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Die neue Irak-Resolution: Die beste Nachricht seit langem - aber nur für die USA!

Pressestimmen zur UN-Resolution 1511

Die vom UN-Sicherheitsrat am 16. Oktober 2003 einstimmig verabschiedete neue Irak-Resolution 1511 (2003) findet in den Medien längst nicht die einhellige Zustimmung, die das Abstimmungsergebnis vielleicht erwarten ließe. Kritisiert wird vor allem, dass die Vereinten Nationen nur eine kosmetische Verbesserung ihrer Position erreichen konnten und dass es nach wie vor keinen Zeitplan für die Übergabe der Macht an die Iraker gibt. Im Folgenden geben wir einen Überblick über Stimmen aus der deutschen und internationalen Presselandschaft.


Wir beginnen diesmal mit der Tageszeitung taz. Obwohl es sich streng genommen nicht um einen Kommentar handelt, sondern um einen redaktionellen Beitrag (Überschrift: "Keiner gibt den USA Contra"). Der Name des Autors - Andreas Zumach - bürgt aber für eine eingeflochtene kritische Kommentierung:

(...) Die UNO-Mitgliedsstaaten sind nun aufgerufen, zur Entlastung der beiden Besatzungsmächte Soldaten in eine multinationale, von den USA kommandierte Truppe zu entsenden und sich finanziell am Wiederaufbau im Irak zu beteiligen. Mit diesen beiden Kernbestimmungen in der nach siebenwöchigen Verhandlungen verabschiedeten dritten Irakresolution seit Kriegsende im Mai setzte die US-Regierung ihre wesentlichen Ziele durch.
Die von den einstmals erklärten Kriegsgegnern Frankreich, Russland, Deutschland und China wochenlang vertretenen Mindestforderungen an eine neue Resolution fielen unter den Tisch: Weder ist ein verbindlicher Zeitplan für die Übergabe der Macht an die Iraker sowie für die Ausarbeitung einer Verfassung und die Durchführung von Wahlen vorgesehen, noch soll die UNO eine relevante Rolle im Nachkriegsirak spielen.
Am Mittwoch hatten Paris, Moskau, Berlin und Peking zunächst noch die Absicht zur Enthaltung signalisiert, nachdem die Bush-Administration selbst moderate Änderungswünsche nicht aufgenommen hatte. Die Entscheidung fiel gestern Mittag in einem 45-minütigen Telefonat zwischen den Regierungschefs Wladimir Putin, Jacques Chirac und Gerhard Schröder. "Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Resolution ein wirklich wichtiger Schritt in eine richtige Richtung ist", erklärte der Bundeskanzler nach dem Telefonat. Die Zustimmung sei erfolgt "ungeachtet von Einwänden, die wir nach wie vor haben, weil nicht alles von dem, was wir für richtig hielten, berücksichtigt worden ist", sagte Schröder. Die drei Staaten verbanden ihre Zustimmung mit einer gemeinsamen Erklärung, wonach die Resolution "noch keine angemessene Reaktion auf die Lage im Irak" sei. In der Erklärung schlossen Frankreich, Russland und Deutschland ausdrücklich auch weitere militärische und finanzielle Unterstützung für die Besatzungsmächte im Irak aus. Das offensichtlich entscheidende Motiv für die jetzt erteilte Zustimmung zu der Resolution beschrieb der Kanzler mit dem Satz, "alle drei Länder" hätten "das Interesse, dass der Sicherheitsrat in einer schwierigen internationalen Situation so weit wie möglich zusammenbleibt". Noch deutlicher als Schröder kritisierte der französische Außenminister Dominique de Villepin die Resolution als unzureichend. Sie sei "nur ein erster Schritt", der den "bestehenden Herausforderungen im Irak nicht gerecht" werde.
(taz, 17.10.2003)

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Ein "Mandat ohne Macht" habe die UNO mit der neuen Resolution erhalten, meint Rolf Paasch in der Frankfurter Rundschau. Eigentlich habe niemand gewonnen und die Lage im Irak werde sich kaum zum besseren wenden. Paasch schreibt hierzu:

(...) Im Chaos des Zweistromlands mögen das militärische Kommando der USA alternativlos und die politischen Erlasse von Chef-Verwalter Paul Bremer unvermeidlich sein. In der Wahrnehmung der irakischen Bevölkerung und der gesamten Region aber hätte allein eine (mit-)entscheidende Rolle der Vereinten Nationen in Irak einen symbolischen Neuanfang markiert. Denn es ist weniger der konkrete Einsatz von Soldaten als die Legitimität der Intervention, die über deren Erfolg entscheidet. Die anfänglichen Forderungen Frankreichs, konkrete Fristen für die Übergabe der Macht an den Provisorischen Regierungsrat zu setzen, waren unrealistisch. Noch naiver jedoch ist der Glaube Washingtons, mit der unilateralen Kontrolle des Wiederaufbaus in Irak die Schwierigkeiten der Besatzer überwinden zu können.
(...) Das neue UN-Mandat hat eine Annäherung der transatlantischen Standpunkte gebracht. Doch für Irak bedeutet der Kompromiss eine vertane Chance, weil er am Stigma der Besatzung wenig ändert.
(FR, 17.10.2003)

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Für den Kommentator der Süddeutschen Zeitung, Stefan Ulrich, ist die Resolution ein "Muster ohne Wert". Sie spiegel nur "die hoffnungslose Situation im Irak wider". Der Sieg der USA gegen die Neinsager wird beiden Seiten wenig nützen:

(...) Zunächst einmal lässt der neue Beschluss des Sicherheitsrats fast alles beim Alten: Die Amerikaner behalten die militärische Macht im Irak – jetzt allerdings mit einem UN-Mandat. Die Amerikaner behalten auch die politische Macht – und das, solange sie wollen, denn einen Zeitplan für die Übergabe der Souveränität an die Iraker enthält die Resolution nicht. Die Vereinten Nationen bleiben derweil ein kraftloser Gehilfe, der keine Entscheidungsbefugnisse hat, aber kräftig beim Aufbau helfen soll. Am Ende könnten sie für Amerika einen prima Sündenbock abgeben, wenn es weiter schief läuft im Irak.
Washington hat also alles erreicht, was es wollte – aber nur auf dem Papier. In der Praxis nämlich wird sich diese Irak-Resolution als ziemlich wertarm erweisen. Die USA wollten endlich den Weg freimachen für Geld und Truppen aus dem Ausland. Doch diese Hilfe wird nur spärlich kommen. Deutschland, Frankreich und Russland haben ihrem leisen Ja bereits ein lautes Aber hinterhergeschickt. Die Resolution werde der Lage im Irak nicht gerecht, argumentieren sie unisono. Deswegen wollten sie sich weder militärisch engagieren noch Geld zuschießen. Von Pakistan, auf dessen Waffenhilfe die Amerikaner schielten, ist Ähnliches zu vernehmen. Man stimme zu, schicke aber erst einmal keine Soldaten, meinte der UN-Botschafter Islamabads.
Nach ihrem Triumph in New York könnten die Amerikaner so schon auf der Irak-Geberkonferenz kommende Woche in Madrid in die Realität zurückgeholt werden. Die Summen, die sie brauchen, erhalten sie nicht. Vor allem die Europäische Union wird keinen Anlass sehen, ihren putzig kleinen Beitrag deutlich aufzustocken. Niemanden kann das überraschen. Denn warum sollten Amerikas Freunde in ein Irak-Unternehmen investieren, dessen bisherige Ausrichtung sie für verfehlt halten und auf dessen künftige Strategie sie keinen Einfluss haben? Kein vernünftiger Investor würde dies tun. Berlin, Paris und Moskau müssen sich aber fragen lassen, warum sie dann dieser Resolution zugestimmt haben. Ein Nein wäre ehrlicher gewesen – oder zumindest eine Enthaltung.
(SZ, 17.10.2003)

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Für Clemens Wergin (Tagesspiegel, Berlin) steht immerhin ein Sieger fest: Colin Powell. Er habe sich im inneramerikanischen Machtkampf zwischen Außen- und Verteidigungsministerium durchgesetzt. Und es sei gut, dass die Neinsager nun zugestimmt hätten. Wo aber ansonsten das Positive der Resolution ( ein" Kompromiss, der niemanden zufrieden stellt") liegen soll, weiß aber auch er nicht so recht zu bestimmen:

(...) Die Kritiker standen vor der Wahl, prinzipientreu zu bleiben oder einzusehen, dass der Verhandlungsspielraum ausgereizt war. Eine Enthaltung Deutschlands und Frankreichs hätte eine zweite Resolution nicht verhindert, diese aber in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt. Daher ist es zu begrüßen, dass Berlin und Paris einlenken. Alles andere wäre unkonstruktiv gewesen – und hätte den Irakern mehr geschadet als genutzt.
<(...) Trotz der Einigung bleibt auf beiden Seiten des Atlantiks Bitterkeit zurück. In Amerika hatte man nicht erwartet, dass die Kriegsgegner sich erneut so in die Irakfrage verbeißen würden. Manche Kommentatoren witterten schon einen diplomatischen Abnutzungskrieg mit dem Ziel, Bushs Wiederwahl zu gefährden. Auf der anderen Seite bleiben die Alteuropäer dabei, dass auch die zweite Resolution die Ursünde des amerikanischen Krieges gegen den Irak nicht heilen kann. Die transatlantische Kluft bleibt bestehen.
Tagesspiegel, 17.10.2003

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"Dass sich die Kriegsgegner für die neue Irakresolution durchgerungen haben, ist für die USA die beste Nachricht seit langem", schreibt Gudrun Harrer im Wiener "Standard". Mehr aber auch nicht:

(...) Mit 15 Ja-Stimmen - das schwer unter Druck stehende Syrien wollte zuletzt nicht allein übrig bleiben - ist nun die neue Irakresolution ein klares politisches Statement des Sicherheitsrates: Für Stabilisierung und Wiederaufbau des Irak ist internationale Zusammenarbeit nötig.
Das ist viel und wenig zugleich: Die Hoffnung der USA, dass sich dieses politische Statement nächste Woche bei der Irak-Geberkonferenz in Madrid eins zu eins in bare Münze umwandeln lässt oder dass Deutschland und Frankreich in Bälde ihre Irakbrigaden in Marsch setzen, wird sich nicht erfüllen. Inhaltlich ist man noch zu weit auseinander. Washington ist den Kriegsgegnern weder was die konkrete Rolle der UNO noch was einen Zeitplan zur Machtübergabe im Irak betrifft entgegengekommen. Dafür haben die USA der Aufwertung der Rolle des Sicherheitsrats bei der multinationalen Iraktruppe zugestimmt: Er wird nach einem Jahr deren Mandat überprüfen, das automatisch mit der Bildung einer irakischen Regierung ausläuft.
(...) Bis dahin ist aber noch ein langer Weg: Nicht nur Gewalt und Terrorismus, auch die großen Differenzen der verschiedenen gesellschaftlichen, ethnischen und religiösen Gruppen im Irak bleiben.
(DER STANDARD, 17.10.2003)

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"Die Uno wartet ab", ist der Kommentar in der Neuen Zürcher zeitung überschrieben. Und genauso abwartend gibt sich der Kommentator "jbi":

(...) Weder vor noch nach dem Krieg im Irak haben die Beratungen und Beschlüsse des Sicherheitsrats eine effektive Wirkung auf das Geschehen gehabt. Der Beschluss der Russen, Franzosen und Deutschen, diese Resolution zu unterstützen, dürfte auch aus dieser Erkenntnis kommen. Die Einstimmigkeit, mit der sie verabschiedet wurde, macht nichts anderes, als die Uno im Ringen um den Irak für den allfälligen Zeitpunkt zu bewahren, in dem diese eine tatsächliche Wirkung entfalten kann. Denn der Tag, an dem die Vereinten Nationen die "vitale" Bedeutung erhalten, die heute bloss auf dem Resolutionspapier steht, kann immer noch kommen.
(Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2003)

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Was sagen die regionalen Blätter? Unterschiedliches! Die Lübecker Nachrichten sehen alles sehr rosig, denn:

"Die drei hartnäckigsten Gegner des Irak-Krieges, Deutschland, Frankreich und Russland, haben mit ihrer Zustimmung zur Irak-Resolution 1511 der UNO klar gemacht, dass bei ihnen die Vernunft gesiegt hat. An den Fakten können sie nichts mehr ändern. Das Sagen in der Irak-Politik haben die USA und Großbritannien. Positiven Einfluss auf die Entwicklung in dem Land können Berlin, Paris und Moskau nur nehmen, wenn sie den Wünschen der US-Regierung entgegenkommen."
(Lübecker Nachrichten, 17.10.2003)

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Weitaus kritischer - wie so oft in außenpolitischen Fragen - argumentiert das Hamburger Abendblatt. Die USA hätten "so gut wie alles bekommen, was sie wollten":

(...) Erstmals in der UNO-Geschichte wird eine Armee, die ohne Mandat des Sicherheitsrates ein Land eroberte, im Nachhinein zu einer multinationalen Friedenstruppe umgewidmet - unter dem uneingeschränkten Kommando der USA. Zugleich werden alle Regierungen aufgerufen, tief in die Steuerkassen zu greifen und den Wiederaufbau im Irak mitzufinanzieren.
(...) Paris, Moskau und Berlin verabschiedeten sich von der einst so lautstark geforderten zentralen Rolle für die UNO im Irak. Auch die Festschreibung eines Zeitplans für die Übertragung der Souveränität an die Iraker strichen sie aus ihrem Forderungskatalog. Übrig blieb der Wunsch, dass die Besatzungsmacht wenigstens zu einem bestimmten Datum einen Plan für die Übertragung der Regierungsverantwortung vorlegen sollte.
Selbst das wurde in Washington vom Tisch gewischt. Als größtes Zugeständnis verkauften es US-Diplomaten, dass der - von der Besatzungsmacht kontrollierte - provisorische Regierungsrat in Bagdad bis zum 15. Dezember einen Plan für eine Verfassung und für Wahlen vorlegen soll. Bis zum Ende dieses Prozesses werden die Besatzer am Ruder bleiben.
(Hamburger Abendblatt, 17.10.2003)


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