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Truppenstatut für Irak in weiter Ferne

General Odierno: Das Erreichte ist fragil / Oktober-Provinzwahlen wurden abgesagt

Von Karin Leukefeld *

Die US-Militärs loben sich gegenseitig für ihre »brillante Irak-Strategie«. Die ungelösten Probleme im Zweistromland bestehen indes weiter.

Noch keine Woche ist der neue Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Irak im Amt und schon hat General Raymond Odierno der blutige Alltag eingeholt. Schon am Vorabend seiner Amtsübernahme starben bei Anschlägen in Bagdad 34 Menschen, sieben US-Soldaten waren es dann beim Absturz ihres Hubschraubers in der Provinz Basra. Täglich fordern Attentate Opfer unter Irakern und US-Amerikanern. Am Montag wurden im Landesnorden fünf Kinder durch einen Sprengsatz getötet, gestern waren es mindestens zwei Zivilisten. Schon am Wochenende musste General Odierno den Medien und den Irakern wieder einmal erklären, warum acht Zivilisten bei einem US-Bombenabwurf in einem kleinen Dorf bei Tikrit sterben mussten.

Odiernos Vorgänger, General David Petraeus, hatte sich kurz vor dem Wachwechsel in Bagdad in einem Interview in der britischen BBC mit den Worten verabschiedet, er sehe nicht, dass man demnächst in Irak den Frieden ausrufen könne. US-Verteidigungsminister Bill Gates hingegen klang weniger skeptisch, als er bei einem Kurzbesuch in Bagdad meinte, man befinde sich in einer »Mission des Übergangs«, sozusagen im »Endspiel«. Natürlich werde man sich »weiter engagieren« und die Herausforderung für General Odierno sei es, dafür zu sorgen, »mit den Irakern zusammen die Erfolge zu erhalten und auszuweiten, auch wenn wir unsere Truppenstärke verringern«.

Gates lobte General Petraeus für dessen »brillante Strategie« der Truppenaufstockung in Irak und seine gute Zusammenarbeit mit US-Botschafter Ryan Crocker. »Er hat eine historische Rolle gespielt«, sagte Gates. General Odierno, der seit 2006 in Irak als Petraeus’ Stellvertreter für die Umsetzung der Strategie sorgte, sei der richtige Mann auf dem Posten des Oberbefehlshabers, meinte Gates.

Odierno war schon einmal 2003/04 in Irak, wo er wegen seiner grobschlächtigen, unverschämten Art gegenüber Zivilisten häufig kritisiert wurde. Tatsächlich stammte die Idee der Truppenaufstockung ursprünglich von ihm und nicht von Petraeus, doch auf Odierno wollte im Dezember 2006 noch niemand hören. Man müsse sich klar machen, »dass das Erreichte fragil ist«, meinte Odierno jetzt gegenüber Journalisten. Es könne jederzeit wieder kippen. Daher wendet sich Odierno auch nach wie vor vehement gegen einen Truppenabzug.

Aus Sicht der US-Administration sind aber weniger die täglichen Attentate ein Problem als vielmehr die Vereinbarung eines Truppenstatuts, die Wahlen zu den Provinzparlamenten und die Verabschiedung eines neuen Ölgesetzes in Irak. Das Truppenstatut soll den Status der US-Soldaten ab 2009 regeln, wenn das UN-Mandat, unter dem derzeit die Besatzungsmacht in Irak agiert, ausgelaufen sein wird.

Hier gibt es noch weiter erhebliche Probleme, wie dieser Tage Ministerpräsident Nuri al-Maliki erklärte. Insbesondere die von Washington geforderte Straffreiheit für US-Soldaten in Irak wird von Irakern abgelehnt. Die Provinzwahlen, die eigentlich für Oktober vorgesehen waren, scheinen am Streit um die Erdölmetropole Kirkuk zu scheitern, wo sich Kurden einerseits und turkmenische und arabische Iraker andererseits nicht einigen können.

Die Kurden beanspruchen die Stadt als »Herzstück Kurdistans«. Auch das Ölgesetz, schon vor zwei Jahren von US-Experten ausgearbeitet und von der Regierung Maliki im Februar 2007 akzeptiert, wurde bisher im Parlament noch nicht verabschiedet. Dass die kurdische Regionalregierung inzwischen eigenständig weitreichende Ölförderverträge mit internationalen Firmen abgeschlossen hat, veranlasste den irakischen Ölminister Hussein al-Scharistani vor wenigen Tagen zu der Bemerkung, Bagdad werde auf die alten Ölgesetze aus der Zeit von Saddam Hussein zurückgreifen müssen, wenn die Kurden nicht einlenken würden.

Deren Vorpreschen in Sachen Ölverträge habe viele Abgeordnete in Bagdad misstrauisch gemacht. Man frage sich, warum Irak ein neues Ölgesetz brauche, wenn die Kurden ohnehin machen würden, was sie wollten. Der kurdische Minister für auswärtige Angelegenheiten, Falah Mustafa Bakir, der zurzeit in Begleitung des kurdischen Botschafters in Washington, Qubad Talabani, hochrangige Gespräche führt, ist sich jedenfalls keiner Schuld bewusst. Angesprochen auf die Kritik aus Bagdad, antwortete Bakir selbstbewusst in Anlehnung an einen historischen Ausspruch Che Guevaras: »Wir sind Teil der Lösung, nicht Teil des Problems.«

* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2008


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