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"Wir kämpfen gegen die Besatzer, egal, wie lange es dauert"

Der irakische Widerstand ist zu Gesprächen mit den USA bereit – allerdings nur über die Modalitäten des Truppenabzugs. Ein Gespräch mit "Abu Mohammed", einem hochrangigen Mitglied der Baath-Partei

Interview: Dahr Jamail *

Bitte erläutern Sie Ihre Position in der Baath-Partei.

Ich bin ein Vertreter der Baath-Partei und des Irakischen Nationalen Widerstandes.

In den westlichen Medienunternehmen wird die Gewalt im Irak meist so dargestellt, als ob die Iraker sich gegenseitig auf Märkten usw. mit Selbstmordattentaten und Autobomben umbringen. Was denken Sie über die Gewalt im Irak?

Tatsache ist, daß der irakische Widerstand seit Beginn der Besatzung seine Operationen ausschließlich gegen die amerikanischen Truppen und ihre Verbündeten richtete. Daß Iraker sich gegenseitig töten und Zivilisten sterben, ist ein Fehler der Invasoren. Es gibt zu viele Parteien im Irak und jede dieser Parteien hat eine eigene Miliz. Einige dieser Milizen werden von den Amerikanern unterstützt, andere von den Zionisten und wieder andere von den Iranern. Aber die Aufgabe des irakischen Widerstandes ist es, die amerikanische Besatzung loszuwerden und nicht Zivilisten zu töten.

Wer ist dann verantwortlich für die Morde an Zivilisten?

Die Milizen und die Invasoren. Verantwortlich sind die Besatzungstruppen und Milizen, die von den Amerikanern, Zionisten und Iranern unterstützt werden. Das Ziel ist, den Widerstand zu verunglimpfen und, schlicht und ergreifend, Iraker zu töten.

Von Freunden in Bakuba habe ich gehört, daß der Widerstand dort auch gegen Al Qaida kämpft. Gibt es so etwas auch in der Anbar-Provinz?

Vor dem US-Einmarsch gab es die Al Qaida im Irak nicht, auch keine der mit ihr verbündeten Gruppen. Al Qaida nahm den Kampf im Irak erst nach der Invasion auf. Wir als Baathisten unterscheiden uns von Al Qaida – sie verfolgen andere Strategien, haben eine andere Taktik, einen anderen Glauben, das ist was völlig anderes. Al Qaida folgt den Amerikanern über die ganze Welt, um sie zu töten. Der irakische Widerstand tötet amerikanische Soldaten im Irak, das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen uns.

US-Politiker haben erklärt, sie führten Gespräche mit dem irakischen Widerstand. Stimmt das?

Die US-Regierung und die amerikanischen Truppen haben sich daran gewöhnt, zu lügen. Sie sind in den Irak einmarschiert, haben Irak ausgeplündert, haben Iraker getötet und alles basierte auf Lügen. Sie haben die frühere Regierung vor ein Gericht gestellt, abgeurteilt und hingerichtet und alles basierte auf Lügen, war illegal. Sie sind wegen Massenvernichtungswaffen einmarschiert, wegen Beziehungen zu Al Qaida und es stellte sich heraus, daß es keine Massenvernichtungswaffen gab und auch keine Beziehungen zu Al Qaida, auch das waren Lügen. Und es ist gelogen, wenn die Amerikaner sagen, sie würden mit dem Widerstand verhandeln. Bis heute gibt es keinen Schritt in Richtung Verhandlungen mit dem Widerstand über die Rechte Iraks. Wenn die Amerikaner aus dem Irak raus und dabei ihr Gesicht wahren wollen, müssen sie mit dem Widerstand und den Führern der Baath-Partei über die Rechte Iraks verhandeln.

Warum sollten sie mit den Führern der Baathpartei verhandeln?

Sie werden mit der Baath-Partei nicht verhandeln, denn die Partei und unser Widerstand sind die stärkste Kraft des Widerstandes im Irak. Natürlich gibt es auch andere Widerstandsgruppen, die wir respektieren. Wir sprechen über den Widerstand der Angehörigen der Baath-Partei und anderer Gruppen. Wenn die Amerikaner mit dem Widerstand verhandeln wollen, können sie mit jeder Gruppe sprechen, die den Widerstand repräsentiert.

Was genau ist der irakische Widerstand, wie setzt er sich zusammen?

Der irakische Widerstand ist ein patriotischer Widerstand von Irakern. Es gibt viele verschiedene Gruppen der islamischen Religionsgemeinschaft. Der Widerstand ist nicht exklusiv in einer Region des Irak aktiv. Es gibt so viele Bereiche. Einige sind Baathisten, andere sind Islamisten. Wir hoffen, daß die nächste Regierung demokratisch sein wird und alle Teile und Religionen der Gesellschaft einbeziehen wird. An einer neuen Regierung müssen alle beteiligt sein.

Wer finanziert den irakischen Widerstand und woher kommen die Waffen?

Im Irak gibt es so viele Waffen. Die Baathisten haben genug, um die nächsten 15 Jahre kämpfen zu können. Und was die Finanzierung betrifft, der Irak ist ein reiches Land, es gibt viele reiche Leute. Wir werden aus dem Irak finanziert.

Was sind die Forderungen des irakischen Widerstandes?

Für uns gilt Befreiung und Unabhängigkeit. Wir fordern nicht, wir haben unsere Rechte. Wir wollen die Rechte des Irak, die fordern wir zurück. Die Rechte unseres Volkes sind für uns die folgenden:
  1. Alle Teile des irakischen Widerstandes sind die einzigen Vertreter des Irak.
  2. Sofortiger und bedingungsloser Abzug der amerikanischen Streitkräfte.
  3. Wiedergutmachung sowohl für den Irak als auch für seine Bewohner, für die Iraker, die seit Beginn der Sanktionen 1991 bis heute getötet wurden. Während der Sanktionen wurden 1,7 Millionen Iraker getötet. Und einem Bericht der Zeitschrift The Lancet zufolge, wurden (seit der Invasion 2003) 655000 Menschen getötet, heute sind es möglicherweise schon eine Million.
  4. Freilassung aller Gefangenen.
  5. Widerrufung aller aktuellen politischen Anordnungen und Zurücknahme der 100 Bremer-Befehle, die während der Amtszeit des Irakischen Regierungsrates erlassen wurden. Nach internationalem Recht ist es illegal, politische Verfahren und Gesetze einzuleiten, während ein Land unter Besatzung ist.
  6. Widerruf aller UN-Resolutionen, die seit Beginn der Sanktionen beschlossen wurden und
  7. müssen alle Verräter Iraks und alle, die mit den Amerikanern kollaboriert haben, vor Gericht gestellt werden.
Das sind die Rechte unserer Nation und wenn die Amerikaner und ihre Verbündeten diese Rechte respektieren, dann können wir uns zusammensetzen. Nicht, um über diese Rechte zu verhandeln, sondern um den Rückzug zu planen und darüber zu diskutieren, wie diese Rechte umgesetzt werden können. Der Widerstand wird fortgesetzt, bis sich die Besatzer zurückziehen, egal, wie lange es dauert und egal, wie viel es kostet.

Wie kann die Krise im Irak gelöst werden?

Das ist unsere Lösung, eine andere haben wir nicht.

Wie werden die Amerikaner Ihrer Meinung nach den Irak verlassen?

Ich habe schon gesagt, es gibt zwei Wege für sie. Der eine Weg ist, die Rechte des Irak anzuerkennen und mit der Baath-Partei, dem Widerstand und seinen Führern darüber zu reden, wie diese Rechte umgesetzt werden können. Dann werden wir ihnen erlauben, einigermaßen würdevoll mit dem, was von ihren Truppen übrig geblieben ist, abzuziehen. Der zweite Weg ist, daß der Widerstand so lange anhält, bis sie sich zurückziehen müssen, ohne ihr Gesicht wahren zu können.

Welche Strategie hat der irakische Widerstand gegenüber dem Iran?

Die Strategie gegenüber dem Iran ist nicht nur, den Irak von den Amerikanern zu befreien, sondern auch von den konfessionellen Eindringlingen und Störenfrieden. Wir wollen den Irak von der Separation, der Aufspaltung und der Erpressung befreien, deren Ursache in der Besatzung liegen. Wir wollen den Irak von Grund auf und radikal befreien.

Was denken Sie über die UNO, die Arabische Liga und die Rolle der Nachbarländer?

Ihre Rolle wird daran gemessen werden, wie sie die Iraker nach einem Abzug der Amerikaner humanitär unterstützen.

Wer ist für die Angriffe gegen die Besatzungstruppen im Südirak verantwortlich?

Der Widerstand ist im ganzen Irak aktiv, vom Norden bis zum Süden. Der Widerstand gegen die britische Armee im Süden ist ausschließlich irakischer Natur und besteht aus einigen Führern der Baath-Partei und Gruppen des Dschihad.

Besteht der Widerstand in seiner Mehrheit aus ehemaligen Armeeangehörigen?

Die meisten der Widerstandskämpfer waren früher beim irakischen Militär.

Was denken Sie über den wachsenden Streit zwischen Schiiten und Sunniten im Irak?

Die Wahrheit ist, daß es diesen sogenannten Streit zwischen Schiiten und Sunniten nicht wirklich gibt. Es hat mit den politischen Zielen zu tun. Schiiten, Sunniten und Kurden haben im Irak seit mehr als 1000 Jahren zusammen gelebt, nie gab es solche Auseinandersetzungen, wie wir sie heute sehen. Der Streit nimmt zu wegen der Eindringlinge und er wird enden, wenn die Besatzer, die Eindringlinge und ihre Verbündeten aus dem Irak verschwinden.

Welche Botschaft haben Sie an die Bevölkerung der USA?

George W. Bush hat Amerika im Irak beleidigt. Ich würde sagen, daß die US-Truppen im Irak erniedrigt werden. Ihre Soldaten weinen in den Straßen von Bagdad und sie werden (militärisch) geschlagen. Bush belügt sie. Die Zahl der amerikanischen Todesopfer ist höher, als man ihnen sagt, um Tausende höher. Das ist meine Botschaft. Und ich würde sie auffordern, ihre Regierung zu drängen, sich aus dem Irak zurückzuziehen, sonst werden sie vernichtet. Außerdem möchte ich sagen, daß sie unsere Rechte respektieren müssen. Wenn sie sich entsprechend des vorher genannten Plans zurückziehen, können wir sagen, daß wir die Amerikaner nicht hassen. Dann sind wir zu guten Beziehungen mit den Amerikanern und ihren Verbündeten bereit.

Und welche Botschaft haben Sie an die Bush-Regierung?

Diese Regierung besteht aus Kriminellen und Lügnern. Sie müssen die Rechte der Iraker respektieren. Wir werden sie für das, was sie im Irak angerichtet haben, vor ein internationales Gericht bringen. Sie müssen ihre Fehler vor der Weltöffentlichkeit und vor dem amerikanischen Volk eingestehen. Sie sollten aufhören, zu lügen, vernünftig sein und ihre Streitkräfte abziehen.

Übersetzung aus dem Englischen: Karin Leukefeld

* Der Journalist Dahr Jamail schreibt regelmäßig für die Nachrichtenagentur IPS, The Asia Times und viele andere Magazine. Reportagen von ihm erschienen unter anderem in The Nation, The Sunday Herald, Islam Online, The Guardian, Foreign Policy, in Focus und The Independent. Er arbeitet zudem für Radiostationen und Fernsehsender. Beiträge werden in zahlreiche Sprachen übersetzt und können auch per E-Mail über seine Internetseite bezogen werden: dahrjamailiraq.com/

Aus: junge Welt, 30. April 2007



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