"Aussitzen bis zum jüngsten Bericht"
Das Taktieren der Bundesregierung hinsichtlich eines Votums im UN-Sicherheitsrat ist nicht begründet
"Aussitzen bis zum jüngsten Bericht" nennt Andreas Zumach seine Einschätzung des gegenwärtigen Lavierens der Bundesregierung in Sachen Irakkriegsfrage. Der Artikel von Zumach, der eine glänzende, weil glasklare Analyse der Varianten enthält, die im UN-Sicherheitsrat möglich sind, ist am 6. Januar in der Tageszeitung taz erschienen. Wir dokumentieren Auszüge daraus.
Von Andreas Zumach
(...) Wie Joschka Fischer verweigert .. auch Gerhard Schröder jede Information über das mögliche
(Abstimmungs-)Verhalten Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat. Laut Schröder
habe es "überhaupt keinen Sinn, solche Spekulationen anzustellen". Denn man
lege "sein Abstimmungsverhalten in einem Gremium erst fest, wenn man die
Rahmenbedingungen eines solchen Abstimmungsverhaltens" kenne. Derzeit wisse
aber noch "niemand, ob es zu einer Abstimmung kommen oder worüber abgestimmt
wird".
Regierungsmitglieder und UNO-Diplomaten anderer Mitgliedsstaaten des
Sicherheitsrates beweisen da weit größere Vorstellungskraft als der deutsche
Bundeskanzler und sein Außenminister. (...) Denn so unabsehbar, wie Schröder und Fischer
die deutsche Öffentlichkeit glauben machen wollen, sind die Rahmenbedingungen
und Entscheidungsalternativen für die Beratungen des Sicherheitsrates in den
nächsten Wochen keineswegs.
Unterscheiden lassen sich drei theoretisch denkbare Szenarien.
Erstens: Der
Chef der UNO-Waffenkontrollkommission (Unmovik), Hans Blix, stellt in seinem
für den 27. Januar angekündigten ersten umfassenden Bericht an den
Sicherheitsrat fest, dass die seit Ende November laufenden Inspektionen im
Irak vom Regime in Bagdad nicht behindert wurden und dass keine verbotenen
Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen oder Beweise für
entsprechende Rüstungsprogramme gefunden wurden. Die USA und Großbritanien
legen für ihre bislang erhobenen Vorwürfe keine stichhaltigen Beweise vor und
halten diese Vorwürfe nicht weiter aufrecht. (...)
Variante 1: Krieg ist kein Thema
Bei dieser harmlosesten, aber nicht sehr wahrscheinlichen Variante stünde das
Thema Krieg gegen Irak überhaupt nicht auf der Tagesordnung des
Sicherheitsrates. Deutschland müsste sich hierzu nicht verhalten. Der
Sicherheitsrat könnte sich problemlos darauf einigen, dass die Inspektionen
der Unmovik noch so lange fortgeführt werden, bis alle ins Auge gefassten 800
Anlagen im Irak überprüft wurden.
Fast ebenso eindeutig, wenn auch in seinen Folgen viel brisanter, wäre das
folgende Szenario: Blix stellt in seinem Bericht am 27. Januar fest, dass
Irak verbotene Massenvernichtungswaffen besitzt und/oder entsprechende
Rüstungsprogramme betreibt. Entsprechende Vorwürfe und
Geheimdiensterkenntnisse der USA und Großbritanniens wurden von den
Inspektoren vor Ort als zutreffend verifiziert. Daher ist der irakische
Rüstungsbericht ein Lügenwerk. Käme es zudem in der Zeit bis zum 27. Januar
noch zu Behinderungen der Inspektoren durch den Irak, wären die beiden in
Resolution 1441 definierten Voraussetzungen für eine Feststellung des Rates
erfüllt, wonach Bagdad die Resolution "gravierend verletzt" hat.
Als sicher gilt im New Yorker UN-Hauptquartier, dass dann zumindest die USA
und Großbritannien dem Rat den Entwurf einer zweiten Resolution mit einer
ausdrücklichen Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen gegen Irak zur
Abstimmung vorlegen würden. Ob die Bundesregierung unter diesen
Rahmenbedingungen mit Ja, Nein oder Enthaltung stimmen würde, könnte sie der
deutschen Öffentlichkeit natürlich auch heute schon mitteilen.
Bei der UNO rechnet derzeit allerdings niemand mit einem dieser beiden
eindeutigen Szenarien. Erwartet werden Varianten, die irgendwo dazwischen
liegen: Der Unmovik-Bericht vom 27. Januar entlastet Irak völlig oder
zumindest weitgehend bis auf einige von Bagdad noch nicht zufrieden stellend
beantwortete Fragen über den Verbleib einiger Altbestände an B- und C-Waffen.
(...) Es kommt bis
Ende Januar allerhöchstens noch zu Behinderungen der Inspektoren. Das heißt,
keine oder nur eine der beiden notwendigen Voraussetzungen für die
Ratsfeststellung einer "gravierenden Verletzung" der Resolution 1441 durch
Bagdad wäre erfüllt.
Dennoch beharren die USA unilateral auf dieser Feststellung - möglicherweise
unterstützt von Großbritannien. Sie setzen die Vorbereitungen für einen Krieg
gegen Irak fort und erklären die Resolution 1441 zur völkerrechtlich
ausreichenden Grundlage für militärische Maßnahmen. Unter solchen
Rahmenbedingungen könnte sich Deutschland aktiv für eine Resolution des
Sicherheitsrates engagieren, in der festgestellt wird, dass keine
"gravierende Verletzung" der Resolution 1441 durch Bagdad (und damit keine
Grundlage für militärische Maßnahmen) vorliegt; dass die Inspektionen
fortgesetzt werden sollen und dass Blix dem Rat in einigen Monaten einen
weiteren Bericht vorlegen soll.
"Enge Abstimmung" mit Frankreich
Solange die Bundesregierung ihre eigenen Positionen im Sicherheitsrat auch
nicht im Ansatz erkennen lässt, bleibt völlig offen, was die von Berlin zum
vorrangigen Ziel erklärte Herstellung einer "gemeinsamen Haltung" der vier
EU-Staaten in dem UN-Gremium in der Sache heißt. Bedeutet dies eine
Annäherung Deutschlands an die US-nahe Position Großbritanniens, mit der auch
Spanien sympathisiert? Oder die Unterstützung der zumindest bislang sehr
US-kritischen Position Frankreichs, mit dessen Präsident Chirac der
Bundeskanzler am Wochenende telefonisch eine "enge Abstimmung" im
Sicherheitsrat vereinbart hat. Die Regierung in Paris hatte über ihre
Verteidigungministerin vor wenigen Tagen noch einmal ausdrücklich bekräftigt,
dass für Frankreich ein militärisches Vorgehen gegen Irak - wenn überhaupt -
nur auf Grundlage einer zweiten UNO-Resolution mit einer völkerrechtlich
eindeutigen Ermächtigung in Frage kommt.
Dies ist nach wie vor auch die Position der ständigen Ratsmitglieder China
und Russland. Unter den nichtständigen Mitgliedern wird diese Haltung bislang
zumindest von Syrien, Mexiko, Chile, Angola und Pakistan geteilt. Kamerun und
Guinea tendieren in diesselbe Richtung, haben ihre Meinungsbildung aber noch
nicht abgeschlossen. Bulgarien zeigt die vergleichsweise größte Bereitschaft,
notfalls ein militärisches Vorgehen der USA und Großbritanniens lediglich auf
Basis der Resolution 1441 politisch mitzutragen. Ist das auch die Haltung der
Bundesregierung, wie Außenminister Fischer in seinem Spiegel-Interview vom
letzter Woche zumindest nahe gelegt hatte? Eine Antwort auf diese Frage wird
in New York mit zunehmender Spannung erwartet.
Aus: taz vom 6. Januar 2003
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