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Irak sondert mehr als 500 Kandidaten aus

Mutmaßliche Baathisten sollen nicht antreten

Von Karin Leukefeld *

Der Ausschluss hunderter Kandidaten und einer Reihe von Parteien von den Parlamentswahlen am 7. März sorgt in Irak für heftigen Streit. Den Ausgeschlossenen wird Nähe zur verbotenen Baath-Partei vorgeworfen. Die von Ministerpräsident Nuri al-Maliki angestrebte nationale Versöhnung scheint gescheitert.

511 Personen, berichten irakische Medien, sollen von der Parlamentswahl qm 7. März ausgeschlossen werden, weil sie der in Irak verbotenen Baath-Partei nahestehen, angehören oder zu Zeiten Saddam Husseins angehört haben sollen. Die Entscheidung wurde von Hamdia Husseini, Sprecherin der Unabhängigen Wahlkommission in Irak, vor einer Woche bekannt gegeben und basiert ihren Angaben zufolge auf einer Anordnung des »Komitees für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht«.

In mehreren Städten gingen am vergangenen Donnerstag tausende Schiiten auf die Straße, um die Entscheidung der Wahlkommission zu unterstützen. An einer Demonstration in Kerbela nahmen etwa 4000 Menschen teil, in Basra rund 1000, in Nadschaf mehrere Hundert. Nachdem bei Anschlägen in Nadschaf elf Menschen getötet und Dutzende verletzt worden waren, wurden angebliche Anhänger der Baath-Partei aufgefordert, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen.

Bei jenem »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« handelt es sich um eine Nachfolgeorganisation des »Entbaathifizierungskomitees«, das von der US-amerikanischen Besatzungsbehörde nach 2003 eingerichtet worden war. Die Arbeit dieses Komitees war vom Parlament nicht verlängert worden, zumal die Regierung Al-Malikis bei Amtsantritt noch einen Dialog mit ehemaligen Baathisten angekündigt hatte. Der aber wurde nie aufgenommen.

Das »Komitee für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht« arbeitet demnach ohne parlamentarische oder gesetzliche Grundlage. Seine Mitglieder rekrutieren sich aus den Reihen des Obersten Islamischen Rates in Irak (SIIC), der Anfang der 80er Jahre als Exilorganisation irakischer Schiiten im benachbarten Iran gegründet wurde.

6500 Kandidaten und 86 politische Parteien und Wahlbündnisse haben sich zu den Wahlen angemeldet. Die ausgeschlossenen Kandidaten können gegen die Entscheidung Einspruch bei einer dreiköpfigen Schiedskommission erheben, die allerdings erst noch eingesetzt werden muss. Auch den Spitzenkandidaten und Vorsitzenden der neu gegründeten Nationalen Front für den Dialog, den Abgeordnete Saleh al-Mutlak, traf der Bannstrahl des selbst ernannten Gerechtigkeitskomitees.

Der Sunnit Mutlak gilt als scharfer Kritiker der Regierung Nuri al-Malikis und hatte seine Front Ende 2009 gemeinsam mit dem schiitischen Politiker Ijad Allawi gegründet. Ziel der neuen Partei ist es, den religiös ausgerichteten Parteien eine säkulare Alternative gegenüberzustellen. Allawi war 2004 von der US-amerikanischen Besatzungsbehörde als erster provisorischer Regierungschef eingesetzt worden.

Ijad Jamal al-Din, Vorsitzender der kleinen Ahrar-Koalition schiitischer und sunnitischer Parteien, forderte Washington jetzt auf, einzugreifen »und den demokratischen Prozess in Irak wieder auf den richtigen Kurs zu bringen«. Von 200 Kandidaten seiner Koalition wurden 20 durch das Komitee ausgeschlossen. USA-Vizepräsident Joe Biden, der Ende vergangener Woche in Bagdad weilte, erklärte jedoch: »Das müssen die Iraker entscheiden, nicht ich.«

Die USA sehen den Ausschluss vor allem sunnitischer Kandidaten von den Wahlen durchaus kritisch. Denn die Obama-Regierung hat kein Interesse an einem Wiederaufflammen sunnitisch-schiitischer Kämpfe. Das könnte den geplanten Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Irak im Jahr 2011 gefährden. Der Ausschluss Mutlaks hatte zu heftigen Protesten nicht nur unter den Sunniten geführt. Denn er und Allawi treten für eine überkonfessionelle Politik ein, die viele im traditionell säkular geprägten Irak den religiös ausgerichteten schiitischen oder islamistischen Parteien vorziehen.

Um den Konflikt zu entschärfen, hat sich der Präsident eingeschaltet. Der ganze Streit sei übertrieben, meinte Dschalal Talabani. Er habe »Bruder Medhat al-Mahmud« gebeten, die Legitimität des Komitees und seiner Entscheidungen zu überprüfen. Mahmud ist Vorsitzender des Obersten Gerichtshofes.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2010


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