Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Problem-Premier zeigt keine Einsicht

Irakischer Ministerpräsident verweigert Bildung einer Regierung der nationalen Einheit gegen ISIS

Von Roland Etzel *

Trotz weiterer Erfolge der Dschihadisten hat Iraks Regierungschef Maliki Forderungen nach einer Einheitsregierung zurückgewiesen. In Bagdad nahmen die ersten US-Militärberater ihre Arbeit auf.

Die Skeptiker eines möglichen Erkenntnisprozesses bei Nuri al-Maliki haben bisher recht behalten: Erst massiver Druck aus dem »Ausland« – das ist die verschämte Umschreibung für die unerklärte Schutzmacht USA – werde den irakischen Ministerpräsidenten dazu bewegen können, über eine Regierung der nationalen Einheit nachzudenken und also Macht abzugeben, die er für sich und seine Getreuen usurpiert hat; einmal davon abgesehen, dass ihn eigentlich außer seiner eigenen Gefolgschaft kaum jemand in Irak überhaupt noch als Regierungschef behalten will.

Aber Maliki beharrt darauf – ungeachtet aller dubiosen Umstände der Abstimmung Sieger der Parlamentswahlen vom Frühjahr zu sein. In seiner wöchentlichen Stellungnahme verkündete er am Mittwoch in Bagdad laut dpa, eine Regierung der nationalen Rettung stelle einen »Putsch gegen die Verfassung und den politischen Prozess« dar. Maliki lehnte auch einen Rücktritt erneut ab.

Ob ihm den US-Außenminister John Kerry hatte am Dienstag nach Besuchen in Bagdad und der kurdischen Autonomieregion im Norden des Landes tatsächlich nahegelegt hat, war von US-Seite nicht zu erfahren. Offensichtlich zögern die USA, weil sie vermutlich noch keinen in Irak annähernd mehrheitsfähigen und ihnen treue ergebenen Nachfolger gefunden haben. Zumindest letzteres ist Maliki seit mindestens 2006, als er Ministerpräsident wurde. Nun verlangen sie von ihrem Statthalter, er solle nicht nur die von ihm repräsentierten Schiiten, sondern auch Kurden und vor allem die bisher von ihm massiv diskriminierten Sunniten in einer Einheitsregierung gleichstellen.

Der Fernsehsender Al-Irakija vermeldete am Mittwoch Erfolge der Regierungstruppen gegen Kämpfer der Sunnitenmiliz Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS). Die Armee habe die wichtige Ölraffinerie in der kürzlich von ISIS eingenommenen Stadt Baidschi zurückerobert. Al-Irakija-Nachrichten sind allerdings mit Vorsicht zu genießen.

Al-Arabija – ein Kanal der Vereinigten Arabischen Emirate, die im Zweifelsfall als ISIS-Sympathisanten einzuordnen sind – meldete lediglich, dass bei irakischen Luftangriffen auf Baidschi 16 Menschen ums Leben gekommen seien. Außerdem habe die syrische Luftwaffe erneut Angriffe auf zwei irakische Orte geflogen, die ISIS-Milizen zuvor eingenommen hatten. Syrien dementierte das. ISIS seinerseits gab an, eines der größten Gas- und Ölfelder Iraks eingenommen zu haben. Es handele sich um Adschil 250 Kilometer nördlich von Bagdad.

Iran machte unterdessen deutlich, dass es sich gegen ISIS in Irak auch militärisch einzumischen gedenkt. Teheran, so meldete die Nachrichtenagentur Isna, habe seine Truppen an der Grenze zu Irak in Alarmbereitschaft versetzt. Iran hat eine 1450 Kilometer lange Grenze mit Irak. Die USA heben es mit direkter militärischer Unterstützung für Bagdad weiterhin nicht eilig. Am Mittwoch nahmen die ersten 40 der eingeflogenen US-Militärberater ihre Tätigkeit in Irak auf. Weitere 90 sollten am Dienstag eintreffen.

Der Krieg lässt die Zahl der Binnenflüchtlinge rapide ansteigen. Auf der Webseite »entwicklungspolitik online« heißt es aus der nordirakischen Kurdenhauptstadt Erbil, dass das Welternährungsprogramm der UNO (WFP) eine Nothilfeoperation für 42 000 Menschen begonnen habe, die während dieser Woche aufgrund des Konflikts vertrieben wurden. Als erste Hilfsmaßnahme will das WFP 550 Tonnen Nahrungsmittel pro Monat in die Region transportieren.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 26. Juni 2014


Kein Rücktritt, kein neues Kabinett

Irak: Trotz Druck von US-Außenminister Kerry lehnt Ministerpräsident Al-Maliki Einheitsregierung ab **

Der irakische Ministerpräsident Nuri Al-Maliki hat entgegen den Wünschen der US-Regierung erklärt, keine Einheitsregierung bilden zu wollen. Dies stelle einen »Putsch« gegen die Verfassung und den politischen Prozeß dar, sagte er am Mittwoch in Bagdad. Politischen Gegnern warf er vor, sich mit der vormarschierenden Sunnitenmiliz »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL bzw. ISIS) verbündet zu haben. Der Ministerpräsident lehnte auch einen Rücktritt ab.

US-Außenminister John Kerry hatte dagegen noch am Dienstag nach Besuchen in Bagdad und der kurdischen Autonomieregion im Norden des Landes verkündet, die führenden Politiker des Landes seien zur Bildung einer Einheitsregierung aus Schiiten, Sunniten und Kurden bereit. Demnach wollte das irakische Parlament am kommenden Dienstag mit der Regierungsbildung beginnen.

Die irakische Armee soll unterdessen nach offiziellen Angaben vom Mittwoch die strategisch wichtige Ölraffinerie Baidschi wieder zurückerobert haben. Sie war laut Medienberichten Anfang der Woche in die Hände der ISIL-Milizen gefallen. Eliteeinheiten hätten alle Zufahrten unter Kontrolle gebracht, meldete der staatliche Fernsehsender Al-Irakija mit Bezug auf lokale Sicherheitskräfte. Zuvor waren bei irakischen Luftangriffen auf Baidschi mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen und 30 verletzt worden.

Wie die iranische Nachrichtenagentur ISNA am Mittwoch berichtete, hat der Iran seine Truppen an der Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft versetzt. Diese seien »voll und ganz vorbereitet, die Grenzen des Landes zu verteidigen«, erklärte Vizekommandeur Hossein Salami am Mittwoch.

Die USA nutzten unterdessen den Konflikt, um ihre Präsenz in dem durch den von ihnen 2003 angezettelten Krieg zerrütteten Land zu erhöhen. Am Dienstag trafen weitere 90 US-Soldaten in Bagdad ein. US-Präsident Barack Obama hatte in der vergangenen Woche von bis zu 300 solchen »Militärberatern« gesprochen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 26. Juni 2014


Zurück zur Irak-Seite

Zur Irak-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage