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Irak-Kriegsfrage: UNO in der Zwickmühle

Kriegsformel gefunden? Andreas Zumach und Rainer Rupp kommentieren den neuesten Stand

Noch kennen wir den genauen Textentwurf der sog. "Kompromiss"-Resolution nicht, den die USA mittlerweile - nach der heftigen Kritik im UN-Sicherheitsrat an ihrer Kriegspolitik - eingebracht hat. Vielles deutet aber darauf hin, dass eine neue Resolution den USA jenen Interpretationsspielraum lässt, den sie auch zum militärischen Zuschlagen nutzen kann. Die beiden Kommentare, die wir im Folgenden dokumentieren, gehen in eine ähnliche Richtung.
Zu den Autoren:
Andreas Zumach war in den achtziger Jahren Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung. Er lebt heute als freier Publizist am UNO-Sitz in Genf. Er ist bekannt für seine kenntnisreichen Hintergrundberichte und Analysen über die Vereinten Nationen (zum 50. Jahrestag ihrer Gründung hat Zumach auch ein Buch über die UNO herausgebracht). Rainer Rupp hat eine etwas andere Biografie. Er arbeitete viele Jahre bei der NATO, wo er, wie sich später herausstellte, als Topspion für die damalige DDR tätig war. Für diese Tätigkeit wurde er rechtskräftig verurteilt und bestraft. Reiner Rupp schreibt seit langem Kommentare und Hintergrundberichte für linke Zeitungen (u.a. die "junge Welt"), in denen sich seine Erfahrungen und sein früheres Insiderwissen niederschlagen.


UNO in der Zwickmühle

Von Andreas Zumach

Heute sollte eine erste Gruppe von Inspekteuren der UNMOVIK nach Bagdad fliegen. So lautete der Plan, den UNMOVIK-Chef Hans Blix nach Gesprächen mit Vertretern der irakischen Regierung noch Anfang Oktober öffentlich verkündet hatte. Mit den vorhandenen Resolutionen des Sicherheitsrates sei eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage für die Wiederaufnahme der 1998 abgebrochenen Inspektionen gegeben, erklärten Blix und UNO-Generalsekretär Kofi Annan damals übereinstimmend.

Inzwischen ist völlig offen, wann die Inspektionen beginnen, ja ob sie überhaupt stattfinden werden. Das ist Ergebnis der ultimativen Kriegsdrohungen, mit denen die USA und Großbritannien den Sicherheitsrat unter Druck setzen, vor einer Entsendung der UNMOVIK nach Bagdad zunächst ihren Entwurf für eine neue Irakresolution zu verabschieden. »Wenn die UNO ihre Verantwortung nicht wahrnimmt, werden wir unilateral gegen Irak vorgehen«, drohte US-Botschafter John Negroponte ganz unverhohlen auf der letzten ordentlichen Sitzung des Sicherheitsrates.

Musste die UNO diesem Druck nachgeben? Nicht zwangsläufig. Dass sie es dennoch tat, ist vor allem Ergebnis einer sehr problematischen Güterabwägung durch Generalsekretär Annan. Nach Einschätzung von Annan und seiner immer schon viel zu stark an den Wünschen Washingtons orientierten Berater wäre ein Alleingang der USA das größte aller denkbaren Übel. Daher ist es oberstes Ziel des Generalsekretärs, sicherzustellen, dass die UNO weiter an der Lösung des Irakproblems beteiligt bleibt. In letzter Konsequenz kann das dazu führen, dass die UNO überhaupt keinen Einfluss mehr hat, und der Sicherheitsrat schließlich lediglich einem Krieg gegen Irak, den die große Mehrheit der 191 UNO-Mitglieder ablehnt, zu dem die USA aber unter allen Umständen entschlossen sind, ein völkerrechtliches Mäntelchen umhängt. Doch ein solches Szenario würde die Institution UNO und das Völkerrecht wahrscheinlich sehr viel nachhaltiger beschädigen, als der von Annan befürchtete Alleingang der USA.

Noch dauern die Verhandlungen über den Text einer neuen Irak-Resolution an. Die Erleichterung über ein angebliches Einlenken der USA, die sich seit Donnerstag ausbreitet, könnte sich als verfrüht erweisen. Nach allen zur Zeit vorliegenden Informationen wäre der sich anbahnende Kompromiss zwischen den USA und Frankreich kaum besser als der bisherige amerikanisch-britische Entwurf. Sicher ist, dass der künftige Kompromisstext fast all die verschärften Regeln und Bedingungen für künftige Inspektionen enthalten wird, die Washington und London in ihren Entwurf geschrieben hatten. Das allein birgt das Risiko, dass Irak seine ausdrücklich auf Basis der bisherigen Resolutionen und unter Ablehnung neuer Bedingungen erteilte Zustimmung zu neuen Waffeninspektionen wieder zurücknimmt. Dann wäre ein Kalkül aufgegangen, aus dem zumindest Vertreter der Bush-Administration in den letzten Wochen kein Hehl gemacht haben.

Mit Blick auf die Androhung von und die Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen gegen Irak wird in dem Kompromisstext zwar mit Sicherheit der von Frankreich, Russland und China abgelehnte »Automatismus« vermieden werden. Das dürfte Paris als großen diplomatischen Erfolg verbuchen. Entscheidend aber wird sein, was eine neue Resolution für den Fall vorsieht, dass die UNMOVIK einen irakischen Verstoß gegen Auflagen des Sicherheitsrates feststellt. Soll der Rat dann erneut zusammentreten und über das weitere Vorgehen einen zweiten formalen Beschluss fassen? Oder muss der Rat lediglich »konsultiert« werden, bevor die USA und andere hierzu willige Staaten militärische Maßnahmen gegen Irak beginnen können? Bislang lassen zahlreiche Informationen aus dem Kreis der Unterhändler befürchten, dass sich die zweite Variante durchsetzt. Sollte sich diese Befürchtung schließlich bewahrheiten und ein entsprechender Resolutionstext vom Sicherheitsrat möglicherweise gar einstimmig verabschiedet werden, würden dies zunächst sicher sowohl Frankreich wie die USA und auch Generalsekretär Annan als Erfolg ihrer Bemühungen verbuchen. Der Krieg gegen Irak mit einem zumindest indirekten Segen der UNO wäre damit allerdings vorprogrammiert.

Aus: Neues Deutschland, 19. Oktober 2002

Kriegsformel nach bekanntem Muster

Von Rainer Rupp

Die entscheidenden Fragen zwischen den USA, Frankreich und Rußland seien geklärt, heißt es in diplomatischen Kreisen im UNO-Hauptquartier in New York. Nach wochenlangem Tauziehen zwischen den fünf Vetomächten im Weltsicherheitsrat zeichne sich nun eine Einigung über eine neue Irak-Resolution ab. Die Vereinigten Staaten hätten einen Kompromiß angeboten, der die Unterstützung Frankreichs, Rußlands und Chinas erhalten könne. In der Tat verzichtet Washington auf die bisher geforderte Blanko-Vollmacht zum Angriff. Statt dessen erklärten sich die USA bereit, den Bericht der Waffeninspekteure abzuwarten oder die Krise zumindest mit dem Weltsicherheitsrat zu erörtern. Verzichtet wird offenbar auch auf die bisherige Forderung, daß bewaffnete US-Soldaten die UN-Waffeninspektoren im Irak begleiten. Der französische UN-Botschafter Jean-David Levitte hatte diese Forderung am Donnerstag in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat als Provokation der Iraker zurückgewiesen.

Frankreich gibt vor, in dem neuen US-Entwurf seinen eigenen Zwei-Stufen-Plan verwirklicht zu sehen und hat sich mit ihm »im Prinzip« einverstanden erklärt. Sobald einige andere Fragen geklärt seien, wolle man auf die Vorlage des eigenen Resolutionsentwurfs verzichten. Französische Diplomaten zeigten sich erfreut darüber, daß der Begriff »mit allen notwendigen Mitteln«, der synonym für Kriegsmaßnahmen steht, aus dem Resolutionsentwurf der USA verschwunden ist. Statt dessen wurde die Formel eingebaut, daß Irak einen »materiellen Bruch« der Vereinbarung mit den Vereinten Nationen begeht, wenn es eine UN-Resolution verletzt. Das, so erläuterte ein namentlich nicht genannter, hochrangiger Vertreter des Weißen Hauses, ziehe schwerwiegende Konsequenzen nach sich. Die gleiche Formel hatten die Vereinigten Staaten in ihrem 1999 an den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gerichteten Ultimatum verwandt. Das hatte seinerzeit den Angriffskrieg der NATO zufolge - ohne UNO-Resolution und Mandat.

Was in den Medien der NATO-Länder als Einlenken der USA gefeiert wird, stellt sich als neuer Affront Washingtons gegenüber den Vereinten Nationen heraus. Statt sich dem ausdrücklichen Wunsch der internationalen Staatengemeinschaft nach einer friedlichen Lösung zu beugen, hat die Bush-Regierung einmal mehr deutlich gemacht, daß sie nicht daran denkt, sich von der UNO Vorschriften machen zu lassen. US-Außenminister Colin Powell beharrte daher auch vor Journalisten in New York darauf, daß der Weltsicherheitsrat den USA nicht das Recht auf einen militärischen Alleingang gegen den Irak nehmen dürfe. Dazu bräuchte Washington keine zweite UNO-Resolution. Powell sagte: »Die Vereinigten Staaten bedürfen keiner zusätzlichen Autorisierung – auch jetzt nicht – wenn wir glauben, daß es notwendig ist zu handeln, handeln wir«. Der US-Außenminister berief sich auf die Ermächtigung zum Krieg durch den amerikanischen Kongreß. Diese gebe dem US-Präsidenten die Autorität, »für das amerikanische Volk und unsere Nachbarn in Selbstverteidigung zu handeln« und »zusammen mit gleichgesinnten Staaten gegen Bagdad vorzugehen«.

Von einem Einlenken Washington kann also keine Rede sein. Der einmütige Widerstand gegen den geplanten US-Krieg gegen Irak, der in der Generaldebatte im UNO-Sicherheitsrat in den Reden der UNO-Botschafter aus Asien, dem Mittleren Osten, Afrika und Südamerika deutlich wurde, hat den US-amerikanische Hegemon vielleicht verärgert, aber nicht zum Umdenken bewegen können. Mehr denn je gilt die Devise, wonach Washington es zwar vorzieht, sich seine Kriege von der UNO absegnen zu lassen, die US-Regierung jedoch keine Skrupel hat, auch ohne UN-Mandat einen Angriffskrieg zu führen.

Aus: Junge Welt, 19. Oktober 2002


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