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Schutzzone zum Aufmarsch?

Assyrer fordern Unterstützung gegen IS. EU will Zusammenarbeit mit "lokalen Kräften"

Von Karin Leukefeld *

Assyrische Exilverbände und Kirchengemeinden mobilisieren in Deutschland seit Wochen für ein »schnelles Eingreifen von Spezialkräften«. Sie fordern »Waffenlieferungen nicht nur für Kurden« und die Einrichtung einer »internationalen Sicherheitszone für die indigenen Völker (Assyrer, Aramäer, Chaldäer und Jesiden) in Syrien und im Irak«. Am 7. März fand bereits eine Demonstration in Augsburg statt, auch in Mainz und Frankfurt gab es ähnliche Aktionen. Auslöser der Proteste war die Verschleppung von mehr als 200 assyrischen Christen durch die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) am 23. Februar. Deren Kämpfer hatten Dörfer in der Ninive-Ebene überfallen, Geiseln genommen und Tausende Menschen in die Flucht getrieben. Die gut organisierte assyrische Exilgemeinde schlug Alarm, der vom Fernsehsender Assyria TV in alle Welt getragen wurde. Inzwischen werden assyrische Milizen ausgebildet und bewaffnet. Der Forderung nach einer »Schutzzone« für »christliche und andere Minderheiten« im Norden Syriens und im Irak schloss sich in der vergangenen Woche auch das Europäische Parlament an.

Eine prägende Parole, die auf den Demonstrationen der Assyrer immer wieder zu sehen ist, lautet »Wir sind alle Chabur – Schutzzone jetzt«. Der Al-Chabur ist ein Fluss, der aus der Türkei kommend durch den Nordosten Syriens fließt und schließlich in den Euphrat mündet. In der von Jesiden, Christen und Arabern bewohnten Region befinden sich das Heiligtum der Jesiden (Lalesch) und die alten kulturhistorischen Orte, die über die Epoche des assyrischen Großreiches Aufschluss geben, zu dem das Gebiet von 1800 bis 600 v. u. Z. gehörte. Als der IS Ende Februar die assyrischen Christen entführte, zerstörte die Miliz auch einige der Kulturdenkmäler und Artefakte.

Auch um die alten Kulturdenkmäler zu retten, müsse eine »Schutzzone für Assyrer und andere bedrohte Minderheiten in der nordirakischen Ninive-Ebene« eingerichtet werden, fordert nun der »Zentralverband der Assyrischen Vereinigungen in Deutschland« (ZAVD). Alle assyrischen und jesidischen Gefangenen müssten vom IS freigelassen werden, und die »internationale Staatengemeinschaft und die Koalition zur Bekämpfung des IS« sollten »entschlossener« gegen die Terrormiliz »vorgehen«. Der ZAVD verlangt zudem Unterstützung für »die neu entstanden lokalen und regionalen Sicherheitskräfte«. Dafür müsse Entwicklungshilfe für alle bedrohten Minderheiten in der Region gezahlt werden. Am Freitag nächster Woche soll sich der UN-Sicherheitsrat mit der »Christenverfolgung im Mittleren Osten« befassen, den Antrag dafür stellte Frankreich.

Auch die EU hat das Thema inzwischen aufgegriffen. Im Rahmen einer vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat gemeinsam erarbeiteten »regionalen Strategie der EU für Syrien und für Irak« verabschiedeten die Europaabgeordneten am Mittwoch vergangener Woche eine Resolution, in der sie fordern, »mit neu entstehenden regionalen und lokalen Kräften wie der Kurdischen Regionalregierung im Irak, kurdischen Gruppen an anderen Orten, wie zum Beispiel den kurdischen Volksverteidigungseinheiten, die eine Rolle bei der Befreiung von Kobani gespielt haben, und dem Militärrat der Suryoye sowie lokalen Selbstverwaltungsorganen in der Region« zusammenzuarbeiten. Es solle sichergestellt werden, dass »Entwicklungshilfe allen Minderheiten zugute kommt, die durch den Konflikt vertrieben wurden«.

Die Bildung einer »Schutzzone« für ethnische und religiöse Minderheiten im Norden des Iraks und Syriens hatte vor einigen Monaten bereits Walid Phares im US-Fernsehsender Fox vorgeschlagen. Der Mann, während des libanesischen Bürgerkriegs in den 1980er Jahren Kommandant einer christlichen Miliz, berät in den USA ethnische und religiöse Exilgruppen aus dem Irak und Syrien beim Aufbau eigener Milizen. Die Schutzzone könnte Basis für Kampfverbände werden, die sowohl gegen den IS als auch gegen die syrische Armee kämpfen, so der »Sicherheitsexperte«, der in den USA als führender »Nahostkenner« gepriesen wird.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. März 2015


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