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Aus Freunden werden Feinde

Waffenlieferungen an die Kurden sind Ausdruck einer willkürlichen deutschen Außenpolitik

Von Werner Ruf *

Es ist nicht schwierig, sich darüber einig zu sein, dass der Vormarsch des Islamischen Staats (IS), jener »Gotteskrieger« in Irak, eine Katastrophe darstellt – für alle die, ob Jesiden, Christen, Schiiten oder sunnitische Muslime, ein menschenwürdiges Leben unter rechtsstaatlichen Bedingungen wollen. Aber: Sind die Banditen, die nun im Zweistromland wüten, nicht jene, die schon drei Jahre lang in Syrien denselben Terror ausüben? Doch da waren sie »unsere« Verbündeten, kämpften gegen die Diktatur von Baschar Assad und ermordeten Christen, Kurden, vor allem Alauiten – jene Religionsgemeinschaft, der auch der syrische Präsident angehört. Finanziert und militärisch unterstützt wurden sie von Saudi-Arabien und Katar, der NATO-Partner Türkei schleuste sie ins Nachbarland Syrien, darunter hunderte aus Deutschland stammende Djihadisten. Sie sind offensichtlich unseren Diensten namentlich bekannt, ihre Ausreise wurde nicht verhindert.

Die Feinde unseres Feindes Assad waren unsere Freunde. Nun wenden sie sich gegen unsere anderen Freunde, die Malikis in Irak und ihre von den USA eingesetzte schiitische Herrschaft. So werden die Freunde von gestern flugs zu unseren Feinden von heute. Und morgen?

Wieder werden humanitäre Gründe beschworen, um Interventionen und Waffenlieferungen zu legitimieren. Pikant ist: Kurden kämpfen auch in Syrien, wo sie erfolgreich ihr Territorium gegen die Djihadisten wie gegen Assads Truppen verteidigen, und in der Türkei, wo der ungelöste Konflikt mit der Zentralregierung andauert. Da können diese Waffen schnell in die Hände der kurdischen Arbeiterpartei PKK gelangen, die hierzulande als Terrororganisation gelistet ist. Um dieser Peinlichkeit zu entgehen, sollte man vielleicht schnellstens das PKK-Verbot aufheben – aber das gäbe zusätzlichen Ärger mit der Türkei. Unser Außenminister ist wahrlich nicht zu beneiden!

Jenseits der »kurdischen Verbindung« wissen wir (und vor allem unsere Dienste), dass Waffen in zerfallen(d)en Staaten meist weniger zum Kämpfen denn als Handelsware dienen. In wessen Hände die Mordwerkzeuge schließlich gelangen, ist weniger eine Frage von schnell wechselnden »Freundschaften«, als von Angebot und Nachfrage – sprich von Kaufkraft. Und Geld haben die »Terroristen« genug: Nicht nur von ihren saudischen und katarischen Unterstützern, sondern aus ihrer eigenen kriminellen Ökonomie: Bedauernd berichten unsere Medien, dass die Banden Öl aus Syrien und Irak auf eigene Kosten vermarkten, dass mit kriminellen Methoden »Steuern erhoben«, dass für entführte Kinder Lösegelder erpresst werden. Mit Sanktionen können wir Russland treffen, Handelswege sehr genau kontrollieren und blockieren – die Banden des IS agieren ungehindert am »freien Markt«.

Das für Waffenlieferungen selbstverständlich vorhandene Geld könnte zur Hilfe für Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten verwendet werden – aber die sind Last für den Staat und verdienen kann daran niemand. Außerdem überließen wir das gute Geschäft (und die Präsenz unserer Qualitätsprodukte am Markt) den Verbündeten! Vor allem aber eröffnet der von Cem Özdemir (Grüne) beschworene Völkermord an den Jesiden staatlichem Handeln ganz neue Perspektiven: Waffen werden erstmals an Milizen, also an nicht-staatliche Akteure geliefert, und natürlich muss die Einweisung in ihren Gebrauch durch qualifiziertes Personal der Bundeswehr erfolgen.

Da die Intervention nicht in Staaten, sondern in Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Partnern erfolgt, glaubt man den Parlamentsvorbehalt umgehen zu können. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich bisher (warum wohl?) zu diesem nicht zwischenstaatlichen Konflikt nicht geäußert. Hier eröffnet sich scheinbar ein völkerrechtliches Niemandsland, in dem sich ganz neue Spielräume für außenpolitisches und militärisches Handeln ergeben: Wir arbeiten in Bürgerkriegskonflikten mit den uns gerade genehmen Milizen zusammen, deren gemeinsames Interesse die Zerstörung bestehender Staatlichkeit ist. Da wir inzwischen »mehr Verantwortung tragen«, gebietet es unsere »wertebasierte Außenpolitik«, überall dort zunächst unterstützend, dann zunehmend direkt militärisch zu handeln, wo wir Menschenrechte in Gefahr sehen (und unsere Interessen, versteht sich).

Ja, wir sind wieder wer! Und darum fand diese Debatte im Deutschen Bundestag wohl am Antikriegstag statt.

* Werner Ruf hat an der Universität Kassel bis 2003 Politikwissenschaft gelehrt.

Aus: neues deutschland, Mittwoch 3. September 2014 (Kolumne)



Neue Waffen für Libanon

Ein Drei-Milliarden-Dollar-Deal zwischen Frankreich und Saudi-Arabien für Waffenlieferungen in das vom syrischen Bürgerkrieg bedrohte Libanon ist so gut wie besiegelt. Der Vertrag für die Rüstungslieferungen sei »gesichert« und werde gerade fertiggestellt, verlautete nach einem Treffen von Frankreichs Staatschef François Hollande und dem saudi-arabischen Kronprinzen Salman Ben Abdel Asis in Paris. Es fehlten lediglich »einige technische Elemente«. Saudi-Arabien hatte bereits im Dezember drei Milliarden Dollar für die libanesische Armee zugesagt, damit diese Waffen von Frankreich kaufen kann. Libanon sieht sich durch den Bürgerkrieg in Syrien bedroht, wo islamistische Gruppen immer mächtiger werden.

Libanon sei ein »herrliches und zugleich verletzliches Land«, sagte Hollande bei einem Abendessen zu Ehren von Salman Ben Abdel Asis, der auch saudi-arabischer Verteidigungsminister ist. Das Land brauche »Sicherheit zu einem Zeitpunkt, wo es Tausende Flüchtlinge aufnimmt«. »Saudi-Arabien und Frankreich haben daher gemeinsam beschlossen, Libanon zu helfen, wenn es sich selbst hilft, zu seiner eigenen Sicherheit«, betonte der Staatschef.

(nd, 03.09.2014)


Büchse der Pandora

Olaf Standke über neue Waffenlieferungen in den Nahen Osten (Kommentar)

Es gibt kaum eine Region in der Welt, die dermaßen hochgerüstet ist wie der Nahe und Mittlere Osten, wie der Globale Militarisierungsindex des Internationalen Konversionszentrums Bonn zeigt. Israel, Syrien, Jordanien, Kuwait, sie alle gehören zu den Top 10 dieser Statistik. Saudi-Arabien ist mit Rüstungsausgaben von 67 Milliarden Dollar die Nummer 4 in der Welt. Irak steigerte seinen Militäretat zuletzt um 27 Prozent. Da es sich auch um eine der konfliktreichsten Regionen handelt, sollte eigentlich jeder erkennen, welche Gefahr von diesem Pulverfass ausgeht.

Und doch wurde gerade wieder ein Drei-Milliarden-Dollar-Deal zwischen Frankreich, Saudi-Arabien und Libanon bekannt. Riad gibt das Geld, Paris die Waffen und Beirut rüstet seine Armee auf. Zuvor haben schon die USA Sturmgewehre und Panzerabwehrraketen geliefert. Fraglos ist Libanons Sicherheit durch den Krieg in Syrien und islamistische Gruppen bedroht. Doch wer das Heil vor allem in noch mehr Waffen sucht, wird die Konflikte nicht lösen, egal ob in Nordirak oder in Libanon. Im Gegenteil: Stolz präsentierte die Terrormiliz Islamischer Staat jetzt eroberte deutsche und russische Waffen. Mit Blick auf die Kriegsgüter im Nahen Osten sprach Hillary Clinton einmal von der »Büchse der Pandora«, die auch den Westen bedrohe. Nur füllt er sie selbst nach Kräften.

(nd, 03.09.2014)




Terroropfer in Irak fordern Aufklärung

Bagdad wegen Dschihadisten-Vormarsch unter Druck **

Der Terror der IS-Extremisten sorgt in Irak für innenpolitische Wirren. In Bagdad drangen protestierende Iraker in das Parlament ein.

Bagdad. Hunderte Angehörige vermisster Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte haben nach Angaben von Augenzeugen am Dienstag das Parlament in Bagdad gestürmt. Die Menge sei in das Gebäude eingedrungen, habe Abgeordnete angegriffen und einen Sitzstreik im Plenarsaal begonnen, sagte ein offizieller Vertreter, der sich zum Zeitpunkt des Angriffs in dem Gebäude aufhielt. Irakische Bereitschaftspolizisten gingen den Angaben zufolge gegen die Protestierenden vor, die Aufklärung über das Schicksal von Soldaten und Polizisten verlangten, die sich im Juni den vorrückenden Dschihadisten ergeben hatten.

Die Dschihadisten-Miliz »Islamischer Staat« (IS) betreibt nach einem Bericht von Amnesty International in Nordirak eine Kampagne der »systematischen ethnischen Säuberungen«. Minderheiten wie die Jesiden, Christen oder schiitischen Turkmenen würden systematisch ausgelöscht, sagte am Dienstag Amnesty-Vertreterin Donatella Rovera, die sich derzeit in der Region aufhält. Unter Berufung auf Augenzeugenberichte warf die Menschenrechtsgruppe dem IS schwere Kriegsverbrechen vor.

In dem Report kommen Überlebende von Massenhinrichtungen zu Wort. Demnach wurden allein am 3. und 15. August Hunderte Männer und Jungen aus den Jesiden-Dörfern Kinije und Kocho umgebracht. Laut Amnesty verschleppten IS-Milizionäre auch Tausende Frauen und Kinder, Zehntausende flüchteten. In einem Fall habe eine Familie 45 vermisste Angehörige gemeldet. Amnesty-Vertreterin Rovera forderte Iraks Regierung auf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Der australische Premier Tony Abbott kündigte unterdessen an, schon in wenigen Tagen mit Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer zu beginnen. Die Grausamkeit der IS-Kämpfer rechtfertige es, sie mit aller Macht zu bekämpfen.

Derweil präsentiert die Terrormiliz in einem im Internet veröffentlichten Video nach eigenen Angaben in Syrien erbeutete deutsche und russische Waffen. In dem Video zeigen IS-Extremisten unter anderem alte russische Kampfjets, Artillerie und Raketen, von denen einige auf Deutsch mit »Lenkflugkörper DM 72 - 136 mm Panzerabwehr« beschriftet sind. Es sind die ersten bekannt gewordenen Aufnahmen aus dem vergangene Woche von der Terrormiliz eroberten Militärflughafen Al-Tabka.

Rebellen der Nusra-Front in Syrien verlangen von den Vereinten Nationen, von der Terrorliste gestrichen zu werden. Diese und weitere Forderungen hätten die Islamisten im Austausch für 44 gefangene fidschianische UNO-Blauhelmsoldaten gestellt, hieß es.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 3. September 2014


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