zur Seite "Embargo, Sanktionen"

Zurück zur Homepage