Kein Platz mehr in Bagdads Leichenhallen
Kämpfe in Irak kosten weiter tausende Todesopfer
Von Karin Leukefeld*
Die Leichenhallen in Bagdad haben nicht mehr genügend Platz, um die vielen Toten aufzubewahren. „Die Unsicherheit im Land erschwert unsere Arbeit“, so Dr. Faak Amin, Leiter des Forensischen Medizinischen Instituts (FMI) in Bagdad. Es gäbe nicht genügend Personal und es fehle an den medizinischen Instrumenten, um die erforderlichen Obduktionen der Toten schnell genug vornehmen zu können. Muslime sollen gemäß dem Koran ihre Toten innerhalb von 24 Stunden beerdigen, doch man könne die Toten ihren Familien erst mit großer Verzögerung nach 2 oder 3 Tagen übergeben. Das FMI untersteht dem Irakischen Gesundheitsministerium und zählt derzeit mehr als 1600 Leichen monatlich, so Amin. „Wir haben keinen Platz mehr.“ 90% der Toten seien Opfer von Anschlägen. „Wir können bis zu 120 Leichen aufnehmen. Doch jetzt müssen die Krankenhäuser die Leichen in ihren Kühlhäusern aufbewahren, bis wir wieder Platz für neue haben.“
IRIN, das UN-unterstützte Informationsnetzwerk, zitiert Angehörige, die bis zu drei Mal im Monat kommen müssten, bis sie endlich ihre Toten abholen können. Einer von ihnen, Salem Ali, berichtete unter Tränen, dass er zwei Söhne verloren habe, die bei der Irakischen Nationalgarde (ING) gearbeitet hätten. Sie waren bei einem Anschlag im Süden Bagdads getötet worden. Viele Leichname würden gar nicht abgeholt, so Dr. Amin. „Früher, zu Zeiten von Saddam Hussein, haben wir unbekannte Tote bis zu zwei Monate aufgehoben, bis ihre Familien kommen und sie identifizieren konnten.“ Wegen Platzmangel sei das unmöglich. Leichname, die nicht innerhalb von 5 Tagen von Angehörigen abgeholt würden, müssten beerdigt werden. „Wir notieren Auffälligkeiten an den Toten, das ungefähre Alter und die Todesursache für den Fall, dass doch noch Angehörige nach ihnen suchen.“
Selbst US-Präsident George W. Bush sprach kürzlich von 30.000 irakischen Ziviltoten, seit der seiner Meinung nach erfolgreiche Irakfeldzug im März 2003 begonnen habe. Die Menschenrechtsorganisation CIVIC (Campaign for Innocent Victims of Conflict, Washington) forderte von der US-Regierung weitere Aufklärung über die zivilen Todesopfer im Irak. Es sei nicht nur Pflicht der US-Militärs, die Toten zu zählen und zu identifizieren, die Angehörigen müssten auch entschädigt werden, so CIVIC. „Besonders die Zivilisten, die bei Operationen des US-Militärs im Irak getötet worden seien, müssen statistisch erfasst werden“, so die Organisation. Militärische Berichte nach den Kämpfen seien nicht ausreichend.
Die mangelnde Dokumentation ziviler Todesopfer im Irak wird auch von den unabhängigen Untersuchungsgruppen „Oxford Research“ und „Iraq Body Count“ kritisiert, sie bis zu 30.892 getötete Zivilisten gezählt haben. 30% seien in den ersten zwei Wochen des Krieges ums Leben gekommen. 20% der Opfer seien Frauen und Kinder und rund 50% aller zivilen Toten hätten in Bagdad ihr Leben verloren. Mindestens 45.000 Menschen seien verwundet worden. Die Gruppe beziffert in ihrer jüngsten Studie (17. März 2003 bis zum 1. Dezember 2005) die zivilen Opfer im Irak je nach Quellenangaben zwischen 25.685 und 29.201. Die Zahl der getöteten irakischen Polizisten belaufe sich auf 1.640. Zivile Tote in einem Krieg seien unakzeptabel, so die Gruppe. Diese Tode müssten erfasst und untersucht werden. Iraq Body Count wird allerdings auch kritisiert, ihre Zahlen lägen weit unter den tatsächlichen Opferzahlen. Eine Studie im britischen Medizinerjournal The Lancet (Oktober 2004) ging nach einer Befragung von Familien im Irak davon aus, dass vermutlich mehr als 100.000 Tote als Folge der Gewalt im Irak zu beklagen seien.
Weniger als 10% der betroffenen Familien hätten Kompensation erhalten, kritisierte auch das Irakische Menschenrechtsministerium. Bisher liegt es im Ermessen des US-Militärs, ob Opferfamilien entschädigt werden oder nicht. Die Zahlung von Schmerzensgeld sieht auch die Oxford Research Group als notwendige Maßnahme an. So sollten für die Stadt Falludscha Wiederaufbaufonds bereitgestellt werden, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Würde der Einwohner wiederherzustellen. Bisher lebten viele der Falludscha-Flüchtlinge noch immer in Lagern und hätten bis zum heutigen Tag keine Wiedergutmachung erhalten.
Aus: Neues Deutschland, 19.12.2005
Opfer unter Polizeikräften und Zivilisten im Irak
Zeitraum: 17.03.03 bis 1.12.2005
Provinz | Getötete Polizisten | Getötete Zivilisten |
Dohuk | 1 | 0 |
Erbil | 60 | 140 |
Niniveh | 157 | 1.288 |
Süleymania | n/k | 85 |
Tamim | 110 | 677 |
Salahuddin | 164 | 1.053 |
Diyala | 224 | 1.015 |
Bagdad | 414 | 14.659 |
Babil | 126 | 1.245 |
Anbar | 127 | 2.296 |
Wasit | 12 | 433 |
Kerbala | 18 | 917 |
Qadisiya | 1 | 68 |
Milan | 10 | 31 |
Diquar | 8 | 974 |
Najaf | 26 | 746 |
Muthanna | 2 | 121 |
Basra | 39 | 1.632 |
Gefallene Besatzungsoldaten: USA 2.108; UK 98; andere 103
Quelle: www.iraqbodycount.org
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