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UNO: Foltervorwürfe klären

Menschenrechtskommissarin zu Wikileaks-Veröffentlichungen

Nach der Veröffentlichung von Geheimdokumenten über Gewaltexzesse durch US-amerikanische und irakische Soldaten in Irak auf der Website von Wikileaks hat UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay Aufklärung über die dokumentierten Menschenrechtsverletzungen gefordert.

Die Behörden der USA und Iraks müssten den Hinweisen auf illegale Tötungen, Hinrichtungen, Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen nachgehen und mutmaßliche Täter zur Verantwortung ziehen, erklärte Pillay in Genf. Die veröffentlichten Dokumente verstärkten ihre Befürchtung, dass es in Irak schwere Verstöße gegen internationales Recht gegeben habe. Pillay bemängelte zudem, die USA hätten zwischen Anfang 2009 und Juli 2010 Tausende irakische Häftlinge an die irakischen Behörden übergeben, obwohl bekannt gewesen sei, dass ihnen dann die Folter drohe. Aus den US-Dokumenten geht unter anderem hervor, dass Hunderte Zivilisten an US-Straßensperren getötet wurden, häufig wegen eines Missverständnisses. Belegt wird zudem, dass irakische Sicherheitskräfte Häftlinge brutal folterten und dass die US-Armee trotz Kenntnissen darüber oftmals nicht einschritt.

Als Reaktion auf die Wikileaks-Enthüllungen forderte der dänische Regierungschef Lars Loekke Rasmussen vom Verteidigungsministerium einen Bericht über die Fälle an, in denen von dänischen Soldaten gefasste mutmaßliche Aufständische der irakischen Armee übergeben und dann möglicherweise gefoltert wurden. »Ich nehme die Behauptungen sehr ernst und ich habe nur ein Ziel: die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich aufzuklären«, sagte Rasmussen. Forderungen der Opposition nach einer unabhängigen Untersuchung wies er zurück, weil diese »zu lange dauern« würde.

Der dänischen Zeitung »Information« zufolge geht aus den Wikileaks-Dokumenten hervor, dass die dänische Armee während ihres Einsatzes in Irak zwischen 2003 und 2007 mindestens 62 Gefangene an Iraks Streitkräfte übergab. Dänischen Medien sagten in Irak eingesetzte Soldaten, es sei bekannt gewesen, dass den Gefangenen Folter drohe. Bis August 2007 waren in der Region um Basra rund 500 dänische Soldaten unter britischem Kommando im Einsatz.

Das britische Militär hat einem Bericht des »Guardian« zufolge Folterhandbücher zusammengestellt, nach deren Regeln Gefangene in Irak gequält werden sollten. So habe es Anweisungen an die Soldaten der Royal Army gegeben, Gefangene bei Verhören nackt auszuziehen. Wenn sie sich nicht gefügig zeigten, sollten sie nackt bleiben, berichtete das Blatt.

Die Vorwürfe stammen möglicherweise von Mandanten des britischen Menschenrechtsanwalts Phil Shiner. Er vertritt mehr als 100 Iraker, die gegen die britische Armee wegen Taten im Irakkrieg klagen. Shiner arbeitet auch mit Wikileaks zusammen. Die Handbücher sowie eine Powerpoint-Präsentation sollen den Soldaten Hinweise gegeben haben, wie sie die Gefangenen verängstigen, sie zur Erschöpfung bringen und ihnen die Orientierung nehmen können. So sollten Verhöre etwa an abgelegenen Orten wie in Schiffscontainern stattfinden. Um die Gefangenen zu »konditionieren«, sollten Untersuchungen an Genitalien vorgenommen werden. Ein Anweisung von 2008 fordere, Gefangenen nur vier Stunden durchgehend Schlaf zu gönnen. Die Anweisungen könnten einen Verstoß gegen die Genfer Konvention bedeuten, so der »Guardian«. Darin wird Zwang bei Verhören verboten.

Die Vorgaben stammen laut »Guardian« aus der Zeit nach 2003, also nachdem der irakische Hotelpförtner Baha Mousa in britischer Haft gestorben war. Seine Leiche wies 93 unterschiedliche Verletzungen auf. Der Fall ist Gegenstand ein Untersuchung in Großbritannien. Ein Sprecher des Verteidigungsministerium sagte, im Zusammenhang mit dem Fall seien die Verhörmethoden der britischen Armee offengelegt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2010


Folter nach Lehrbuch Von Olaf Standke **

Auch Foltern will gelernt sein. Also ließen die britischen Streitkräfte Handbücher und Power-Point-Präsentationen fertigen, damit ihre Soldaten beim Verängstigen, Demütigen und Misshandeln von Gefangenen alles richtig machen. Nackt ausgezogen und bei den Genitalien gepackt, seien die in Verhören besonders gesprächig, ist so ein Lernsatz der Royal Army, der jetzt auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. 100 Irakis klagen schon gegen die britische Armee wegen derartiger Menschenrechtsverletzungen.

UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hat gestern auch Washington und Bagdad aufgefordert, die Anschuldigungen von Folter und Mord in den von der Enthüllungs-Plattform Wikileaks jüngst veröffentlichten Geheimdokumenten zum Irak-Krieg umgehend zu untersuchen. Doch die USA sträuben sich, das sei eine innerirakische Angelegenheit. Dabei haben die US-amerikanischen Truppen noch in diesem Jahr Tausende Gefangene an das irakische Militär überstellt, obwohl man sehr wohl wusste, dass dort auf die Männer Folter wartet. Aber wer im Glashaus sitzt...

Bis heute sind die politischen Verantwortlichen für die US-amerikanischen Folterexzesse in Irak wie in Afghanistan nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Es ist diese Straflosigkeit, die es so schwer macht, die UN-Anti-Folterkonvention weltweit durchzusetzen. Und selbst viele Staaten, die das Völkerrechtsdokument ratifiziert haben, halten sich nicht an das darin festgeschriebene absolute Folterverbot. So wie die USA und Großbritannien.

** Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2010

Iraq / Wikileaks: statement by the Office of the UN High Commissioner for Human Rights

GENEVA (26 October 2010)– “The files reportedly indicate that the US knew, among other things, about widespread use of torture and ill-treatment of detainees by Iraqi forces, and yet proceeded with the transfer of thousands of persons who had been detained by US forces to Iraqi custody between early 2009 and July 2010. The files also allegedly include information on many undisclosed instances in which US forces killed civilians at checkpoints and during operations.

The information adds to the High Commissioner Navi Pillay’s concerns that serious breaches of international human rights law have occurred in Iraq, including summary executions of a large number of civilians and torture and ill-treatment of detainees.

The US and Iraqi authorities should take necessary measures to investigate all allegations made in these reports and to bring to justice those responsible for unlawful killings, summary executions, torture and other serious human rights abuses, in line with obligations under international human rights law, including the International Covenant on Civil and Political Rights to which both the US and Iraq are parties.

The High Commissioner calls upon Iraq to ratify the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment and its Optional Protocol, which gives the UN Subcommittee on Prevention of Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment the right to visit all places of detention and examine the treatment of persons detained.

High Commissioner Pillay also urges the Iraqi Government to facilitate visits of the United Nations Assistance Mission for Iraq (UNAMI) Human Rights Teams to monitor the human rights situation in detention facilities so that necessary advice and assistance can be provided to the Iraqi authorities.”

Source: Website of the Office of the High Commissioner for Human Rights; www.ohchr.org




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