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Sündenbock UN?

Washington versucht, für die Katastrophe im Irak die Vereinten Nationen verantwortlich zu machen

Von Thalif Deen (IPS), New York *

Kritiker des Irak-Kreuzzuges der USA gehen davon aus, daß Washington die von der US-Regierung zu verantwortende Katastrophe im Irak auf die Vereinten Nationen abwälzen wird. Sie vermuten, daß die regierenden Republikaner noch vor den Wahlen im November die schlechte Presse loswerden wollen und warnen die UN vor einem neuen Dauerkonflikt wie dem zwischen Israelis und Palästinensern. Vorerst hat UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der die US-Administration unter George W. Bush noch vorsichtiger behandelt als sein Vorgänger Kofi Annan, im März in Bagdad lediglich unterstrichen, die UNO würde ihre Präsenz im Irak verstärken, sobald sich die militärische und politische Lage dort verbessert habe.

Seit eine Bombenexplosion im UN-Hauptquartier in Bagdad im August 2003 22 Menschenleben forderte, darunter das des Sondergesandten Sergio Vieira de Mello, haben die Vereinten Nationen ihre Aktivitäten im Irak deutlich zurückgefahren. Zur Zeit sind die meisten für den Irak zuständigen UN-Kräfte auf Zypern und in Jordanien stationiert. Zu denjenigen, die damit rechnen, daß US-Präsident Bush sich bald an die UN wenden wird, damit sie ihn aus dem Irak-Dilemma herausreißen, gehört Norman Solomon, der Leiter des »Institute for Public Accuracy« (IPA) in Washington, eine Einrichtung, die für eine unverfälschte Informa­tionsgebung der Öffentlichkeit eintritt.

»Die USA haben den Irak in ein Schlachthaus verwandelt und den Vereinten Nationen mit der Verletzung der UN-Charta durch die Irak-Invasion und den Druck auf den Sicherheitsrat, damit er den Einmarsch nachträglich stützt, massiv geschadet«, so Solomon. Es erscheine ihm aus Sicht der USA logisch, sich von den UN nach fünf gescheiterten Jahren im Irak jetzt aus dem Dreck ziehen zu lassen.

Ein solches Vorgehen ist auch nach Einschätzung von Mouin Rabbani vom Middle East Report in Washington denkbar. Ihn erinnert die aktuelle Situation im Irak fatal an die Lage in Palästina in den 40er Jahren. In beiden Fällen sei eine Großmacht – im Falle Palästinas war es Großbritan­nien – außerstande gewesen, eine Besatzung gegen die lokale Opposition durchzuhalten. 1947 hätten die Briten die Palästinafrage an die UN übergeben, sie wiederum hätten die Teilung des Territoriums befürwortet und damit den Grundstock für Jahrzehnte des Konflikts gelegt.

»Noch ist nicht klar, ob die USA 2007 nach diesem Vorbild handeln werden. Unklar ist auch, wie die UN von heute reagieren«, so der Nahostexperte. Man könne nur hoffen, daß die UNO aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe und sie nicht wiederhole. Die Situation im Irak könnte in eine Katastrophe münden, die noch gravierender ausfalle als der Nahostkonflikt. Hoffen läßt Rabbani die Tatsache, daß der UN-Sicherheitsrat mit der Irak-Invasion alles andere als einverstanden war, daß der ehemalige UN-Chef Annan den Krieg sogar als »illegal« bezeichnet hat und viele Mitarbeiter der Weltorganisation eine Aversion dagegen haben, als Instrumente der Washingtoner Politik mißbraucht zu werden. Außerdem geht er davon aus, daß die USA den UN keine wirklich autonome Rolle im Irak überlassen werden.

Solange dies nicht der Fall ist, sieht auch Solomon wenig andere Möglichkeiten für die UN im Irak als die, das Leid zu lindern. Sollte Washington aber alle Aktivitäten des Pentagon im Irak einstellen und den UN dort freie Hand lassen, so könnten die Vereinten Nationen eine sehr konstruktive Rolle spielen. »Die grausame Wahrheit aber ist, daß es der US-Regierung im Irak auf Krieg und nicht auf Frieden ankommt«, so Solomon. Erst wenn sich diese Einstellung geändert habe, könnten die UN agieren. Zuvor aber würde sie ein Engagement im Irak an der Seite der USA nur noch weiter diskreditieren.

* Aus: junge Welt, 19. Juni 2007


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