Mehrheiten gegen die "neuen Kriege"
Internationale Meinungsforschung zum Krieg im Irak.
Eine Studie von Dietmar Wittich
Am 16. Dezember stellte die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie von Dietmar Wittich vor, die sich mit Ergebnissen der internationalen Meinungsforschung zum Irakkrieg befasste. Im Folgenden dokumentieren wir das Inhaltsverzeichnis und die Zusammenfassung der Studie. Die gesamte Studie ist auf der Homepage der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht (http://www.rosa-luxemburg-stiftung.de/). Sie kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden: Mehrheiten gegen die "neuen Kriege".
Dietmar Wittich: Mehrheiten gegen die "neuen Kriege". Internationale Meinungsforschung zum Krieg im Irak.
Studie. Berlin, November 2003 (Herausgegeben vom Gesprächskreis Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung)
Inhalt:
Zusammenfassung (Seite 6)
1. Weltmeinung zu den neuen Kriegen (S. 8)
-
Ist die Welt sicherer geworden? (S. 8)
-
War der Krieg gerechtfertigt? (S. 10)
-
Meinungen zum Wiederaufbau im Irak (S. 12)
-
Meinungen zu internationalen Wirkungen des Irak Krieges (S. 15)
-
Meinungen zum Konflikt im Nahen Osten (S. 18)
-
Meinungen zu weiterem Einsatz militärischer Gewalt (S. 21)
-
Meinungen zur amerikanischen Außenpolitik (S. 23)
2. Meinungen in Deutschland zu den neuen Kriegen (S. 28)
-
Ergebnisse der internationalen Studie für Deutschland (S. 28)
-
Meinungen zur internationalen Situation und zu Einsätzen der Bundeswehr (S. 39)
Tabellenanhang (S. 54)
"Die Demokratie im Irak zu sichern, ist das Werk vieler Hände. Amerikaner und Koalitionskräfte opfern sich auf für den Frieden im Irak und für die Sicherheit der freien Nationen. ... Irakische Demokratie wird gelingen - und dieser Erfolg wird die Botschaft aussenden, von Damaskus bis Teheran -, dass Freiheit die Zukunft jeder Nation sein kann. Die Etablierung eines freien Irak im Herzen des Mittleren Ostens wird ein Wasserscheiden-Ereignis in der globalen demokratischen Revolution sein."
"Die Region des Mittleren Ostens wird entweder ein Raum von Fortschritt und Frieden werden, oder sie wird
eine Quelle von Gefahr und Terror bleiben. Und wir sind bestimmt, den Triumph von Fortschritt und den Triumph
von Frieden in dieser Region zu sehen. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um zu sichern,
dass die Freiheit eine dauerhafte Heimstatt in Afghanistan und im Irak findet."
Georg W. Bush am 6. November 2003
Seit dem von den USA verkündeten Ende der Hauptkampfhandlungen sterben in Irak fast täglich Soldaten und
Zivilisten bei Anschlägen. Hier ein Überblick über die schwersten Gefechte:
-
24. Juni: Sechs britische Soldaten werden im schiitischen Süden des Landes getötet, nachdem sie Häuser mit
Hunden durchsucht hatten.
-
5. Juli: Bei der Detonation eines Sprengsatzes im zentralirakischen Ramadi sterben sieben Iraker, 40 weitere
werden verletzt.
-
7. August: Bei der Explosion einer Autobombe vor der jordanischen Botschaft in Bagdad kommen mindestens
14 Menschen ums Leben, mehr als 50 werden verletzt.
-
19. August: Bei einem Autobombenanschlag auf das UN-Gebäude in Bagdad werden 22 Menschen getötet,
unter ihnen der UN-Sonderbeauftragte für Irak, Sergio Vieira de Mello.
-
29. August: Bei einem Anschlag auf die Imam-Ali-Moschee in Nadschaf werden 83 Menschen getötet, unter
ihnen der Schiitenführer Ayatollah Mohammed Bakr el Hakim. Mehr als 120 Menschen werden verletzt.
-
20. September: Die irakische Politikerin Akila el Haschimi, Mitglied des irakischen Regierungsrates, wird in
Bagdad niedergeschossen und stirbt fünf Tage später.
-
25. September: Ein Artilleriegeschoss tötet in Baakuba acht Zivilisten.
-
9. Oktober: Bei einem Autobombenanschlag auf eine Polizeiwache in Bagdad kommen neun Menschen ums
Leben. Ein spanischer Geheimdienstoffizier wird ermordet.
-
12. Oktober: Vor dem Hotel Bagdad im Zentrum der Hauptstadt reißt ein Selbstmordattentäter mit einer Autobombe sieben Menschen mit in den Tod.
- 26. Oktober: US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz entgeht einem Raketenangriff auf das Hotel Raschid in Bagdad, bei dem ein US-Soldat getötet wird.
- 27. Oktober: Bei einer Serie von Anschlägen auf vier Polizeistationen und den Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Bagdad sterben 43 Menschen, rund 200 weitere werden verletzt.
- 28. Oktober: Eine Autobombe reißt in Falludscha sieben Menschen in den Tod, unter ihnen irakische Schüler.
- 2. November: Beim bislang schwersten Angriff auf die US-Truppen seit dem Sturz Saddam Husseins kommen beim Abschuss eines US-Transporthubschraubers nahe Falludscha 16 US-Soldaten ums Leben.
- 7. November: Beim Abschuss eines US-Hubschraubers in Tikrit sterben sechs US-Soldaten.
- 12. November: Bei einem Anschlag auf einen Stützpunkt italienischer Polizeitruppen in der südlichen Stadt
Nassirijah kommen mindestens 14 Italiener und acht Iraker ums Leben.
Die weltweite Distanzierung und Ablehnung des
Krieges der USA gegen den Irak, die es vor Beginn
der Kampfhandlungen gab, existieren nahezu unverändert
fort, nachdem die USA ein Ende der
Kampfhandlungen erklärt haben. In dieser Aussage
lassen sich die Ergebnisse der Neuauflage einer
internationalen Untersuchung zusammenfassen, die
Gallup International im April/Mai 2003 in 41 Ländern
mit 31.806 Befragten durchgeführt hat. Im
Januar hatte es bereits eine entsprechende Erhebung
mit etwa dem gleichen Umfang gegeben. (Vgl. Dietmar Wittich, Die Einsamkeit der Supermacht.
Studie. Berlin, Januar 2003.) Für
Deutschland steht zu dieser Erhebung ein Datensatz
zur Verfügung. Darüber hinaus wurden von Emnid
in den letzten Monaten wiederholt Fragen zum
Komplex Krieg - Frieden und zu Bundeswehrein-
sätzen gestellt. Eine Auswahl daraus wurde zur
Nachnutzung erworben. Die Auswertung und die
statistische Prüfung erfolgte mit SPSS. Alle Ergebnisse
sind im Anhang dokumentiert.
Untersucht wurden aktuell
-
Meinungen, ob die Welt sicherer geworden ist
- Meinungen, ob der Krieg im Nachhinein als
gerechtfertigt angesehen wird
- Meinungen zum Wiederaufbau im Irak
- Meinungen zu internationalen Wirkungen des
Irak-Krieges
- Meinungen zum Konflikt im Nahen Osten
- die Bewertungen der Auswirkungen der amerikanischen
Außenpolitik auf die eigene Einstellung
und auf das eigene Land.
Zusammenfassung
Nur in den USA selbst und daneben nur in Albanien
und im Kosovo war zum Zeitpunkt der Untersuchung
eine Mehrheit mit der Meinung festzustellen,
die Kriege hätten die Welt sicherer gemacht. Aber
selbst in den USA steht ein reichliches Drittel auf
der Position, die Welt sei zu einem gefährlicheren
Ort geworden. Es gibt nur zwei weitere Länder, in
denen weniger als die Hälfte gewachsene Gefahren
sieht, die Niederlande und Litauen. In den anderen
35 der 40 Länder, zu denen Daten vorliegen, ist es
Mehrheitsmeinung, dass die Gefahren zugenommen
haben.
Wenn es eine Strategie der nachträglichen Rechtfertigung
gegeben hat, dann ist sie gescheitert.
Außer den USA selbst gibt es nur weitere neun
Länder, in denen mehr oder weniger große Mehrheiten
den Krieg der USA und ihrer Verbündeten
gegen den Irak für gerechtfertigt halten. In
weiteren fünf Ländern gibt es relative Mehrheiten.
Darunter sind neben Israel und einigen der
Verbündeten auch die Balkanländer Albanien und
Kosovo. In den anderen 26 Ländern, die an dieser
Untersuchung beteiligt waren, überwiegt die
Position, dass der Krieg nicht gerechtfertigt war.
Es ist die klar überwiegende Meinung in der Welt,
dass die USA und ihre Verbündeten allein für die
Finanzierung des Wiederaufbaus im Irak aufkommen
sollen. Von den einbezogenen Ländern sind es
27, in denen es dafür eine Mehrheit gibt. In nur
wenigen Ländern artikuliert sich eine Mehrheit
dagegen, in einigen halten sich Für und Wider etwa
die Waage, so ist das Meinungsbild auch in den
USA selbst und bei den meisten ihrer Verbündeten.
Es gibt überhaupt nur zwei Länder, neben den
Philippinen ist das noch der Kosovo, in denen eine
Mehrheit meint, die Bedrohung durch den Terrorismus
habe sich durch den Krieg im Irak verringert.
Für die Meinung, dass sich diese Bedrohung
nicht verringert habe, gibt es in fünf Ländern eine
relative Mehrheit, das sind die USA, Portugal,
Bulgarien, Polen und Nigeria. In allen übrigen sind
Mehrheiten, meist große Mehrheiten, der Meinung,
dass sich die Bedrohung durch den Terrorismus
nicht verringert habe. Wenn es die Absicht war, den
internationalen Terrorismus wirkungsvoll zu bekämpfen,
dann ist diese Absicht in den Augen der
Weltöffentlichkeit gescheitert.
Es gibt nur ein Land, das sind die Philippinen, wo
eine leichte Mehrheit nicht zustimmt, dass die UNO
Schaden genommen hat. In einigen Ländern ist es
nur eine relative Mehrheit, die eine Beschädigung
der UNO registriert, dazu gehören Malaysia und
Island sowie Georgien, Polen und weitere osteuropäische
Länder - Albanien, Bulgarien und Litauen.
In allen Regionen der Welt, in den meisten Ländern
meint eine große bis sehr große Mehrheit: Im Zusammenhang
mit dem Krieg gegen Irak wurde der
UNO ernsthafter Schaden zugefügt.
In den Erwartungen bezüglich der Perspektiven der
diplomatischen Spannungen zwischen den USA und
Ländern, die gegen den Krieg waren wie Frankreich,
Deutschland und Russland, gibt es zwischen
den Regionen deutliche Unterschiede. In den westeuropäischen
Ländern sind die Anteile derer, die in
dieser Frage pessimistisch sind, relativ groß. In den
USA und in verbündeten Ländern halten sich Optimisten
und Pessimisten etwa die Waage. Insgesamt
gibt es nur neun Länder mit einer mehrheitlich
optimistischen Perspektive, in den meisten Ländenr
ergibt sich dazu kein eindeutiges Meinungsbild.
Dass der Krieg im Irak zu mehr Frieden und Stabilität
im Nahen Osten führen wird, für diese Annahme
ist selbst in den USA nur dürftige Unterstützung
zu finden, selbst hier ist der Anteil derer,
die diese Auffassung ablehnt, recht groß. Mehrheitliche
Zustimmung ist ansonsten nur noch im Kosovo
zu konstatieren, in Australien und Nigeria gibt
relative Mehrheiten mit Zustimmung. In den anderen
37 Ländern, in denen diese Frage gestellt
wurde, überwiegt die Meinung deutlich, dass der
Krieg im Irak nicht zu mehr Frieden und Stabilität
im Nahen Osten geführt hat.
Es ist klar die überwiegende Meinung in der Welt,
dass es ohne Lösung des Konflikts zwischen Israel
und Palästina keinen Frieden im Nahen Osten
geben kann. Die Auffassung wird auch in den USA
und Israel sowie in allen anderen Ländern zumeist
von großen Mehrheiten vertreten.
Die Weltmeinung zu einem Angriff auf Syrien ist
eindeutig. In den USA stimmten nur 28 Prozent
einer solchen Aktion der eigenen Streitkräfte auf
Syrien zu, eine Mehrheit von 57 Prozent lehnte ihn
ab. Es gibt überhaupt nur ein Land, wo eine mehrheitliche
Akzeptanz eines solchen Angriffs festgestellt
wurde, das ist der Kosovo, hier stimmten 57
Prozent zu. Es gibt insgesamt fünf Länder, in denen
der Anteil der Zustimmenden in dieser Frage wie in
den USA zwischen 25 und 30 Prozent liegt, auch in
diesen Ländern überwiegt die Ablehnung. In den
meisten Ländern ist das Zurückweisen eines Angriffs
der USA auf Syrien die klar dominierende
Meinung, zwischen 60 und knapp 90 Prozent vertreten
sie jeweils.
Fast überall auf der Welt ist Mehrheitsmeinung,
dass die USA zu sehr auf den Einsatz militärischer
Gewalt gegen andere Länder setzen, was bedeutet,
dass diese Mehrheiten die militärische Gewalt
ablehnen. Es gibt nur wenige Länder wie Albanien,
den Kosovo, die Philippinen und Malaysia, in denen
auch die Gegenmeinung häufiger vertreten
wird. Auch in den USA selbst sprach sich ein beachtlicher
Anteil gegen militärische Gewalt aus. In
den meisten Ländern, vor allem in Westeuropa und
auch bei Verbündeten der USA, sind es deutliche
Mehrheiten, die sich gegen Militäreinsätze der USA
wenden.
Der Krieg, den die USA im Irak geführt haben, hat
ihrem internationalen Ansehen geschadet. In den
meisten Ländern sagen Mehrheiten, dadurch seien
ihre Einstellungen zu den USA negativ beeinflusst
worden
.
Insgesamt wird die Außenpolitik der USA international
kritisch bewertet. Besonders häufig ist die
Meinung, die amerikanische Außenpolitik wirke
negativ auf das eigene Land in westeuropäischen
Ländern, in Südamerika und in Asien artikuliert.
Etwa drei Viertel der Deutschen sehen die gegenwärtige
Weltlage so, dass die Kriege in Afghanistan
und im Irak nicht mehr Sicherheit gebracht haben,
sondern dass dadurch die Gefahren gewachsen
sind. Gleichfalls eine Mehrheit der Deutschen verweigert
dem Krieg der USA und ihrer Verbündeten
gegen den Irak auch im Nachhinein die Akzeptanz,
nur 28 Prozent halten ihn für gerechtfertigt.
Bezüglich des Wiederaufbaus im Irak sehen die
Deutschen vor allem die UNO, die USA und ihre
Verbündeten sowie die arabischen Länder in der
Pflicht, die Länder, die gegen den Krieg waren
deutlich weniger.
Bezüglich der Auswirkungen des Irak-Krieges auf
die internationale Lage und die internationalen
Beziehungen sind die Deutschen mehrheitlich der
Meinung, dass die Gefahr des Terrorismus nicht
verringert worden ist, dass die UNO in diesem
Zusammenhang beschädigt worden ist und dass
zunächst Spannungen zwischen den USA und Ländern
wie Frankreich, Deutschland und Russland
bleiben wird.
Eine Mehrheit in Deutschland sieht, dass der Konflikt
zwischen Israel und Palästina für die Situation
im Nahen Osten von zentraler Bedeutung ist, Mehrheiten
sind der Auffassung, dass der Krieg im Irak
der Region nicht mehr Frieden und Stabilität
bringt. Eine Ausweitung des Krieges im Irak auf
Syrien wird von den Deutschen nahezu einhellig
abgelehnt. Generell ist eine Mehrheit der Meinung,
dass die USA gegenwärtig zu viel militärische Gewalt
in die Welt bringen.
Auch in Deutschland hat das Anbsehen der USA
Schaden genommen. Für eine Mehrheit hat sich die
Einstellung zu den USA im Zusammenhang mit dem
Krieg im Irak verschlechtert. Die Wirkungen der
amerikanischen Außenpolitik auf Deutschland
generell werden gleichfalls überwiegend kritisch
gesehen
.
Gegenwärtig ist die große Mehrheit der Deutschen
der Meinung, dass es den USA nicht gelingen wird,
im Irak nachhaltig Frieden herzustellen. Die Erwartung
dass sich das deutsch-amerikanische Verhältnis
schnell wieder verbessern wird, hat sich im
Laufe des Jahres verstärkt und wird jetzt von zwei
Dritteln der Deutschen geteilt. Darüber, ob die
USA auch weiterhin militärische Alleingänge ohne
die UNO unternehmen werden, sind die Meinungen
geteilt. 60 Prozent der Deutschen sind dagegen, das
Einsatzgebiet der Bundeswehr in Afghanistan auszuweiten
und deutsche Soldaten auch außerhalb
der Hauptstadt Kabul einzusetzen. Dieser Anteil ist
stabil. Gleichfalls 60 Prozent der Deutschen votieren
dafür, dass die Entscheidungen über Auslandseinsätze
der Bundeswehr auch im Rahmen der
NATO-Eingreiftruppe weiterhin im Plenum des
Bundestages getroffen werden.
Die Studie (insgesamt 77 Seiten) gibt es hier:
Mehrheiten gegen die "neuen Kriege".
Siehe auch:
Europa, der Irakkrieg und der Antisemitismus
Was uns Umfragen und das wirkliche Leben lehren.
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