Terrorfurcht vor den Märzwahlen in Irak
Nach weniger blutigem Jahr 2009 droht neue Gewaltwelle
Von Karin Leukefeld *
Erneut starben in den vergangenen Tagen in Irak Menschen nach
Bombenattentaten. Das Jahr 2009 endete schlimmer, als es begonnen hatte.
Bei einem Doppelanschlag in Ramadi, Hauptstadt der im Westen Iraks
gelegenen Provinz Anbar, wurden am Mittwoch (30. Dez. 09) mindestens 30
Menschen getötet. An einer belebten Verkehrskreuzung sprengte sich ein
Selbstmordattentäter mit seinem Fahrzeug in die Luft. Als daraufhin der
Provinzgouverneur mit seinem Krisenstab herbeieilte, zündete einer der
Leibwächter seinen Sprengstoffgürtel. Ramadi ist die Hauptstadt der
mehrheitlich von Sunniten bewohnten Unruheprovinz El Anbar und galt nach
der USA-geführten Invasion in Irak 2003 als Hochburg islamischer
Aufständischer.
Im Vergleich zu vergangenen Jahren ist die Zahl der durch Gewalt
Getöteten 2009 jedoch erheblich gesunken. 2006 waren 34 452 Menschen
getötet worden, im Jahr darauf 17 783. Die in Großbritannien ansässige
Organisation Iraq Body Count (IBC) zählte 2008 noch 9226 getötete
Zivilisten, 2009 dagegen 4497. Zu befürchten sei jedoch, dass die
Opferzahl auf diesem Niveau bleibt, denn in der zweiten Jahreshälfte
wurde kein Rückgang gegenüber dem ersten Halbjahr beobachtet.
Safa Hussein, Sicherheitsberater der irakischen Regierung, sieht vor
allem in einer Allianz zwischen Al Qaida und ehemaligen Mitgliedern der
Baath-Partei die größte Gefahr für Irak, wie er AFP in Bagdad erklärte.
Al Qaida habe zwar nur noch etwa 2000 Kämpfer im Land, doch sei der
Einfluss der Baathisten auf die Gruppe gestiegen. Finanziert würde Al
Qaida in Irak von »reichen Familien in Saudi-Arabien«, während Syrien
vor allem als Transitland diene. Die syrische Regierung dementiert das,
auch das US-Militär, das auf irakischer Seite entlang der Grenze
stationiert ist, bescheinigt Syrien eine gute Grenzkontrolle.
Sicherheitsberater Hussein zeigt sich überzeugt, dass Baathisten bei den
schweren Anschläge gegen Regierungsgebäude im August, Oktober und
Dezember die Fäden zogen. Vor den für März in Irak geplanten Wahlen
erwartet er eine Zunahme der Gewalt, deren Ziel es sei, die politische
Führung des Landes als schwach darzustellen, um davon zu profitieren. Es
gebe zwar keine Baath-Partei mehr in Irak, »aber ich bin überzeugt, dass
es in einigen Gruppen und Parteien Personen gibt, die von den Baathisten
unterstützt werden«, sagte Hussein.
Während Politiker in Irak fast täglich vor einer Eskalation der Gewalt
vor den Wahlen warnen, scheint die Bagdader UNO-Vertretung in einem
anderen Land zu residieren. In ihrem »Humanitären Aktionsplan für Irak
2010« verortet sie das Land »im Übergang zwischen Krise und Erholung«.
Die Gewalt lasse nach, die Regierungskapazitäten verbesserten sich, neue
Vertreibungen gebe es nicht.
Diese Einschätzung können viele Iraker nicht teilen. Flüchtlinge, die
dem Ruf der Regierung nach Rückkehr gefolgt waren, fliehen erneut, weil
sie in ihrer Heimat weder Unterkunft noch Arbeit finden und mit Hunger
und Kriminalität konfrontiert sind. Minderheiten im Norden des Landes
klagen über Gewalt, in Krankenhäusern fehlen Medikamente und technische
Geräte, und auch sieben Jahre nach Beginn der USA-Invasion kommt der
Strom nicht aus dem nationalen Energienetz, sondern aus Generatoren, die
teuer bezahlt werden müssen. Ob die Wahlen im März eine bessere
Regierungsführung in Irak zur Folge haben werden, ist deshalb äußerst
ungewiss.
* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2010
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