Islamisches Recht plus Demokratie
Irakischer Verfassungsentwurf ambivalent / Spaltung der Gesellschaft befürchtet
Von Karin Leukefeld*
Während gewaltsame Auseinandersetzungen
zwischen rivalisierenden schiitischen
Gruppen die Verfassungskrise
in Irak verschärft haben, wurden wurden
große Teile des bisherigen Entwurfs
der Konstitution bekannt.
Irak soll zukünftig »Irakische Republik
« heißen und »republikanisch,
parlamentarisch, demokratisch
und föderal« regiert werden.
»Der Islam ist die offizielle
Staatsreligion« und auch
»die Hauptquelle der Rechtsprechung
«. »Kein Gesetz« darf erlassen
werden, dass den »festgeschriebenen
Prinzipien des islamischen
Rechts« oder den »Prinzipien
der Demokratie« widerspricht. Allerdings
darf auch kein Gesetz »den
Grundrechten und Freiheiten« widersprechen,
»die verfassungsmäßig
garantiert sind«.
Die islamische Identität wird in
dem Dokument ebenso garantiert
wie die Freiheit der Religionsausübung.
Jeder hat das Recht, seine
Religion selber zu wählen. Irak sei
»ein Vielvölkerstaat mit verschiedenen
Religionen und ist Teil der islamischen
Welt, die Araber in Irak
sind ein Teil der arabischen Nation
«, heißt es weiter.
Die irakische Regierung soll die
Einheit des Landes, Sicherheit, Unabhängigkeit,
Souveränität und Demokratie
wahren. Öl und Gas »sind
Eigentum aller Iraker in den Regionen
und Provinzen«. Die Zentralregierung
ist für die Ölförderung zuständig,
teilt sich diese Aufgabe
aber mit »den Regierungen der Regionen
und Provinzen, in denen Öl
gefördert wird«. Das Öleinkommen,
so ist festgelegt, muss gleichmäßig
an alle Iraker verteilt werden.
Zum Thema Föderalismus heißt
es, dass eine oder mehrere Provinzen
sich per Referendum zu einer
Region zusammenschließen können,
die mit einem parlamentarischen
Gremium eine eigene Verfassung
und eigene Gesetze erlassen
kann. Beides darf nicht der zentralen
irakischen Verfassung und Gesetzgebung
widersprechen.
Die beiden offiziellen irakischen
Sprachen für die Regierungsgeschäfte,
in Behörden und Schulen
sollen arabisch und kurdisch sein.
Jede Region kann sich aber per Referendum
für die eigene offizielle
Sprache entscheiden.
Frauen sollen auch weiterhin 25
Prozent der Sitze im Parlament einnehmen.
Artikel 20 garantiert, dass
alle Iraker gleich sein sollen vor
dem Gesetz »ungeachtet von Geschlechts,
Volkszugehörigkeit, Nationalität,
Hautfarbe, Religion,
Glaube, Überzeugung, sozialer oder
ökonomischer Herkunft«.
Weiter heißt es: »Bürger, Männer
und Frauen, haben (...) alle politischen
Rechte«, inklusive aktivem
und passivem Wahlrecht. Rede-,
Meinungs- und Versammlungsfreiheit
werden ebenso garantiert wie
das Recht, Parteien zu bilden. Ausgenommen
davon ist allerdings die
Baath-Partei, was nicht nur von
sunnitischer Seite kritisiert wird.
Die Arbeit des obersten Gerichtshofs
wird per Gesetz geregelt.
Zu den Mitgliedern zählen auch
islamische Kleriker, Richter und Experten
der Scharia, heißt es in Artikel
90. Wie viele es sein werden und
welche Rechte sie haben, soll ebenfalls
das Gesetz regeln, das mit einer
Zweidrittelmehrheit vom Parlament
angenommen werden muss.
Besonders die Sunniten kritisieren
den Entwurf, der ihrer Meinung
nach wesentliche Punkte wie das
Verhältnis zwischen Zentralregierung,
Provinzen und Regionen nicht
ausreichend klärt. Wenn im Oktober
drei Provinzen die Verfassung
ablehnen, gilt sie als gescheitert.
»Dieser Entwurf wird zu einer
Spaltung der Gesellschaft führen«,
befürchtet Saleh al-Mutlak, der zu
der sunnitischen Verhandlungsgruppe
gehört. »99 Prozent der
Sunniten sind damit nicht zufrieden,
er wird beim Referendum
scheitern.«
Grabenkämpfe
Von Olaf Standke
Bis Mitternacht sollte dem Bagdader Parlament einen kompletter Verfassungsentwurf vorgelegt werden. Der Termin wurde schon verschoben, und auch die letzte Frist stand unter keinem günstigen Stern. Selbst wenn sich die zerstrittenen Fraktionen in letzter Minute noch geeinigt haben sollten – nach den vergangenen Monaten muss man sich fragen, wie ein einvernehmliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen künftig überhaupt möglich sein soll, zumal auch die Zukunft der Besatzungstruppen offen bleibt.
Da ist z.B. die Frage, welche Rolle der Islam in der Rechtsprechung spielen wird. Da sind die starken Autonomiebestrebungen des kurdischen Landesteils und die Vorbehalte der einst unter Saddam Hussein dominierenden, heute aber eine Minderheit bildenden Sunniten, die sich strikt gegen eine föderale Staatsstruktur wenden. Das eine wie das andere hat nicht nur politische Gründe. Hier geht es auch um die Verteilung der nationalen Reichtümer, vor allem darum, wer sich welches Stück vom großen Ölkuchen abschneiden darf.
Doch gerade die letzten Stunden haben noch einmal gezeigt, dass die Gräben noch weitaus komplizierter verlaufen. Die Schiiten stellen zwar mit rund 60 Prozent die Bevölkerungsmehrheit, sind aber bis hin zum bewaffneten Bruderkampf zerstritten. Auch gestern forderten die Auseinandersetzungen rivalisierender Milizen wieder diverse Opfer. Es ist in mancherlei Hinsicht Fünf vor Zwölf im Zweistromland.
* Beide Texte (Bericht und Kommentar) aus: Neues Deutschland, 26. August 2005
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