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Umweltkatastrophe Golfkrieg

Die Regeneration dauert noch an, während der nächste Krieg droht

Den folgenden Text haben wir dem heise-Internetdienst "Telepolis" (www.telepolis.de) vom 16. September 2002 entnommen. Wir dokumentieren ihn ohne die Fußnoten und Links.

Von Irene Gronegger

Im Golfkrieg waren bei der bisher größten marinen Ölkatastrophe mehr als eine Milliarde Liter Erdöl in den Persischen Golf geflossen. Nach Kriegsende geriet die ökologische Situation bald in Vergessenheit. Doch die geschädigten Küstenbiotope haben sich erst teilweise regeneriert. Einige Forscherteams beobachten die langfristige Entwicklung an der Küste Saudi-Arabiens.

Die größte Ölpest der Geschichte

Öl auf dem Wasser, Öl am Strand, Öl in den Lagunen, Öl, wohin das Auge blickt. In den penetranten Ölgeruch mischt sich Verwesungsgestank: Hunderttausende von toten Schnecken, Muscheln und Krebsen liegen in den Buchten. Dazwischen tote Vögel, hauptsächlich Kormorane. Persönliche Eindrücke des Greenpeace-Meeresbiologen Thomas Henningsen an der Golfküste. Abu Ali, Saudi Arabien, 16. August 1991

Wir treffen auf das erste und einzige Unternehmen zu Reinigung der Küste. 50 Arbeiter aus Bangladesch schippen mit Schaufeln die oberste Schicht des verölten Sandes in kleine Transporter, die den Schmodder 200 Meter landeinwärts wieder in die Dünen kippen. "Die Aufräumarbeiten gehen zügig voran", hatte uns der ARAMCO-Sprecher in Al Jubail versichert.

Die Hauptmenge war damals in Süd-Kuwait aus zerschossenen Tankern, geöffneten Ölterminal-Leitungen und aus zerstörten Tanklagern ausgetreten. Es gab in der Region trotz der risikoreichen Ölfördereinrichtungen praktisch keine Vorsorge gegen Unfälle. So verfrachteten die küstenparallele Meeresströmung und die Winde den Ölteppich ungehindert nach Süden bis zur vorgelagerten Insel Abu-Ali, die die weitere Ausbreitung nach Süden weitgehend stoppte. Denn die Insel ist durch Dämme mit dem Festland verbunden und bildet so eine natürliche Sperre; hier konnte ein Teil des Öls abgeschöpft und deponiert werden. Die dazwischenliegende Küste, eine Strecke von etwa 650 Kilometern, wurde fast lückenlos verölt.

Der gesamte Gezeitenbereich war davon betroffen. Die Vegetation der Salzmarschen und Mangroven war nahezu vollständig zerstört. Die Flut hatte das Öl tief in die ökologisch sensiblen Buchten gedrückt, zudem waren ausgerechnet im Frühjahr 1991 die Gezeiten besonders stark gewesen und hatten das Öl auch in höhere, nur selten überflutete Zonen gespült. An besonders flachen Küstenabschnitten war der verölte Streifen bis zu einem Kilometer breit. Die Hälfte der saudi-arabischen Küste fiel als Nahrungsbiotop für die Stand- und Zugvögel praktisch aus. Erstaunlicherweise hielten sich die Schäden an den Korallenriffen vor der kuwaitischen Küste insgesamt noch in Grenzen, auch wenn 1992 etliche ausgebleichte oder tote Korallenkolonien gefunden wurden.

Die Regeneration der Küsten

Die intensive Sonneneinstrahlung in den subtropischen Breiten verzögerte die Regeneration der verölten Küsten. Denn flüchtige Bestandteile des Öls verdunsteten dort rasch, das Watt trocknete bei Niedrigwasser schnell aus - so entstand in Verbindung mit dem Sand eine asphalt-ähnliche Decke. Die Oberfläche war praktisch versiegelt und behinderte die Wiederausbreitung von Tieren und Pflanzen. Nachdem Bodentiere wie Krabben, Würmer oder Schnecken abgestorben waren, wurden die nun unbewegten Sedimente von Cyanobakterien überwuchert. Zähe blaugrüne Bakterienmatten bildeten bald eine Barriere für den Sauerstoff; dadurch wurde der biologische Abbau weiter verzögert.

Strömung, Tidenhub und Wellengang sind am Golf viel schwächer als etwa an der Nordseeküste und konnten den dicken Ölkrusten an vielen Stellen nur wenig anhaben. Schon zu Beginn des Golfkriegs ließ die noch aus dem vorigen iranisch-irakischen Krieg stammende Teerkruste an der Küste des Irans erahnen, wie lange eine Regeneration dauern würde: Denn 1983/84 waren iranische Ölplattformen im Norden des Persischen Golfs zerstört worden, ca 300.000 Tonnen schweres Rohöl waren über 10 Monate hinweg ausgeflossen, über die Folgen ist nur wenig bekannt. Durch natürliche Zirkulation wird das Wasser des Golfs zu 1/3 jährlich mit dem Indischen Ozean ausgetauscht: Die hohe Verdunstung erhöht den Salzgehalt des Wassers, es wird schwerer, sinkt ab und verlässt den Golf als Tiefenstrom. An der Oberfläche strömt dafür Wasser aus dem Indischen Ozean ein.

Die Folgen des zweiten Golfkriegs sind besser untersucht. Der biologische Abbau der Ölverschmutzung begann erst nach einigen Jahren: Mit den ersten Kolonien kleiner Strandkrabben kehrte das Leben zurück. Die Pflanzen der Salzmarschen brauchten meist länger als die Tiere, auf einigen Versuchsflächen der Universität Oldenburg fehlten sie noch im Jahr 2001. Erst drei von 24 Untersuchungsflächen galten bis dahin als regeneriert. Die Böden selbst reagieren noch langsamer als die Organismen: Denn neben der Vernichtung der Bodenlebewesen hatte die Ölpest auch das Bodengefüge verändert und die Partikel zementiert, hinzu kamen langfristige chemische Veränderungen. Auf großen Flächen ist der geschädigte Untergrund lediglich durch eine frisch aufgewehte Sandschicht überdeckt, darunter herrschen anaerobe und damit lebensfeindliche Bedingungen.

Brennende Ölquellen in Kuwait

"Um uns herum ein stinkendes, brodelndes, fauchendes Inferno. Die Luft scheint zu glühen. Über uns türmen sich pechschwarze Wolken: Es ist Nacht, morgens um 11 Uhr. Alles ist mit dickem, klebrigem Ruß bedeckt. Etwa die Hälfte der gesamten Landesfläche von Kuwait liegt unter diesem ekelhaften Film, der alles Leben erstickt. Nach fünf Minuten ist mein weißes T-Shirt braun von dem Öl-Regen, der stetig auf uns niedergeht. Al Ahmadi, Kuwait, 12. September 1991." (Aus dem Tagebuch von Thomas Henningsen)

Über 700 der 900 kuwaitischen Ölquellen waren in Brand gesetzt worden. Die Schäden betrafen vor allem die Region selbst: Täglich waren zweieinhalb bis drei Millionen Barrel Rohöl zu Ruß, Kohlendioxid und giftigen Gasen verbrannt. Besonders Schwefeldioxid und Ruß waren für die Atmung der Menschen und Tiere extrem belastend; in den Rauchwolken starben die Zugvögel.

Das kurzfristige Interesse der Medien an den ökologischen Folgen des Golfkriegs konzentrierte sich hauptsächlich auf die möglichen Auswirkungen der Ölbrände auf das regionale und globale Klima. Als die Brände gelöscht waren und eine Veränderung des Weltklimas speziell durch den Golfkrieg nicht nachgewiesen werden konnte, wurde dies nicht selten als Entwarnung hinsichtlich der kriegsbedingten Umweltschäden in der Region aufgefasst - zu Unrecht.

Langfristig problematisch ist auch, dass aus den offenen Ölquellen riesige Ölseen austraten und in den Boden sickerten. Ihre Gesamtfläche betrug 80 bis 100 Quadratkilometer, das Volumen des an Land ausgetretenen Öls war schätzungsweise bis zu 15 mal höher als die ins Meer gelangte. Hinzu kamen umfangreiche weitere Schäden, wie die Zerstörung der Vegetation durch Militärübungen und Truppenbewegungen im Irak, in Kuwait und in Saudi-Arabien.

Die Ökosysteme der Wüsten und Halbwüsten sind besonders sensibel gegenüber menschlichen Eingriffen. Der Oldenburger Umweltbiologe Thomas Höpner bringt die Lage am Persischen Golf auf den Punkt: "Die Häufigkeit und Dauer der Kriege übersteigt das Regenerationsvermögen der Region bei weitem." Schon die "normale" Umweltbelastung in Friedenszeiten durch den sorglosen Umgang mit der Ölförderung und dem Transport ist enorm - im Persischen Golf selbst, an der Küste und auch an Land.

Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13236/1.html



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