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"Sargnägel fürs Völkerrecht"

Uno-Sicherheitsrat zum Irak: Die Kriegsgegner fallen um

Den folgenden Kommentar von Andreas Zumach haben wir der Schweizer Wochenzeitung WoZ entnommen.


Von Andreas Zumach

«Vital», «führend», «zentral», «massgeblich» – mit diesen Begriffen beschrieben in den letzten Wochen vor allem europäische Politiker die Rolle, welche die Uno im Nachkriegsirak spielen solle. Selbst US-Präsident George Bushs wichtigster Kriegsverbündeter, der britische Premierminister Tony Blair, erweckte mancherorts die Illusion, er vertrete diese Position und werde Washington davon überzeugen.

Doch das ist nun alles Schnee von gestern. Der Entwurf für eine neue, letzte Irakresolution der Uno, den die USA, Britannien und Spanien inzwischen dem Sicherheitsrat vorgelegt haben, sieht für die Weltorganisation nur noch eine Feigenblatt-Rolle vor. Die Besatzerstaaten USA und Britannien sollen in allen relevanten Bereichen des Wiederaufbaus und der politischen Neuordnung sowie bei der Ausbeutung der Ölreserven des Landes das Sagen und die Kontrolle haben. Künftige Erlöse aus dem Ölverkauf sollen ungeniert einem Raubzug zum Opfer fallen. Nicht nur die Reparatur der von den USA und Britannien zerstörten Kriegsschäden soll mit diesem Geld finanziert werden. Washington und London halten sogar die Option offen, mit den Einnahmen aus dem Verkauf irakischen Öls zumindest einen Teil ihrer eigenen Kriegsführungskosten zu decken. Ein zentrales Thema fast aller Irakresolutionen seit 1991 – die irakischen Massenvernichtungswaffen, deren angeblich fortgesetzte Existenz Washington und London immerhin als Hauptbegründung für den Krieg dienten – kommt in dem Entwurf überhaupt nicht mehr vor.

Fast jeder Satz dieses Resolutionsentwurfs ist eine Verhöhnung oder ein Verstoss gegen (bislang) gültige Prinzipien und Vorschriften des Völkerrechts. Würde der Entwurf vom Sicherheitsrat abgesegnet, bedeutete dies die nachträgliche Legitimierung des Irak-Krieges. Die ehemals erklärten Kriegsgegner unter den Ratsmitgliedern – namentlich Frankreich, Deutschland und Russland – haben es unterlassen, den Krieg als Verstoss gegen die Uno-Charta zu bewerten. Jetzt scheinen sie nicht bereit, der imperialen Anmassung aus Washington und London mit dem erforderlichen Widerspruch oder gar Widerstand zu begegnen. Daraufhin lassen zumindest die bisherigen Reaktionen aus Paris, Berlin und Moskau schliessen sowie der Verlauf der ersten Beratungen unter den fünfzehn Sicherheitsratsmitgliedern. Frankreich und Russland formulierten bislang lediglich vage Forderungen nach marginalen Korrekturen des Resolutionsentwurfes, die seine fatale Grundrichtung nicht verändern würden. Erreicht hat die Bush-Regierung diese Zurückhaltung der beiden vetoberechtigten Ratsmitglieder offensichtlich mit einer gönnerhaften Zusage. Zumindest ein Teil der bisherigen Ölverträge Frankreichs und Russlands mit dem früheren Irak soll durch die von Washington eingesetzte Interimsregierung in Bagdad nicht annulliert werden. Berlin hat sich – zumindest öffentlich – noch nicht einmal hinter die marginalen Korrekturwünsche aus Paris und Moskau gestellt. Damit zeigt sich erneut, welch opportunistischen Geistes Kind die frühere Kriegsgegnerschaft der Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer war. Bleiben die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Russlands bei ihrer bislang demonstrierten Haltung, würden sie bei der Zerstörung der nach 1945 entstandenen internationalen Rechts- und Sicherheitsordnung mithelfen. Ohne entschiedenen Widerspruch dieser drei Mächte ist auch nicht damit zu rechnen, dass die sechs schwachen nicht ständigen Ratsmitglieder (Angola, Kamerun, Guinea, Mexiko, Chile und Pakistan) Nein sagen. Deren Zustimmung zum Irak-Krieg konnte Washington seinerzeit auch mit brutalem Druck, Nötigung und Erpressung nicht erzwingen.

Die öffentliche Debatte über den Resolutionsentwurf beschränkt sich bislang weitgehend auf die von seinen Autoren verlangte Aufhebung aller Sanktionen gegen Irak bis spätestens zum 3. Juni, dem Tag, an dem das Programm Food for Oil, Nahrungsmittel für Öl, ausläuft. Diese Sanktionen haben seit 1991 nach Angaben humanitärer Uno-Organisationen den Tod von über 1,6 Millionen IrakerInnen verursacht. Die USA haben in den letzten zwölf Jahren alle Versuche vereitelt, diese grausamen Sanktionen aufzuheben oder wenigstens zu lockern. Wenn die Bush-Regierung das jetzt fordert, so wirkt ihre humanitäre Begründung wenig glaubwürdig. Natürlich muss es oberstes Ziel aller Anstrengungen sein, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die einem schnellen Wiederaufbau Iraks, einer Wiederbelebung seiner Wirtschaft und vor allem der umfassenden Versorgung der Zivilbevölkerung mit (über)lebensnotwendigen Gütern entgegenstehen. Ob dies allerdings durch die fortgesetzte Besatzung und Kontrolle Iraks und seiner Ölvorkommen durch die USA und Britannien erreicht werden kann, ist zumindest zweifelhaft. Der Bush-Regierung geht es um etwas anderes: Sie hat verschiedenen US-amerikanischen Konzernen in den letzten Wochen (unter Verstoss gegen das Völkerrecht) milliardenschwere Aufträge für die Reparatur und Wiederinbetriebnahme irakischer Ölanlagen zugeschanzt. Die sollen jetzt mit der Arbeit beginnen.

Aus: WoZ, 15. Mai 2003


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