Irak-Krieg angeklagt
Stimmen zu Besatzung und Widerstand, notiert auf zwei Veranstaltungen in Berlin
Die bundesweite Auftaktkonferenz für die Vorbereitung eines
internationalen Tribunals über den Krieg der USA, Großbritanniens und
anderer Verbündeter gegen den Irak fand am 19. Juni 2004 in Berlin statt.
Die Organisatoren der Auftaktkonferenz – Bundesausschuß Friedensratschlag,
Internationale LIGA für Menschrechte e.V., Attac- Koordination-Bund,
Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V. –
organisierten am Vorabend im Haus der Demokratie unter Mitwirkung der
Zeitschrift Ossietzky eine Diskussionsveranstaltung zum Thema »Widerstand
im Irak«. Wir dokumentieren im folgenden in Auszügen Aussagen von
internationalen Augenzeugen aus dem Irak, von Sachverständigen und
Völkerrechtsexperten auf beiden Veranstaltungen.*
Joachim Guilliard, Antikriegsforum Heidelberg: »Der Widerstand gegen das
Regime ist legitim«
Nach über einem Jahr Besatzung müßte jedem dämmern, daß die andauernden
Probleme nicht auf Anfangsschwiergkeiten oder mangelnde Planung der
Besatzungsmacht zurückzuführen sind. Washington plante die völlige
Auflösung
des alten Staates und die Umwandlung des Irak in einen zergliederten,
entmilitarisierten Föderalstaat mit schwacher Zentralregierung. Aus diesem
Grund wurden Armee und Sicherheitskräfte ersatzlos aufgelöst. So war jedem
klar, daß jegliche Ordnung zusammenbrechen würde. (...)
Da es der neuen Pseudo-Regierung explizit untersagt ist, die von der
Besatzungsbehörde erlassenen Gesetze zu ändern oder neue zu verabschieden,
bleibt auch eine zentrale Anweisung Bremers in Kraft: Den US-Amerikanern
wird Immunität vor irakischen Gerichten garantiert. Mehr als
200 »Ratgeber« aus den USA bleiben nach dem 30. Juni als »Berater« in den
irakischen Ministerien. Vor allem aber bleibt das Land weiterhin von 150
000
Soldaten besetzt, die irakischen Sicherheitskräfte bleiben unter
US-Oberkommando. (...) Angesichts der Schwierigkeiten, den irakischen
Widerstand in den Griff zu bekommen, müsse, so ein Berater der
Besatzungsbehörde, zu »unkonventionellen Mitteln« gegriffen werden. Man
müsse die Iraker »durch Schrecken zur Unterwerfung« zwingen. Ehemalige
CIA-Beamte vergleichen dieses Vorhaben mit dem Programm »Phoenix« in
Vietnam, bei dem zwischen 1968 und 1972 zigtausend Vietnamesen entführt
oder
getötet wurden.
Daß dies nicht Richtung Demokratie und Souveränität führen wird, ist
offensichtlich. Zudem: Wer die Geheimpolizei eines Landes kontrolliert,
kann
sicher sein, daß sich auch das neue irakische Regime nicht weit von den
vorgegebenen Parametern entfernt. Widerstand gegen ein solches Regime ist
selbstverständlich legitim, unabhängig, welches Etikett man ihm anhängt.
Eine andere Frage ist, ob man mit den Gruppierungen unmittelbar
sympathisiert – dazu sind sie in der Tat zu uneinheitlich, zu
undurchsichtig. Ihnen fehlt ein einheitliches Bündnis, das glaubwürdig im
Namen der Iraker handelt.
Vielversprechend ist in dieser Hinsicht aber die Initiative für
eine »Nationale Konferenz für einen unabhängigen und vereinten Irak«. Dies
sei »ein irakisches Projekt«, das über die falsche Alternative zwischen
Diktatur und Besatzung hinausgeht«, sagt Hana Ibrahim vom Occupation Watch
Center in Bagdad, ein von Friedensgruppen der USA und anderer Länder
getragenes Projekt. Auch diese Initiative sagt: Erst nach Abzug der
Besatzungstruppen entstünden geeignete Bedingungen, um eine Verfassung zu
schreiben und eine unabhängige Gesellschaft aufzubauen, bestimmt
durch »Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Frieden«. Zunächst ginge es
darum, politische Strukturen zu schaffen, um den Irak zu befreien – mit
allen legitimen Mitteln.
Prof. Gregor Schirmer, Experte für Staats – und Völkerrecht: »Die
Bundesregierung hat den Krieg gegen Irak unterstützt«
Die Bundesregierung hat peinlichst vermieden, den Krieg gegen den Irak als
völkerrechtswidrig zu bezeichnen, obgleich der Völkerrechtsbruch
offensichtlich ist. (...) Die Bundesregierung hat den USA Rechte zur
Nutzung
von Flugplätzen und Liegenschaften von Kommando-Einheiten in Deutschland
sowie zum Überflug deutschen Territoriums zur Vorbereitung und
Durchführung
des Krieges und zur Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes gewährt. Damit
hat sie den Krieg unterstützt und dem Aggressor Hilfe geleistet. Obwohl
die
Gefahr der Einbeziehung in den Krieg bestand, hat sie deutsche Spürpanzer
aus Kuwait und deutsches Personal aus in der Türkei stationierten, der
NATO
zugehörigen Awacs-Flugzeugen nicht zurückgezogen. Die Regierung hat sich
auf
Bündnisverpflichtungen berufen, die keine andere Wahl zulassen würden.
(...)
Kein Staat ist gehalten, einen anderen Staat bei der Vorbereitung und
Durchführung einer völkerrechtswidrigen Aggression direkt oder indirekt zu
unterstützen, weil er gegenüber dem Aggressor Bündnisverpflichtungen hat.
(...) Ein Staat, der einen anderen Staat bei einer völkerrechtswidrigen
Aggression unterstützt, begeht selbst einen Völkerrechtsbruch. Nach Art.
16
der Draft Articles ist ein Staat, der einem anderen Staat bei der Begehung
eines Völkerrechtsbruchs Hilfe oder Unterstützung gewährt, selbst
international verantwortlich für sein Verhalten. (...) Kein Staat darf
eine
Situation als legal anerkennen, die durch einen schweren Völkerrechtsbruch
hervorgerufen wurde, oder bei der Aufrechterhaltung dieser Situation Hilfe
oder Beistand leisten. Die Bundesregierung hat nur inkonsequente Versuche
unternommen, die Aggression zu beenden. (...) Der Sicherheitsrat hat seit
dem von Bush verkündeten Ende der hauptsächlichen Kampfhandlungen fünf
Resolutionen zum Irak verabschiedet. (...) Mit diesen Resolutionen wird
der
Aggressionskrieg nicht im entferntesten kritisiert oder verurteilt. Sein
Ergebnis, nämlich die Besetzung des Irak, wird anerkannt, jedenfalls nicht
in Frage gestellt. Deutschland hat diesen Resolutionen zugestimmt.
Haifa Sangana, irakische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin:
»Repression,
Folter und Mißbrauch sind Auswüchse des Besatzungsregimes«
Nach Schätzungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sind in Irak
derzeit 10 000 bis 15 000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Der
älteste dokumentierte Gefangene ist 75 Jahre als, der jüngste gerade
einmal
elf Jahre. Gegen niemanden von ihnen wurde eine juristisch haltbare
Anklage
erhoben. Nach meinen jüngsten Erfahrungen in Irak machen sich
US-amerikanische Soldaten tagtäglich Übergriffen schuldig. Männer und
Frauen
werden inhaftiert, wobei Frauen meist als Faustpfand für ihre gesuchten
Männer, Brüder oder Väter genommen werden. Wegen der fehlenden Anklagen
und
Überwachung gibt es bis heute keine genauen Zahlen über die in Irak
inhaftierten Frauen. Sporadisch gibt es Berichte über sexuelle Übergriffe
an
diesen weiblichen Gefangenen. Dazu muß man verstehen, daß die
Vergewaltigung
einer Frau in Irak ihre ganze Familie stigmatisiert. Uns haben schon
Berichte über Frauen erreicht, die nach der Haft unter US-Besatzung
Selbstmord begangen haben. Selbst Donald Rumsfeld, der
US-Verteidigungsminister, hat in den Debatten um den Folterskandal in Irak
Fotos erwähnt, auf denen Gefängnispersonal bei sexuellen Akten mit
weiblichen Gefangenen zu sehen sei. Was meinte er damit? Wir wissen es bis
heute nicht.
Während meiner letzten Reise nach Irak im Januar dieses Jahres sah ich
Dutzende Frauen in der Mittagshitze vor den Stahltoren des
Abu-Ghraib-Gefängnisses vor Bagdad verharren. Sie bettelten das
Wachpersonal
um Nachrichten ihrer geliebten Familienangehörigen an. Dieses Erlebnis
lies
mich erschaudern. In den siebziger Jahren stand meine Mutter an diesem
Platz, um von den Wachen des Ba’ath-Regimes zu erfahren, ob ich in dem
Gefängnis festgehalten werde. Natürlich gab es damals unter Saddam Hussein
Folter und Terror. Aber wir haben nicht all die Jahre gekämpft, um ein
Folterregime gegen das nächste auszuwechseln. Die Irakerinnen und Iraker
sehen die Repression und die Mißbrauchsfälle heute als Auswüchse des
Besatzungsregimes an. Erst wenn diese Besatzung beendet ist, wird auch der
Terror aufhören.
Prof. Lennox S. Hinds, Internationale Vereinigung Demokratischer
Juristen: »Folter überall, wo die US-Armee befehligt«
Das Wall Street Journal und die New York Times haben unlängst die Existenz
von Dokumenten aus dem US-Verteidigungsministerium gemeldet, mit denen
Minister Donald Rumsfeld am 9. Januar 2002, im August 2002 und im März
2003
über die mögliche US-Haltung zu geltenden internationalen
Kriegsrechtsvereinbarungen informiert wurde. In den ersten beiden wurden
Argumente vorgestellt, weshalb die US-Regierung die Genfer Konventionen
und
die Antifolterkonvention nicht auf Terroristen anwendet. Der letzte
Briefwechsel sei dokumentiert worden, nachdem für Verhöre zuständige
Militärs in Guantánamo beklagt hätten, nicht genügend Informationen von
den
mutmaßlichen Gewalttätern in ihrem Gewahrsam zu erhalten. (...) Im Resümee
empfahlen Regierungsjuristen, daß der Präsident in seinem Versuch,
die »nationale Sicherheit« zu gewährleisten, von jedweden
Antifolterbestimmungen, seien sie auf nationaler oder internationaler
Ebene,
befreit sei. Die gelte während des gesamten »Krieges gegen den
Terrorismus«.
(...)
Als sich der Folter-Skandal im berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis bei
Bagdad
ausweitete, erklärte Präsident Bush zunächst, daß die Mißhandlungen auf
das »beschämende Verhalten einiger weniger Soldaten« zurückzuführen sei,
das
nichts mit einer »grundlegenden Politik der Regierung« gemein hätte. Und
selbst die Enthüllung, daß ein internes Papier von Regierungsjuristen
schon
im März 2003 systematische Folter und Mißbrauch legalisiert hat, lies den
Präsidenten seine erste Einschätzung nicht revidieren. Erst am 8. Juni
gestand das Weiße Haus ein, daß der Präsident im Umgang mit den Gefangenen
während der Verhöre in Irak »einen weiten Spielraum« zugestanden hat.
Diese
jüngste Stellungnahme kommt dem taktischen Eingeständnis gleich, daß es
George W. Bush war, der den Weg zur Anwendung von Folter geebnet hat.
(...)
Der inzwischen gut dokumentierte Mißbrauch irakischer Gefangener,
einschließlich Mord, Vergewaltigung, erzwungenen homosexuellen Kontakten
zwischen Gefangenen und physischem Mißbrauch, erfüllt alle juristischen
Kriterien von Folter. Daran ändert auch das Leugnen von
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nichts. Die Belege für die
systematische Folter in Irak waren der Regierung schon lange bekannt,
wurden
jedoch bis zur Veröffentlichung der Folterbilder durch Dritte
geheimgehalten. Berichte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz,
anderer Menschenrechtsorganisationen und sogar des Pentagon selbst weisen
darauf hin, daß ein ähnlicher Umgang mit Gefangenen nicht nur im Irak
üblich
ist, sondern in allen Gefängnissen, die von der US-Armee im Rahmen
des »Kampfes gegen den Terrorismus« weltweit errichtet wurden. Die bislang
bekannt gewordenen Folter- und Mißbrauchsfälle sind also keine
Ausrutscher.
Sie sind Teil der US-Regierungspolitik, die nach dem 11. September 2001
alles darangesetzt hat, Folter als integralen Bestandteil der Verhöre
potentieller Terroristen zu etablieren.
* Die junge Welt druckte die vorliegenden Texte in ihrer Ausgabe vom 21. Juni 2004 ab.
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