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Wahlen ohne Frieden

Der Syrien-Krieg wirkt sich auch auf den Irak aus – trotzdem wird in zwei Grenzprovinzen seit Donnerstag über neue Regionalparlamente abgestimmt

Von Karin Leukefeld *

Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen haben am Donnerstag in zwei irakischen Provinzen die nachgezogenen Wahlen zu den Provinzparlamenten begonnen. Etwa 2,8 Millionen Wahlberechtigte sollen in den Provinzen Anbar und Niniveh darüber entscheiden, welche der 1185 Kandidaten und Kandidatinnen sie in den kommenden vier Jahren vertreten sollen. 44 Parteien konkurrieren um insgesamt 69 Parlamentssitze. Die Provinzparlamente ernennen den Gouverneur, der für die Finanzen, Verwaltung, Wiederaufbauprojekte und die Kontrolle der lokalen Verwaltungen zuständig ist. In beiden Provinzen waren die Wahlen von April auf Juni verschoben worden, weil es massive Auseinandersetzungen zwischen der Zentralregierung in Bagdad und verschiedenen oppositionellen Gruppen in den Provinzen gab. Nach Angaben der UN-Mission für Irak war der Wahlkampf von Gewalt und zahlreichen Anschlägen überschattet, neun Kandidaten wurden ermordet. Um Gewalt am Wahltag zu verhindern, wurde in der Provinz Niniveh ein landesweites Fahrverbot verhängt. Am Mittwoch abend waren ein lokaler Stammesführer und vier seiner Angehörigen bei einem Attentat getötet worden. Fast täglich wird der Irak von Explosionen erschüttert. Allein im Mai starben nach UN-Angaben 1000 Menschen bei Anschlägen.

Um die Provinz Niniveh mit der Hauptstadt Mossul streitet sich die Zentralregierung mit den Kurden, die die Kontrolle über das ethnisch und religiös gemischte Gebiet beanspruchen. In der Provinz Anbar leben mehrheitlich sunnitische Anhänger der oppositionellen Irakischen Islamischen Partei. Sie werfen Regierungschef Nuri Al-Maliki die gezielte Ausgrenzung und Verfolgung von Sunniten vor. Al-Maliki, der der schiitischen Dawa-Partei angehört, weist die Vorwürfe zurück. Die Provinzwahlen gelten als Gradmesser für die im kommenden Jahr stattfindenden Parlamentswahlen. Seit den letzten Parlamentswahlen im März 2010 ist die Regierungsführung von Al-Maliki umstritten. Sein autoritärer und von Mißtrauen geprägter Regierungsstil hat das Land tief gespalten. Am 11. Juni wurde bekannt, daß 1070 kurdische Soldaten aus der irakischen Armee desertiert sind. Auslöser war offenbar eine Militäroperation in der ölreichen Provinz Kirkuk, deren Übernahme von den Kurden angestrebt wird.

Seit Anfang 2012 wird der Irak zudem zunehmend in den Krieg in Syrien gezogen. Bei der Arabischen Liga und international hat Bagdad für Verhandlungen in Syrien und gegen die militärische Eskalation plädiert. Der US-Geheimdienst warf Bagdad wiederholt vor, iranische Waffenlieferungen an die syrische Armee nicht zu unterbinden. Syrien verweist dagegen auf das Einsickern radikaler Islamistengruppen aus dem Irak. Die Nusra Front erklärte kürzlich, mit Al Qaida im Irak alliiert zu sein. Die Provinzen Anbar und Niniveh bilden die Grenze zwischen Irak und Syrien. Viele der sunnitischen Anbar-Stämme unterstützen islamistische Gruppen im Norden und Osten Syriens mit Geld, Waffen und weiteren Kämpfern.

Aus politischen und geostrategischen Überlegungen bildet der Irak heute ein Bündnis mit Iran und Syrien, das von Rußland und China unterstützt wird. Im Westen wird diese regionale Allianz als »schiitischer Machtbogen« dargestellt. Damit wird ein religiöser Widerspruch zwischen dem Bündnis und seinen Nachbarstaaten vermittelt: Gegen die »schiitischen Machthaber« würde in Syrien die sunnitische Mehrheitsbevölkerung aufbegehren und von ihren Religionsbrüdern in den Nachbarstaaten unterstützt. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verwies der syrische Präsident Baschar Al-Assad kürzlich auf den »unkontrollierbaren Dominoeffekt«, der auftreten würde, sollte das geostrategisch wichtige Syrien entlang religiöser und ethnischer Grenzen geteilt werden, wie manche westliche Planspiele es vorsehen. Ein solcher Prozeß würde sich nicht mehr stoppen lassen und zu »unzähligen Kriegen im Nahen Osten und möglicherweise anderswo« führen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Juni 2013


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