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Alle Zeichen stehen auf Krieg

Rückblick 2010. Heute: Iran. Politik der Sechsergruppe läßt kaum Spielraum für Verhandlungslösung

Von Knut Mellenthin *

Am 15. Dezember hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig beschlossen, die meisten Sanktionen, die er nach dem Golfkrieg 1991 gegen den Irak verhängt hatte, aufzuheben. Die Rede ist wohlgemerkt vom 15. Dezember 2010, mehr als sieben Jahre nach dem amerikanisch-britischen Einmarsch und nach dem Platzen der Lügen zur angeblichen Existenz von Massenvernichtungswaffen. Einige Resolutionen, die das Verhältnis zwischen Irak und Kuwait betreffen, bleiben zwar noch in Kraft. Aber die Regierung in Bagdad könnte nun immerhin unter strengsten Auflagen und Kontrollen ein ziviles Atomprogramm starten. Ab nächstem Sommer soll sie sogar die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen ihres Landes ausüben dürfen. Außenminister Hoschjar Zebari dankte den Sicherheitsratsmitgliedern bewegt für die Irak gewährte Chance, »aus der Isola­tion auszubrechen und seinen rechtmäßigen Platz in der Gemeinschaft der Nationen wieder zu erlangen«.

Treffen in Istanbul

Der Vorgang zeigt, was das Nachbarland Iran zu erwarten hätte, wenn es sich den Forderungen der Sechsergruppe – bestehend aus China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, den USA und Deutschland – unterwerfen würde: Alle UN-Beschlüsse würden trotzdem so lange in Kraft bleiben, bis Washington und seine europäischen Juniorpartner ihrer Aufhebung zustimmen. Dieser Prozeß könnte Jahre dauern. Und was alles genau von den Iranern verlangt wird, bevor sie vielleicht in Gnaden geduldet werden könnten, weiß ohnehin niemand mehr. Längst hat der Westen ein unentwirrbares Knäuel aus Atomprogramm, iranischer Außenpolitik und »Menschenrechten« produziert. Vom Sicherheitsrat gemeinsam beschlossene Strafmaßnahmen wurden zielstrebig mit Sanktionen verknüpft und vermengt, die teils von der westlichen Allianz, teils nur von den USA allein getragen werden.

Iran pflegt die Beziehungen zu China und Rußland, so gut es überhaupt geht. Die Regierung in Teheran achtet, trotz immer ungeduldigerer Stimmen im Parlament, sehr darauf, es sich mit diesen beiden Ländern nicht zu verderben. Aber die Iraner wissen, daß sie auch von dieser Seite nicht viel Hilfe gegen die westliche Isolierungsstrategie zu erwarten haben. China und Rußland haben es im Sicherheitsrat zugelassen, daß die US-Regierung zum Herrn des Verfahrens wurde, obwohl sie das nicht nötig gehabt hätten. Beispielsweise hätten sie mit Hilfe ihres Vetorechts auf Ratsbeschlüssen bestehen können, die nach Ablauf eines Jahres entweder erneuert werden müssen oder hinfällig werden. Dann hätten nicht Washington, London und Paris es in der Hand, wann die UN-Sanktionen fallen, sondern Peking und Moskau.

Voraussichtlich soll Ende Januar 2011 ein weiteres Treffen zwischen Vertretern der Sechsergruppe und des Iran stattfinden. Als Schauplatz hat man sich diesmal auf Istanbul geeinigt. Allerdings wird die Türkei nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, sondern nur den Gastgeber spielen, wie der türkische Botschafter im Iran, Umit Yardim, am 13. Dezember mitteilte. Iranische Politiker haben, wie schon vor der Begegnung in Genf am 5. und 6. Dezember, unmißverständlich erklärt, daß das zivile Atomprogramm des Landes nicht zur Diskussion stehen werde. Das ist nach allen bisherigen Erfahrungen nur logisch, solange die Sechsergruppe auf ihren ultimativen, unverhandelbaren Maximalforderungen beharrt, für die es nach iranischer Ansicht absolut keine rechtliche Grundlage gibt.

Im Zentrum steht dabei die Anreicherung von Uran, die in Natanz unter Kontrolle der Internationalen Atomener­giebehörde (IAEA) betrieben wird, um Reaktorbrennstoff zu produzieren. Daß Iran sich dabei nicht auf Lieferungen anderer Staaten verlassen kann, zeigt die Weigerung der Sechsergruppe, dem Land den Kauf von Brennstäben auf dem Weltmarkt für seinen Teheraner Reaktor zu ermöglichen. In der von den USA gelieferten Anlage, die noch aus den Zeiten des Schah-Regimes stammt, werden – woran niemand zweifelt – Isotope für die Behandlung von Krebspatienten hergestellt. Auch das von der Türkei und Brasilien unterstützte iranische Angebot, im Tausch gegen die Brennelemente schwach angereichertes Uran zu liefern, wurde von der Sechsergruppe nicht nur ausgeschlagen, sondern mit der Verhängung zusätzlicher Sanktionen bestraft.

Im Atomstreit wird es keine Verhandlungslösung geben, solange die Sechsergruppe nicht ihre maximalistische, kompromißlose Haltung aufgibt und neue, realisierbare Vorschläge macht. Diese müßten sich erstens ausschließlich auf das Atomprogramm konzentrieren, also nicht mit allen möglichen anderen Forderungen an Iran befrachtet werden. Ernsthaftes Bemühen müßte zweitens den praktisch erreichten Stand der iranischen Entwicklung insbesondere auf dem Gebiet der Anreicherung akzeptieren. Kompromisse könnte es im Bereich der internationalen Kontrollen geben, auch gewisse Selbstbeschränkungen Teherans wären vermutlich verhandelbar. Aber die Vorschläge dürften keinen diskriminierenden, die Souveränität Irans beschädigenden Charakter haben.

Warnbrief an Obama

Im Zusammenhang mit dem Genfer Treffen Anfang Dezember gab es Gerüchte, daß die US-Regierung bereit sein könnte, sich mit der Fortsetzung der Urananreicherung in Natanz abzufinden. Diese überraschende und gänzlich ungesicherte Nachricht kam allerdings aus israelischen Quellen. Möglicherweise diente sie nur dazu, die Lobby in den USA für den schlimmsten aller denkbaren Fälle vorbeugend zu mobilisieren. Prompt gab es am 6. Dezember einen vom parteienunabhängigen Abgeordneten Joseph Lieberman und mehreren Senatoren aus beiden Parteien unterzeichneten Warnbrief an Barack Obama. Iran dürfe »für die absehbare Zukunft« keine Urananreicherung auf seinem Territorium gestattet werden, hieß es da, und: »Wir würden uns schärfstens jedem diplomatischen Spiel widersetzen, bei dem es Iran erlaubt wird, diese Aktivitäten in irgendeiner Form fortzusetzen.«

Obamas gesamte Politik im Nahen und Mittleren Osten zeigt, daß er Konflikten mit der Israel-Lobby lieber aus dem Wege geht. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß dieser Präsident dem Iran irgendeinen Vorschlag machen wird, der ihm den Vorwurf eintragen würde, außenpolitisch »schwach« zu sein und »die Sicherheit unseres engsten Verbündeten Israel aufs Spiel zu setzen«.

Im Gegenteil, es ist damit zu rechnen, daß die Lobby nach dem Treffen in Istanbul ihren Druck auf die US-Regierung verstärken wird, sichtbare und »glaubwürdige« Kriegsvorbereitungen gegen Iran zu treffen. Denn –und nur in diesem Punkt haben die Freunde Israels sogar sachlich recht –durch die Sanktionen sei Iran zumindest in den nächsten Jahren nicht zur Kapitulation zu zwingen. Der einzige erfolgversprechende Weg, unter dieser Voraussetzung einen Krieg zu vermeiden, bestehe darin, amerikanische Bereitschaft zu Militärschlägen gegen Iran zu demonstrieren, schrieb unlängst der Herausgeber des neokonservativen Weekly Standard, Bill Kristol. Das Bipartisan Policy Center, ein Thinktank, in dem Politiker beider großen Parteien vertreten sind, fordert als Sofortmaßnahme eine Verstärkung der amerikanischen Militärkräfte am Persischen Golf, vor allem der Marine und der Luftwaffe. Darauf soll dann als nächster Schritt zum Krieg eine Seeblockade gegen Iran folgen.

* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2010


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