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Waffenexporte nicht mehr ausgeschlossen

Erste Hilfsgüter in die irakischen Kurdengebiete haben Deutschland verlassen

Von Stefan Otto *

Zunächst hat die Bundesregierung gezögert, jetzt macht sie bei der Unterstützung der Kurden in Irak Tempo. Die Debatte über Waffenexporte hält an.

Die deutschen Hilfslieferungen für die Flüchtlinge in Nordirak sind angelaufen. Fünf Transportflieger der Bundeswehr sollen bis Samstagfrüh insgesamt 36 Tonnen Material – vor allem Lebensmittel, Medikamente und Decken – in die Kurdenmetropole Erbil bringen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird am Wochenende in die Region reisen, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen. Unterdessen ging die Debatte um mögliche Waffenlieferungen weiter.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich grundsätzlich hinter US-Luftangriffe auf Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Kanzlerin hält den US-Einsatz wichtig, um die »Terroristen zurückzudrängen«, sagte sie in einem Interview der »Zeitungsgruppe Thüringen«. Ob die Bundesregierung selbst neben nicht-tödlichen Rüstungsgütern wie Fahrzeuge oder Sanitätsmaterial auch Waffen in die irakische Kurdenregion liefert, ist noch unklar. Darüber wird die Bundesregierung nach der Rückkehr Steinmeiers aus dem Krisengebiet entscheiden.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), gehört zu den Kritikern einer militärischen Unterstützung. Es gebe in Deutschland aus gutem Grund die Tradition, keine Waffen in akute Kriegs- und Konfliktgebiete zu liefern, sagte Röttgen im Deutschlandfunk. Wenn davon abgewichen werde, seien viele Fragen zu beantworten, etwa was man militärisch erreichen wolle. Auch sei ein politisches Konzept nötig, erläuterte der Unionspolitiker. Problematisch sei zudem, dass man nicht kontrollieren könne, was mit den Waffen passiere.

LINKE-Chef Bernd Riexinger hat sich anlässlich einer möglichen militärischen Unterstützung der Kurden für eine offene Debatte seiner Partei über die Friedenspolitik ausgesprochen. Man brauche »natürlich eine gesellschaftliche Debatte und auch eine in der Linkspartei, wie wir heute mit den Konflikten in der Welt umgehen sollen«, sagte er der »Frankfurter Rundschau«. Die bisherige Friedenspolitik der Linkspartei sei »geprägt von einer weltpolitischen Lage, in der Kriege zwischen Staaten stattfanden. Heute haben wir es aber vor allem mit kriegerischen Konflikten innerhalb von Staaten zu tun, die selber nicht mehr richtig handlungsfähig sind.« Riexinger würde es daher »sehr begrüßen, wenn wir in der LINKEN darüber eine konstruktive Debatte führen«. Dies werde »nicht dazu führen, dass wir unsere Grundsätze aufgeben, aber dass wir uns dieser veränderten Weltlage stellen«. Die neuen Kriege würden »nach einer neuen Friedenspolitik« verlangen.

Mit Blick auf Äußerungen von Linksfraktionschef Gregor Gysi, der sich zunächst für Waffenlieferungen und ein auch militärisches Vorgehen ausgesprochen hatte und damit in seiner Partei auf heftige Kritik gestoßen war, sagte Riexinger, die Lage in Nordirak stelle »jeden vor große moralische Fragen. Wir sehen da eine Brutalität, die man sich kaum vorstellen kann. Und man denkt, da muss man doch jetzt etwas tun.« Es sei aber eine Illusion, dass es einfache Lösungen gebe.

Für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, ist die Sache eindeutig. In Nordirak gehe es darum, »einen drohenden Völkermord zu verhindern«, erklärte er der »Saarbrücker Zeitung«. Hofreiter befürwortet daher das US-Eingreifen im Kampf gegen die IS. Die Unterstützung Deutschlands sieht er derzeit vor allem in der humanitären Hilfe sowie einer raschen Aufnahme von Flüchtlingen. Aber auch die Lieferung von Rüstungsgütern sei zu prüfen. Hofreiters Parteifreund Jürgen Trittin warnte dagegen vor Waffenlieferungen. »Wir sollten den Fehler aus Syrien nicht wiederholen und sehenden Auges in Kauf nehmen, dass Waffen über kurz oder lang in falsche Hände – nämlich des ›Islamischen Staats‹ – geraten«, sagte Trittin dem »Tagesspiegel«.

* Aus: neues deutschland, Samstag 16. August 2014


Die vergessene »Operation Kurdenhilfe«

Eine Hilfsaktion am Rande eines US-Irak-Krieges führte zu »12 Grundregeln für die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland«

Von René Heilig **


Obwohl Eile geboten ist, dauert es derzeit relativ lange, bis man aus Deutschland humanitäre Hilfe in Richtung Irak schickt. Dabei hat man damit eigentlich Erfahrungen. Sogar in der Region.

Offiziell beteiligte sich Deutschland nicht am Golfkrieg, den vor allem die USA im Verein mit Großbritannien 1991 bis 1992 gegen Irak geführt haben. Schlägt man nach in Hochglanzchroniken zur Geschichte der Bundeswehr, findet man durchaus Hinweise auf eine »tatkräftige Unterstützung« durch die Bundeswehr. Die verlegte beispielsweise Luftabwehreinheiten der ehemaligen DDR-Armee nach Ramstein. Die NVA verfügte über die gleiche Technik wie die irakischen Truppen. So konnte man den Kampffliegern der westlichen Allianz als Übungsgegner dienen. Die Bundeswehr verlegte auch Truppen in die Türkei, um den NATO-Partner »vor eventuellen Vergeltungsschlägen des Iraks zu schützen«. Insgesamt zahlte Deutschland neben den Kosten für die logistische Unterstützung umgerechnet 8,794 Milliarden Euro als Kriegsbeihilfe. Von Kampfeinsätzen im Ausland war man allerdings noch meilenweit entfernt.

Irgendwie wundert man sich dennoch, dass die Bundeswehr einen relativ großen Einsatz in jener Zeit so gut wie vergessen hat. Dabei könnte man sich die »Operation Kurdenhilfe« durchaus als Ehre anrechnen. In 70 Tagen wurden über eine Luftbrücke rund 1700 Tonnen Hilfsgüter in die Türkei und nach Iran geflogen und vor Ort an kurdische Flüchtlinge verteilt.

Die 1991 im Rahmen der Operation eingesetzten C-160 »Transall« – in diesen Tagen schickt man gerade vier dieser Flugzeuge ins irakische Kurdengebiet nach Erbil – hatten 4078 Flugstunden in den Büchern. Mehr als 500 Pioniere, Heeresflieger und Sanitätspersonal waren in den türkischen und iranischen Grenzgebieten nördlich des Irak eingesetzt. Heeresflieger waren mit CH-53-Maschinen vor Ort im Dauereinsatz. In diesen Tagen prüft man nun, ob sich eventuell deutsche Hubschrauber der Luftwaffe – es sind die gleichen wie damals – zur Rettung der im Sindschar-Gebirge eingeschlossenen Flüchtlinge eignen könnten. 1991 errichtete man vor Ort ein Notkrankenhaus, baute mit NVA-Material Zeltstädte, um den fliehenden Zivilisten Obdach zu bieten. Später dann sorgten in internationaler Abstimmung auch deutsche Soldaten für die Rückführung und den Schutz von insgesamt mindestens 1,5 Millionen irakischen Flüchtlingen überwiegend kurdischer Herkunft.

Im April 1992 gründete sich im Berliner Auswärtigen Amt ein »Gesprächskreis Humanitäre Hilfe«. Dazu trafen sich alle wichtigen deutschen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen, die im Ausland humanitäre Hilfe leisten. Anlass für die Gründung des Gesprächskreises waren die Erfahrungen mit der Kurdenhilfe im Jahr 1991. Die Teilnehmer waren sich sicher, dass man der wachsenden Herausforderung im Bereich der internationalen Katastrophen- und Flüchtlingshilfe nur durch eine Bündelung der verschiedenen Kräfte angemessen begegnen könne.

Zu diesem Zweck beschloss der Gesprächskreis für den Fall einer Katastrophe oder eines größeren Konflikts den Einsatz eines gemeinsamen Krisenstabes im Auswärtigen Amt, der die Hilfsleistungen im Ausland unter Einbindung der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen und der zuständigen Stellen der Bundesregierung koordinieren sollte.

Im Juni 1993 verabschiedete der Gesprächskreis »12 Grundregeln für die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland«, an die sich alle Beteiligten in freiwilliger Selbstbindung halten sollten. Inhalt dieses Papiers ist beispielsweise, dass »Hilfe und Schutz ... ohne Ansehen von Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischer Überzeugung oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen gewährt« werden. Humanitäre Hilfe dürfe weder von politischen oder religiösen Einstellungen abhängig gemacht werden noch dürfe sie diese fördern. »Einziges Kriterium bei der Abwägung von Prioritäten der Hilfeleistungen ist die Not der Menschen.«

Man war damals keineswegs blauäugig und von deutscher Allmacht überzeugt. Von Anfang an wollte man mit örtliche Kräften planen und Maßnahmen koordinieren. Die Hilfeleistenden, so hieß es in Regel Nummer 6, »respektieren im Einsatzland geltendes Recht und Brauchtum. Sofern es bei dem Bestreben, die bestmögliche Hilfe zu leisten, mit Bestimmungen des Empfängerlandes zu Konflikten kommt, ist auf deren Beilegung im Hinblick auf das Ziel humanitärer Hilfe hinzuarbeiten.«

Man betonte, dass Hilfsgüter stets bedarfsgerecht eingesetzt werden und den lokalen Standards entsprechen sollten. Ausschlaggebend für Auswahl von Hilfsgütern sei allein die aktuelle Notlage. Zudem sollte man bei der Beschaffung von Hilfsgütern »dem Einkauf in der von der Notlage betroffenen Region« den Vorzug einräumen.

** Aus: neues deutschland, Samstag 16. August 2014


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