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Armeestützpunkt beschädigte Babylon / Army base 'has damaged Babylon'

Besatzungstruppen im Irak verursachen irreparable Schäden in der antiken Stadt
British Museum: Coalition forces in Iraq have caused irreparable damage to the ancient city of Babylon

auf dieser Seite informieren wir über einen alarmierenden Bericht, den BBC am 15. Januar 2005 verbreitete. Darin geht es um die immensen Schäden, welche von den Besatzungstruppen seit der Besezung des Irak in der antiken Stadt Babylon angerichtet wurden. Lesen Sie die BBC-Meldung im Wortlaut, sodann einen Auszug aus einem Artikel, der zum selben Thema am 18. Januar 2005 in der Frankfurter Rundschau erschien und schließlich einen Kommentar aus dem Feuilleton derselben Zeitung.

Army base 'has damaged Babylon'

Coalition forces in Iraq have caused irreparable damage to the ancient city of Babylon, the British Museum says.

Sandbags have been filled with precious archaeological fragments and 2,600 year old paving stones have been crushed by tanks, a museum report claims.

The US Army says the troops based in the city, some 50 miles (80km) south of Baghdad, are well aware of its historical significance.

Babylon's Hanging Gardens were among the Seven Wonders of the Ancient World.

Cascades


The legendary gardens featured water diverted from mountain streams cascading down artificial hills built upon stone vaults.

American troops occupied the site in April 2003, initially to protect it from looters and vandals.



Excavations were done in consultation with the Babylon museum director and an archaeologist
Lt Col Steven Boylan



John Curtis, author of the museum's report, said this was "tantamount to establishing a military camp around Stonehenge".

"About 300,000 square metres of the surface of the site has been flattened and covered with compacted gravel and sometimes chemically treated," he said.

"This will contaminate the archaeological record of the site."

He added: "I noted about 12 trenches, one of them 170m long, which had been dug through the archaeological deposits."

Mr Curtis, who is curator of the museum's Near East department, also found evidence of fuel leaks.

Awe-inspiring

But US military spokesman Lt Col Steven Boylan said the base, which has around 6,000 troops under Police command, is needed to "further defeat terrorists and insurgents".

He told BBC Newshour: "Any of the excavations or earth work that we have done in order to do our operations... was done in consultation with the Babylon museum director and an archaeologist."

At the height of its power, Babylon was an awe-inspiring sight, with two sets of fortified walls surrounding massive palaces and religious buildings.

It became one of the most important cities in Mesopotamia, one of the cradles of human civilisation.

Iraq is home to 10,000 archaeological sites.

Babylon unter den Rädern des Anti-Terror Krieges

Auszug aus einem Artikel von Peter Nonnenmacher (London)

(...) Die Reste der legendären mesopotamischen Stadt sind nach knapp zweijähriger Besatzung durch die Koalitions-Streitkräfte derart beschädigt worden, dass jede weitere archäologische Arbeit in Frage steht, und die "Hängenden Gärten" nun womöglich für immer verloren sind. Zu diesem Schluss kam jetzt der Kurator des Britischen Museums für Alte Kunst im Nahen Osten, John Curtis. Er ... hat auf Einladung der irakischen Behörden im vergangenen Monat eine erste unabhängige Bestandsaufnahme der Stätte durchgeführt.

In seinem Bericht weist der Forscher und Museums-Kurator darauf hin, dass ihm nur ein Teil des Geländes zugänglich war, weil andere Teile noch abgezäuntes Minengebiet sind. Doch die zugänglichen Gebiete hätten katastrophale Folgen der militärischen Besetzung enthüllt, erklärte Curtis: Sowohl die US-Truppen, die die archäologische Stätte im April 2003 gegen Grabräuber "absicherten" und sie später in einen Stützpunkt für 2000 Soldaten verwandelten, als auch die polnischen Streitkräfte, die die Anlage im September 2003 übernahmen, hätten ohne jede Rücksicht auf diese "Wiege der Zivilisation" das Gelände verschandelt, um Kasernen, Waffendepots, Parkplätze und Hubschrauber-Landeflächen für ihre "Anti-Terror-Operationen" anzulegen.

In seinem Bericht führt Curtis auf, dass er auf Müllhaufen und in Sandsäcken zerbrochene Reliefsteine und kostbar beschriftete Stein-Fragmente gefunden habe; dass an dem berühmten Ishtar-Tor mit seinem Drachenschmuck Steine herausgebrochen worden waren; dass Panzer und schwere Fahrzeuge die Original-Pflastersteine der "Prozessions-Straße" durch Babylon völlig zerstört hätten. Schützengräben seien durch das Gelände gelegt worden, die Erde rücksichtslos entfernt und ortsfremde Erde zur Befestigung von Fundamenten benutzt worden. Weite Teile seien mit Treibstoff und anderen Chemikalien verseucht worden. Dort sei für Archäologen die Arbeit nun fast unmöglich geworden.
(...) Aus: Frankfurter Rundschau, 18. Januar 2005

Babel

VON KARL GROBE*

Von Babylon, sagt die in biblischen Geschichten wiedergegebene Legende, ist die Sprachverwirrung ausgegangen. Menschen, die sich überhoben, den Himmel zu stürmen, wurden so bestraft. In die Ziggurat, den sagenhaften Turm von Babel, haben Besatzungssoldaten Gräben vorgetrieben. Andere welthistorische Stätten haben sie dort verunstaltet, den 2600 Jahre alten ziegelgepflasterten Prozessionsweg mit schwerem Fahrzeug zerstört. Aus dem Ischtar-Tor haben einige von ihnen Reliefziegel herausgebrochen, und eine Fläche von 300 000 Quadratmeter ist für die Archäologie, somit für die Geschichtswissenschaft, durch die Anlage eines Parkplatzes für Armeefahrzeuge und für Hubschrauber verdorben worden, wohl für alle Zeit.

Den Bauunternehmer, die Firma Kellogg, Brown and Root, kümmerte die Bedeutung Babylons für die Kulturgeschichte der Welt nicht. Die Tochterfirma des privilegierten Allerweltstrusts Halliburton hatte einen Auftrag: Hau weg das Alte, da muss Beton hin und Kies von irgendwo, es liegen genügend alte Ziegelsteine in der Gegend herum; die Armee-Einheit, die in Camp Babylon zum Schutz der antiken Relikte vor Plünderern stationiert worden war, steht ohnedies über dem Landesgesetz und braucht ihre Infrastruktur. Weder die Herren über Planierraupen noch die GIs, die sich wohl ein paar Steine als Souvenirs - "I've been to Babel" - aus dem Erhaltenen herausgebrochen haben, verfügen über Einsicht in den Rang der Ausgrabungsstätte.

Eine Nation mit kurzer eigener Geschichte, die zudem den Bruch mit dem Alten zugunsten eines Aufbruchs in die neue Zeit zu den Gründungsmythen ihrer "offenkundigen Bestimmung" (manifest destiny) zählt, vermittelt nicht den Sinn für den langen Atem der Welthistorie. Dies ist keine Entschuldigung, nicht einmal eine Ausrede. Es handelt sich um Barbarei, nichts weniger.

In Babylon hat Hammurabi, der von 1792 bis 1750 vor unserer Zeitrechnung regierte, den ersten Rechtskodex der Weltgeschichte verfassen lassen. Tausend Jahre später ließ Nebukadnezar - den Amerikanern müsste er aus der Bibel bekannt sein - die Hängenden Gärten errichten und den Turm von Babel, die Ziggurat, auf- und ausbauen. In beiden Epochen fassten Denker und Schreiber an dieser Stätte zusammen, was drei Jahrtausende lang von Akkadern, Sumerern, Assyrern und Kassiten an Wissen erfahren und verarbeitet worden war. Es gibt in Irak Tausende Orte, an denen noch von Archäologen zu erforschen wäre, wie die Kultur Vorderasiens und Europas, am Ende auch der USA, entstanden ist. Wäre; denn vieles geht in Babylon nicht mehr, wohl auch nicht in Ur, der Wiege Sumers.

Die von Allerweltsschutt und Chemikalien nun versiegelten, von schweren Fahrzeugen zermalmten Steine reden nicht mehr, werden nie mehr reden.

* Aus: Frankfurter Rundschau (Feuilleton, Rubrik: TIMES MAGER), 18. Januar 2005


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